BERLIN. (hpd) Vor einem Jahr, am 11. Februar 2013, gab Benedikt XVI. bekannt, dass er vom Papstamt zurücktreten werde. Seither, so heißt es, weht ein neuer Wind im Vatikan. Doch die Hoffnungen liberaler Katholiken werden sich nicht erfüllen, meint gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon im Gespräch mit dem Humanistischen Pressedienst.
hpd: Herr Schmidt-Salomon, kurz nach der Rücktrittsankündigung von Benedikt XVI. gaben Sie dem hpd ein Interview, in dem Sie darlegten, dass Joseph Ratzinger die katholische Kirche auf die Auseinandersetzung mit dem evangelikalen Spektrum vorbereitet habe. Sie meinten in dem Zusammenhang, dass sich die Kirche in Zukunft weniger auf Europa als auf Lateinamerika, Afrika und Asien konzentrieren werde und vermuteten, dass der nächste Papst möglicherweise nicht aus Europa stammen werde. Bekanntlich wurde wenige Wochen später mit Jorge Mario Bergoglio der erste Lateinamerikaner zum Papst gewählt. Entspricht das, was Franziskus in den vergangenen elf Monaten getan hat, Ihren Erwartungen?
Schmidt-Salomon: Ja, tatsächlich setzt er exakt dort an, wo sein Vorgänger aufgehört hat. Nachdem Benedikt die theologische Ausrichtung der Kirche an evangelikale Bedürfnisse angepasst hat, vollzieht Franziskus nun einen entsprechenden Wandel in der Amtsführung. Ganz bewusst präsentiert er sich als Gleicher unter Gleichen und verzichtet auf den traditionellen Pomp, der in evangelikalen Kreisen nie gut angekommen ist.
In Europa wird die Bescheidenheit des neuen Papstes als Zeichen für eine mögliche Liberalisierung der katholischen Kirche gedeutet. Zu Recht?
Nein. Möglicherweise wird es kleinere Reformen geben, etwa die Zulassung von Wiederverheirateten zu den Sakramenten, aber an dem rigorosen Nein der Kirche beispielsweise zum Schwangerschaftsabbruch oder zur Homo-Ehe wird sich nichts ändern. Nach allem, was ich von Franziskus gelesen habe, vertritt er in ethischen Fragestellungen schärfere Positionen als sein Vorgänger, womit er ebenfalls beim überwiegenden Teil der Evangelikalen auf Gegenliebe stoßen wird.
Eine von Franziskus angestoßene Umfrage hat allerdings ergeben, dass die Gläubigen in Deutschland kaum etwas mit der katholischen Sexualmoral anfangen können. Selbst bayerische Katholiken scheren sich nicht mehr um die kirchlichen Dogmen zur Empfängnisverhütung oder zum Schwangerschaftsabbruch. Viele deutsche Katholiken treten auch für die Anerkennung homosexueller Partnerschaften ein. Wie wird der Papst darauf reagieren?
Die europäischen Umfrageergebnisse werden ihn nicht von seiner theologischen Linie abbringen – zumal Katholiken in anderen Teilen der Welt deutlich andere Haltungen zeigen. So stoßen die Positionen des Vatikans bei afrikanischen Gläubigen auf ungeteilte Zustimmung. In Nigeria etwa, wo vor kurzem das Anti-Homosexuellen-Gesetz verschärft wurde und zurzeit eine fürchterliche Hetzjagd auf Schwule stattfindet, hat die Bischofskonferenz die schwulen- und lesbenfeindliche Politik der Regierung als “Schritt in die richtige Richtung” gelobt.
Erzbischof Ignatius Kaigama, der Chef der nigerianischen Bischofskonferenz, sprach angesichts der internationalen Proteste gegen die nigerianischen Menschenrechtsverletzungen sogar von einer “Verschwörung der entwickelten Welt, die unser Land und unseren Kontinent zur Müllhalde machen will, indem sie für alle unmoralischen Praktiken wirbt.”
So deutlich wird Franziskus seine Kritik an dem “Laster” der Homosexualität sicherlich nicht öffentlich formulieren, zweifellos aber steht er seinen afrikanischen Glaubenskollegen sehr viel näher als den weitgehend säkularisierten Katholiken aus Deutschland.
Wie will der Papst die heterogenen Vorstellungen der Gläubigen unter einen Hut bringen?
