Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren

1000 qm Platz für vier Giraffen

BERLIN. (hpd) Es geht um Säugetiere wildlebender Art, die in Zoos, Tiergehegen, Tierhandlungen, Zirkusbetrieben und privaten Haushalten in Abhängigkeit von Menschen leben. Es geht also um Affen, Bären, Großkatzen, Gorillas, Hirsche, Hunde, Hyänen, Schweine, Wale ...

Vor fünf Jahren führte die Frage nach den „Haltungsanforderungen für Delfine“ zum Beschluss des Bundestages (Bundestags-Drucksache 16/12868 vom 6. Mai 2009), ein Gutachten zu erstellen. Nun liegt es auf dem Tisch.

Zoodirektoren und Vertreter der Tier- und Naturschutzverbände sind in dieser Frage unterschiedlichster Auffassung und betrachten dieses Gutachten mit seinen Empfehlungen eher als „schlechten Kompromiss“.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), zuständig für „Fischerei, Lebensmittelsicherheit, Ernährung, Welternährung, Ländliche Regionen, Landwirtschaft, Wälder, Tierschutz, Innovation“ legte am 7. Mai 2014 das „Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren“ vor.

Dr. Maria Flachsbarth,  Parlamentarische Staatssekretärin beim BMEL muss politisch beschönigen und stellt diesen Kompromiss positiv dar: „Die Gutachter-Kommission war paritätisch mit Vertretern besetzt, deren Interessen auseinander lagen, wie es deutlicher nicht hätte sein können. Man habe viel gearbeitet und schließlich einen Kompromiss gefunden, den alle unterschreiben konnten“. Mit dem sogenannten „Säugetiergutachten – vom Affen bis zu Zebra“ sieht Flachsbarth einen deutlichen Fortschritt der Lebensqualität für die eigentlich wildlebenden und nun in Obhut genommenen Tiere. Natürlich, so räumt sie ein, stellte das Bundesministerium Fragen, machte Vorschläge, die Umsetzung selber liegt aber in den Händen der Länder und Kommunen. Der Zoo selber muss sich mit seiner Ordnungsbehörde darüber absprechen, ob Änderungsbedarf besteht.

Das Statement der Vertreter der Tier- und Naturschutzverbände zum Gutachten gibt James Brückner, Abteilungsleiter Artenschutz im Deutschen Tierschutzbund:

Das Gutachten sei ein Kompromiss, hervorgegangen aus einem mehrjährigen Sachverständigenprozess, der zu einem Überarbeitungsprozess wurde, aus dem ein Gutachten über die Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren entstanden ist. „Viele wissenschaftlich fundierte und wesentliche Empfehlungen der Tierschutzsachverständigen, externer Experten und erfahrender Tierhalter sowie wichtige Anregungen einiger Bundesländer blieben unberücksichtigt. In der Folge bleibt das vorliegende Gutachten bei vielen Tiergruppen auch deutlich hinter international anerkannten Mindeststandards zurück.“

Die Tierschutzverbände werden in ihrer Presseinformation noch deutlicher: „Chance auf umfassenden Schutz für Zootiere verpasst“ und legen ein Differenzprotokoll vor (Laura Zimrich, James Brückner, Torsten Schmid), das als Anhang im Gutachten angefügt ist.

Theo Pagel, Präsident des Verbandes Deutscher Zoodirektoren (VDZ) e.V. kritisiert Teile des Gutachtens: „Einige Maßnahmen könnten sogar den Tieren schaden“, sagte er und verwies, als Beispiel, auf gelegentliche Aggressivität unter Affen. Streit gehöre zum Leben und das bei Menschen wie bei Affen und auch im Zoo. Außerdem helfe Streit, eine funktionierende Gruppe zu bilden, währenddem schnelles Eingreifen sich negativ auf die Sozialstruktur der Affen auswirke.

„Bei diesem Gutachten“, so spricht Pagel für seinen Verband, „sei ein Teil der Verantwortlichen doch über das Ziel hinausgeschossen“. Das Dokument entbehre zum Teil wissenschaftlicher Grundlagen. Der Verband Deutscher Zoodirektoren (VDZ) e. V. verfasste ein Differenzprotokoll. Es ist ebenfalls dem Gutachten angehängt.

