Kühe sehen dich an!

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Alle Fotos: © Simone Guski

BERLIN. (hpd) 13 Jahre lang, zwischen 1998 und 2011, porträtierte die Fotografin Ursula Böhmer Kühe. In 25 Ländern Europas und die unterschiedlichsten Rassen, dort, wo man sie heute in der durchindustrialisierten Landwirtschaft kaum noch findet: auf der Weide. Das Ergebnis ihrer Ausdauer ist im Museum Neukölln unter dem Titel "All Ladies" zu sehen.

Noch gibt es die Rinder mit den lyraförmig geschwungenen Hörnern, wie man sie auf den antiken Fresken von Kreta und Thera entdecken kann. Im Landesinnern von Portugal und in Serbien. An solchen Hörnern suchte auf den Silhouetten-Szenen der schwarzfigurigen griechischen Vasen Europa halt, als Zeus in Stiergestalt sie entführte. Mit dem Rind ist Europas Mythologie und damit auch das Selbstverständnis eines ganzen Kontinents in seinen Anfängen aufs Engste verbunden.

Die Kühe zwischen den Fjorden Norwegens und dem Karstland des Balkans selbst kommen ohne diese Nobilitierung aus. Sie sind einfach da und schauen in die Kamera, keineswegs kuhäugig blöde, sondern sehr neugierig. Man kann sich vorstellen, die Kameraperspektive verrät es, wie sich Ursula Böhmer auf der Weide auf Knien rutschend an sie herangepirscht oder schlicht gewartet hat, bis die Wiederkäuer die Blickkontaktaufnahme für angemessen hielten. Und wir ahnen: Ja, Kühe haben eine Persönlichkeit. Jede einzelne ist ein Individuum. So verborgen uns auch bleiben mag, was sich hinter ihren breiten Stirnen abspielt.

Es gäbe aber auch nicht diese Vielfalt an Rassen, wenn sich nicht über Jahrtausende ihre Züchter Generation über Generation um ihre Herden kenntnisreich bemüht hätten. Nicht die wuscheligen Schottischen Hochlandrinder; nicht die eleganten schwarzen Rinder Spaniens mit den breit ausladenden Hörnern, die den Auerochsen auf den Höhlenzeichnungen von Lascaux so nahe scheinen - wir kennen sie von Picassos Stierkampf-Tuschezeichnungen.

So kann man Böhmers Fotoausstellung auch als ein Plädoyer gegen die Agrarindustrie sehen. Längst sind die meisten der konterfeiten Rassen zu bedrohten Kulturgütern geworden. Doch niemals sind sie wie Mops und Chow-Chow das Ergebnis eines züchterischen Spieltriebs des Menschen gewesen. Diese uralten Rinderrassen haben sich im Laufe der Geschichte ideal an ihre Umwelt angepasst, die, wenn die Vierbeiner Glück haben, immer noch aus Steppe und Karst, üppiger Wiese, Fjell oder Alm besteht. In einer unter Berücksichtigung lokaler Bedingungen betriebenen Landwirtschaft, die mit möglichst wenig High Tech auskommt, werden diese alten Kuhrassen wieder an Bedeutung gewinnen.

Die Schwarzweißaufnahmen der in Berlin lebenden Fotokünstlerin sind also mehr als nur aufmerksame und respektvolle, meist streng frontale Tierporträts. Sie sind visuelle Botschaften für einen neu zu überdenkenden Umgang mit diesen anderen Wesen, ohne die auch wir nicht wären, was wir sind.

 


Museum Neukölln: "All Ladies. Kühe in Europa. Fotografien von Ursula Böhmer", Alt-Britz 81, (Gutshof Britz) 12359 Berlin, bis 20. April, Eintritt frei, Katalog 39 Euro.