Das ist zweifellos die Schlüsselfrage seines Pontifikats. Fakt ist, dass die katholische Christenheit zutiefst gespalten ist. Außer dem gemeinsamen Label “Katholizismus” verbindet die Katholiken in den Industrienationen kaum noch etwas mit ihren Glaubensschwestern und -brüdern in den Entwicklungsländern. Um das Problem zu entschärfen, will Franziskus den regionalen Bischofskonferenzen größere Gestaltungsspielräume einräumen. Aber das wird die Krise der katholischen Kirche nicht beseitigen. Im Gegenteil: Es wird noch offensichtlicher werden, dass es den Katholizismus gar nicht mehr gibt, sondern nur noch viele unterschiedliche regionale Katholizismen.
Kann sich der Papst als “Hüter des Glaubens” mit dieser Situation abfinden?
Eigentlich nicht, aber ihm bleibt kaum etwas anderes übrig. Sicherlich würde es Franziskus gerne sehen, wenn die europäischen Christen ebenso treu der katholischen Lehre folgen würden, wie es die Gläubigen in den Entwicklungsländern tun. Doch je besser die ökonomische Situation eines Landes ist und je höher der Bildungsgrad der Bevölkerung ausfällt, desto eher vertreten die Menschen säkulare Positionen. Das erklärt zum Teil wohl auch die Kapitalismuskritik des Papstes, die nicht zuletzt aus der Frustration heraus geboren ist, dass die Menschen dort, wo sie halbwegs anständig leben können, keinen Grund mehr sehen, den dogmatischen Vorgaben der Kirche zu folgen.
Die Kritik des Papstes an der sozialen Ungerechtigkeit ist also im Kern eine Kritik an der Säkularisierung?
Nicht nur, aber eben auch. Natürlich kann man Franziskus nur zustimmen, wenn er das globale Wirtschaftssystem als ungerecht und die Umverteilung von Arm auf Reich als zutiefst unethisch kritisiert. Aber das macht ihn noch lange nicht zu einem Unterstützer einer demokratischen, emanzipatorischen Politik! Linke Politiker, die so etwas nach der Lektüre des Lehrschreibens Evangelii Gaudium glaubten, haben offenkundig nicht verstanden, worum es Franziskus geht.
Denn der Papst will nicht Reichtum, sondern Armut für alle – und das hat mit einer modernen linken Politik nun wahrlich nichts zu tun! Seine Utopie ist auch nicht das “Reich der Freiheit”, in der jeder Mensch die Möglichkeit hat, sein Leben nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Er ist vielmehr darauf aus, das Rad der Geschichte so weit zurückzudrehen, dass die Religion wieder an die Stelle des Marktes tritt. Aus der Sicht eines Gläubigen, dem das irdische Leben als bloße Durchgangsstation zum Jenseits erscheint, mag das verständlich sein. Alle anderen aber sollten einen weiten Bogen um eine derart rückwärtsgewandte Kapitalismuskritik machen.
Eine letzte Frage: Die UN-Kinderrechtskommission hat den Vatikan vor kurzem wegen seiner mangelhaften Berücksichtigung der Interessen von Kindern und Jugendlichen gerügt. Werden solche Ermahnungen seitens der Vereinten Nationen die Kirche dazu bewegen, ihre Positionen zu überdenken?
Leider nein. Nicht ohne Grund hat sich der Vatikan sofort nach der Veröffentlichung des Reports mit großer Entschiedenheit gegen die “Einmischung in die katholische Lehre” gewehrt. Dass das Verbot von Verhütungsmethoden zur Ausbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten führt und Hunderttausende Kinder als Vollwaisen leben müssen, scheint die Kirchenverantwortlichen ebenso wenig zu belasten, wie es sie interessiert, dass Kinder gleichgeschlechtlicher Paare unter der Diskriminierung ihrer Eltern mitleiden. Trotzdem war es natürlich richtig und wichtig, dass die UN-Kinderrechtskommission so klar Stellung bezogen hat. Denn der Report hat deutlich gemacht, was in dem Medienrummel um den “bescheidenen Papst” allmählich unterzugehen drohte, nämlich dass die Lehre der katholischen Kirche in wesentlichen Punkten mit der Leitkultur der Menschenrechte nicht kompatibel ist. Verwunderlich ist das nicht, denn der Kirche waren Strategien zur Aufrechterhaltung der “heiligen Ordnung” stets wichtiger als die Bedürfnisse der Menschen – und das wird sich auch unter Franziskus nicht ändern.
Herr Schmidt-Salomon, vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch für den hpd führte Jan Weber.