(hpd) Wann immer die Rede von Quanten ist, sind die Scharlatane nicht weit. Denn die Theorie der Quantenphysik versteht kaum jemand. Und ebenso wenige begreifen die Auswirkungen auf unser tägliches Leben. Denn das uns gewohnte Kausalitätsprizip scheint auf den Kopf gestellt. Das wird zu gern von denen genutzt, die dem Zufall einen Sinn geben möchten.
Als Jugendlicher empfand ich das von Newton begründete mechanische Weltbild immer als eine sichere Grundlage für meine deterministische Sicht auf die Welt. Ich erinnere mich, dass man mir als Kind häufiger erzählte, das Weltall sei unendlich und habe seit ewigen Zeiten Bestand. Beruhigend.
Niels Bohr: “Wer über die Quantentheorie nicht entsetzt ist, hat sie möglicherweise nicht verstanden.”
Zur Jugendweihe bekam ich dann ein populärwissenschaftliches Buch über die Relativitätstheorie und die Quantenphysik geschenkt. Quantenphysik war für mich damals (und auch noch heute) intuitiv nicht erfassbar und kam mir partiell wie eine Ansammlung von skurrilen Experimenten vor, die mit unserem täglichen Leben kaum etwas zu tun haben. Dazu schien das Buch quasireligiöse Axiome zu enthalten, die mir nicht sonderlich sympathisch waren. Zum einen die fundamentalistische Festlegung der Lichtgeschwindigkeit durch Einstein, zum anderen Heisenbergs Unschärfebeziehung. Die Lichtgeschwindigkeit störte bei der Fantasie, mit Raumschiffen wie der Enterprise ferne Galaxien erkunden zu können. Die Heisenberg Unschärfebeziehung schien zu vermitteln, dass die Natur prinzipiell nicht vollständig erkennbar ist, so viel wir uns auch bemühen.
René Descartes: “Alle Wissenschaft ist sicheres, evidentes Wissen. Wir lehnen alles Wissen ab, das nur wahrscheinlich ist, und meinen, dass nur die Dinge geglaubt werden sollten, die vollständig bekannt sind und über die es keinen Zweifel mehr geben kann.”
Seit damals ist viel Zeit vergangen. Durch mein Engagement in der Giordano-Bruno-Stiftung und die philosophischen Implikationen der Quantenphysik beschäftige ich mich wieder mit dem Thema. Vor einigen Monaten entschloss ich mich dazu, quasi im Schnelldurchlauf, bequem via Youtube-Videos mein altes Wissen über Quantenphysik etwas aufzufrischen. Doch dann der Schock. Neben einigen guten Videos findet man zum Thema viel Religiöses und Esoterisches. Sicher, Quantenphysik ist verwirrend, aber ich hätte nie gedacht, dass man sie für die Begründung eines theistischen Weltbildes oder für Esoterik instrumentalisieren kann.
Ich will mich an dieser Stelle nicht zur Quantentheorie an sich äußern. Das können andere weit besser und dies würde auch den Rahmen dieses Artikels sprengen. Aber aufpassen bei der Suche nach Informationen zur Quantentheorie. Man gerät sehr schnell an Bauernfänger.
So zum Beispiel im Video “Quantum Physics Debunks Materialism”
“… if there is no such reality, then ultimately mind alone exits. And if mind is not a product of real matter, but rather is the creator of the illusion of material reality … then a theistic view of our existence becomes the only rational alternative to solipsism.” “Science has not buried God , it has revealed Him.”
Etwas bodenständiger ist da der Vortrag von einem Dr. Rolf Froböse über “Ganzheitliche Quantenphysik” anlässlich der “Heilertage” im September 2013
“Ganzheitliche Quantenphysik” “Naive Kausalitätsfalle” “Newton ist der Begründer der klassischen Mechanik” “Materialismus = Atheismus” “Quantentheorie sprengt das mechanisch-materialistische Weltbild” “Ist das gesamte Universum demnach nichts als ein gewaltiges Gehirn?”
Dann gibt es dann noch die “Quanten-Heilung”. Das Internet ist voll davon.
“Im Kern geht es … darum, zentrale Prinzipien, die die moderne Quantenphysik in den letzten Jahrzehnten herausgearbeitet hat, in eine wirksame Heilmethode zu übersetzen, die diese wissenschaftlich anerkannten Prinzipien systematisch berücksichtigt und praktisch umsetzt.”
Die neuen Propheten sind renommierte Wissenschaftler, deren Erkenntnisse man theistisch (um-)interpretiert.
Manchen Wissenschaftlern werden theistische Interpretationen ihrer Erkenntnisse in den Mund gelegt, andere Wissenschaftler vertreten tatsächlich eine spirituelle Interpretation ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse. Vertreter der neuen Quantenreligion glauben an ein gemeinsames zentrales Bewusstsein im Universum, welches alle “Seelen” und “Gott” mit einschießt. Mit diesem Kunstgriff sind “Seelen” wieder unsterblich, da Gehirne nur Empfänger des zentrales Bewusstsein seien. Kurioserweise werden hierzu die Erkenntnisse der Hirnforschung zum Thema Willensfreiheit uminterpretiert. Normalerweise sind Religiöse (zumindest die Christen) glühende Anhänger der Willensfreiheit. Bei der Quantenreligion hat das Gehirn jedoch keinen eigenen Willen, sondern wird aus dem "zentralen Bewusstsein" gespeist. Quasi wie ein Radio. Und das Radio hat keine Seele, die liegt beim Sender, dem “Field”, dem "zentralen Bewusstsein". Wenn der Empänger/das Gehirn stirbt, verbleibt die “Seele” im "zentralen Bewusstsein".
So skurril diese Vorstellungen auch sind, die Quantentheorie bringt auch mich auf obskure Ideen. z. B. dass wir in einer Simulation leben (wie in den Filmen “Matrix” oder “13th Floor”). Wenn wir als virtuelle Lebewesen (mal angenommen) versuchen würde, Teilchen unterhalb der vom Programm generierten Granularität/Pixelgröße erkennen zu wollen, stoßen wir systembedingt an eine Grenze (Unschärfe).
Jedes Computerspiel im Einzelspielermodus baut nur die Teil-Umgebung auf, in der sich der Spieler gerade aufhält. Beim Sprung ins nächste Level ist das vorhergehende Level im Arbeitsspeicher nicht mehr existent. Erst wenn der Computerspieler mit einer neuen Umgebung interagiert, “kollabiert deren Wellenfunktion” und wird "real". Ich will damit sagen: Man muss nicht religiös oder esoterisch veranlagt sein, um die Quantentheorie unkonventionell zu interpretieren.
Aber bei allen potentiellen Ergebnissen der Quantentheorie: Nie wird sie Jesus, die Bibel, den Islam, einen personalen Gott, religiöse Gebote oder Hompophobie begründen können. Insofern taugt sie nur eingeschränkt als Religionsersatz.
Athmatrix