Als unabhängige Sachverständige waren berufen: Prof. Dr. Heribert Hofer, Dr. Dr. Sabine Merz, Dr. Siegfrid Orban, Prof. Dr. Dietman Todt und Dr. Matthias Triphaus-Bode, der selbst dem Arbeitskreis Zirkus und Zoo der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) angehört.

Er stellt Arbeitsweise und –teilung vor, die am 6. Oktober 2010 mit der ersten Sitzung begann und in das Gutachten mündete. Es wurden paritätisch besetzte Arbeitgruppen gebildet. Die oft gegensätzlichen Ansichten der Verbandsvertreter konnten geordnet, nach wissenschaftlichen Grundsätzen bewertet und inhaltlich wurde Konsens erzielt.

Neu in die Diskussion und in das Gutachten eingebracht wurden die  „Allgemeinen und tiermedizinischen Anforderungen wie Gehegegröße, Anforderungen an Ernährung, Sozialstruktur, Klima, Substrat, Schwimm-/Bademöglichkeiten, Rückzug, Abtrennung, Kratzbäume, Suhlen etc. Es geht nicht nur um die Beschreibung der Schaugehege sondern auch um Vorratslager, Futterküche, Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere und um eine Dokumentation der durchgeführten Maßnahmen.“

Ein sogenanntes „Tierbestandsmanagement“ ist eingeführt. Dahinter steht Zucht und „Bestandsmanagement“ als wichtiger Teil für die Erhaltung einer gesunden Population, Wohlbefinden und Gesundheit der Tiere, ebenso wie die Vernetzung der Tierhalter. „Dabei ist die Verwendung von Zootieren als Tierfutter durchaus als vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes anzusehen“. Eine Tierschutzkommission ist dabei vorgesehen, zu der auch Tierpfleger und Tierärzte gehören.

Nach derzeitiger Erkenntnis, so die unabhängigen Gutachter, ist festzustellen: Mindest-Anforderungen können keine optimalen Haltungsanforderungen darstellen, sondern stellen die Grenze zu einer nicht tiergerechten Haltung dar. Die unabhängigen Sachverständigen regen insbesondere die Zoos zur Zusammenarbeit mit Universitäten, Hochschulen und wissenschaftlichen Instituten zur Erforschung von Einzelfragen an und die Ergebnisse zu veröffentlichen.

Video zur Pressekonferenz am 7. Mai 2014:

Fazit: Seit dem 7. Mai 2014 sind „Mindestanforderung an die Haltung von Säugetieren“ postuliert. Wir wissen damit also: Die Tiere wurden und werden bisher nicht ihrer Art entsprechend versorgt und gehalten.

Wie geht es weiter? Die Umsetzung ist vage und offen. Mit einem in die Hände klatschen ist nichts getan. Flusspferden beispielsweise ist täglich im Außen- oder Innen-Gehege mindestens 12 Stunden Zugang zum Wasserbecken mit einer Größe von 50 qm zu gewährleisten. Oder die Außengehege der Nashörner sind für ein bis zu zwei Tieren auf mindestens 1.000 qm  umzuwandeln und der Innenbereich soll zur getrennten Nutzung mit einem sauberen, trockenen Schlafplatz, dazu einem Fress-, Dusch- und Kotplatz zur Verfügung stehen“, denn so steht’s geschrieben und das ebenso beispielhaft und detailliert für Affen, Biber, Großkatzen, Hirsche, Kamele, Koalas, Walrosse, Zebras, auch Delfine sind nicht zu vergessen. Und auch: 1000 qm Platz für vier Giraffen.

Nach diesem Gutachten ist erst einmal klar: Bei der Haltung von eigentlich wildlebenden Säugetieren ist die Praxis in Deutschland außerhalb der Mindestanforderungen. Das festzustellen bedurfte es fünf Jahre.

Wie viele Tiere in Deutschland tatsächlich ein artgerechteres Dasein über die Umsetzung erleben, ist offen. Die Parlamentarische Staatssekretärin Flachsbarth lenkte ein mit den Worten: „Ein Zoobesuch macht Freude, wenn es den Tieren gut geht.“