Zweifelhafte Ehrenrettungsversuche

(hpd) Der von den Soziologen Andreas Anton, Michael Schetsche und Michael Walter herausgegebene Sammelband enthält 14 Aufsätze zu unterschiedlichen Aspekten von Verschwörungsauffassungen aus wissenssoziologischer Sicht. Indirekt geht es den Herausgebern indessen um eine Art “Ehrenrettung” des Verschwörungsdenkens, wobei sie die Grenze zwischen der Differenzierung von realen Konspirationen, Verschwörungshypothesen und fiktiven Verschwörungsunterstellungen verwischen.

Auffassungen über Konspirationen hinter Ereignissen lösen bei nicht wenigen Menschen eine Faszination aus, meint man doch hinter die Kulissen scheinbar unerklärlicher oder zufälliger Ereignisse blicken zu können. Dem gegenüber führen derartige Diskurse bei anders eingestellten Betrachtern schnell zu einem Einwand, der hier abenteuerliche und haltlose “Verschwörungstheorien” ohne jegliche Belege und mit viel Spekulationen unterstellt. Im Kontext derart kontroverser Perspektiven verortet sich der Sammelband “Konspiration. Soziologie des Verschwörungsdenkens”, der von den drei Soziologen Andreas Anton, Michael Schetsche und Michael K. Walter herausgeben wurde.

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Sie wollen darin eine “konstruktivistisch-wissenssoziologische Perspektive” (S. 12) nutzen, welche sich in “Opposition” zu einer Begriffsverwendung von Verschwörungsdenken “als prinzipielle Delegitimierungs- und Immunisierungsstrategie gegenüber jeglicher Kritik politische Administrationen und deren Verlautbarungen” (S. 13) befinde.

Der Sammelband enthält 14 Aufsätze, die in drei Kapitel untergliedert wurden: Im ersten Teil mit den “Fallstudien” geht es um Perspektiven auf die Ermordung von John F. Kennedy, das Wirken der P–2-Loge in Italien, die angebliche Macht der “Bilderberger”-Organisation, die Behauptungen über die Entstehung des AIDS-Erregers, die Bennewitz-Affäre um UFO-Belege und die Verschwörungsauffassungen um die Anschläge vom 11. September 2001.

Das folgende Kapitel über “Mediale Diskurse” widmet sich medialen Legitimationsstrategien gegenüber diesen wohl für Konspirationsanhänger bedeutsamsten Ereignissen der jüngsten Zeit, einschlägigen Behauptungen dazu im Internet, Verschwörungsdenken im Comic und im Film.

Und schließlich geht im letzten Kapitel um “theoretische Perspektiven” um das konspirationistische Denken in den USA, den Kontext von Gerüchten, Propaganda und Verschwörungstheorien, die Unterscheidung von sinnvollem Unsinn und unheilvollem Sinn sowie spekulative Kommunikation und ihre Stigmatisierung.

In der Einleitung bemerkten die Herausgeber: “Wir sprechen uns … nicht nur aus theoretischen, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Gründen gegen eine pauschale Abwertung des Verschwörungsdenkens und insbesondere die damit vielfach einhergehende Pathologisierung der Protagonisten solcher Deutungen aus” (S. 17). Und in der Tat lesen sich nicht wenige Beiträge des Sammelbandes als eine Art “Ehrenrettung” von Aussagen im Sinne des Verschwörungsdenkens. Den bisherigen kritischen Darstellungen dazu in der Forschung unterstellt man direkt oder indirekt sowohl eine Diffamierung und Pathologisierung einschlägiger Auffassungen wie eine Legitimation bestehender politischer Herrschaft. Dies geschieht indessen im Sinne eines sozialwissenschaftlichen Diskurses, der auch Verschwörungstheorien als Wissensform ernst nehmen will. Zwar erklärt man nicht dezidiert, dass Konspirationsauffassungen eine maßgebliche Bedeutung zur Erklärung der Entwicklungen in der Welt haben. Der Band dient aber der Unterstützung einer solchen Sicht.

Ausgangspunkt dafür ist eine falsche Darstellung des Forschungsstandes zum Thema: Die kritischen Analytiker des Verschwörungsdenkens haben keineswegs ignoriert, dass es sehr wohl tatsächliche Konspirationen gab und gibt. Sie gehen darüber hinaus von bislang ungeklärten Fällen aus, wofür die Formulierung “Verschwörungshypothese” inhaltlich Verwendung findet. Um ihre Sicht der Dinge zu verteidigen, wählten die Herausgeber auch Inhalte über hypothetisch mögliche Konspirationen bzw. tatsächlich bestehende Verschwörungen aus.

Bezogen auf die Ermordung von John F. Kennedy gibt es in der Tat viele offene Fragen und hinsichtlich von Gladio- und P–2-Aktivitäten liegen überzeugende Beweise für konspiratives Agieren vor. Doch warum findet man in dem Band keine Beiträge zu Behauptungen über fiktive Konspirationen von Freimaurern und Juden? Sie hätten wohl nicht zur eigentlichen Botschaft des Bandes gepasst. Insofern trägt er in der Gesamtkonzeption auch nicht zur differenzierten Analyse über Konspirationsdenken bei.

 


Andreas Anton/Michael Schetsche/Michael Walter (Hrsg.), Konspiration. Soziologie des Verschwörungsdenkens, Wiesbaden 2014 (VS Springer), 351 S., 34,99 Euro