Städte hinterfragen kirchliches Arbeitsrecht (1)

 

Mehr als Anregen, Prüfen und Appellieren kann eine Stadt nicht, da sie sich nicht über die ausschlaggebenden Bundesgesetze wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und das Betriebsverfassungsgesetz hinwegsetzen kann. Eine mögliche Strategie wäre jedoch eine Art lokale Antidiskriminierungsrichtlinie. Ein Gutachten von Prof. Dr. Fasselt belegt, dass zum Beispiel auf kommunaler Ebene Maßnahmen zur sogenannten positiven Diskriminierung formuliert werden könnten. Zum Beispiel könnte man das Einhalten des Tarifrechts als Vergabekriterium nutzen oder dass sich die Vielfalt der Osnabrücker Bevölkerung im Personalschlüssel widerspiegeln möge.

Gab es solche Überlegungen, als Stadt die Auftragsvergabe an klare Vorgaben zum Diskriminierungsschutz zu formulieren?

Bisher gibt es einen solchen Beschluss nicht. Die Verwaltung der Stadt Osnabrück ist der Ansicht, dass Auftragsvergaben nicht an solche Vorgaben geknüpft werden dürften. Für die rot-grüne Koalition im Rat ist aber klar, dass wir dringend eine größere Trägervielfalt in der Stadt benötigen. Die bisher vorherrschende Dominanz der kirchlichen Träger kann in Anbetracht des stetig sinkenden Anteils der Kirchenmitglieder in der Bevölkerung, so nicht bleiben. Inzwischen stellt auch in Osnabrück die Gruppe der Konfessionsfreien und Andersgläubigen mit 34,1 Prozent der Bevölkerung die größte weltanschauliche Gruppe (vor den Katholiken und dann folgend den Evangelischen).

Zudem finden ja auch viele Kirchenmitglieder die derzeit geltenden Regelungen völlig absurd. Sollten die kirchlichen Träger also auf ihre Sonderrechte bestehen und die Einstellung ihrer MitarbeiterInnen auch weiterhin von deren Religionszugehörigkeit abhängig machen, müssen wir den Anteil der konfessionsneutralen Träger zu Lasten der kirchlichen Träger erhöhen und zwar in dem Maße, wie der Anteil der konfessionsgebundenen Menschen sinkt.

In Niedersachsen regieren SPD und Grüne. Wäre da nicht sogar eine Bundesratsinitiative von Hannover aus denkbar gewesen, um über diesen weg eine bundespolitische Veränderung anzustoßen?

Ich bin auch im Gespräch mit Landespolitikern, um auf dieser Ebene weiterzukommen. Eine Bundesratsinitiative wäre natürlich sehr wünschenswert, wenngleich bei der derzeitigen Koalition kaum mit einer Gesetzesänderung zu rechnen ist.

 

Wie geht es weiter?

Was wir für die Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechtes brauchen, ist Öffentlichkeit und eine Veränderung beim Denken der Kommunalpolitiker. Die meisten wissen leider nichts von den Grundrechtseinschränkungen durch das Sonderrecht der Kirchen oder sie nehmen es, in der Annahme, doch nichts ändern zu können, hin. Wir müssen einerseits den kirchlichen Trägern deutlich machen, dass wir – auch auf lokaler Ebene – diese Regelungen nicht länger dulden wollen und andererseits Protest seitens der Bevölkerung erreichen.

Wichtig sind auch Klagen von Betroffenen. Denn eines ist für mich klar: Durch die Politik werden wir in den nächsten Jahren keine Änderung der Gesetze bekommen. Dies wird vermutlich – wenn überhaupt – durch das Bundesverfassungsgericht kommen und auch dafür brauchen wir Öffentlichkeit. Das Thema muss also weiterhin in breiter Öffentlichkeit diskutiert werden. Auch dazu diente meine Initiative auf kommunaler Ebene. Ich hoffe, viele Städte werden in den nächsten ein bis drei Jahren folgen.

 

Das Interview führte Corinna Gekeler

Die Osnabrücker und Stuttgarter Beschlüsse im Detail:

Der Rat der Stadt Osnabrück fasste auf gemeinsamen Antrag der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Die Linke, UWG/Piraten am 12.11. 2013 folgenden dreiteiligen Beschluss:
1. Der Rat der Stadt Osnabrück hält auch in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft die Gewährleistung der vollen ArbeitnehmerInnenrechte sowie die Beschränkung des besonderen Tendenzschutzes auf den Bereich der religiösen Verkündigung für erforderlich. Deshalb fordert er den Bundesgesetzgeber auf, den § 9 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) entsprechend zu ändern und den § 118 Abs. 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) zu streichen.
2. Die Verwaltung wird beauftragt, mit den von der Stadt finanzierten kirchlichen Einrichtungen Gespräche zu führen, die zum Ziel haben, dass diese bis zu einer entsprechenden Gesetzesänderung freiwillig auf die derzeit noch bestehenden Sonderrechte im Umgang mit den bei ihnen Beschäftigten verzichten.
3. Die Verwaltung wird beauftragt zu prüfen, ob bei künftigen Verträgen mit Einrichtungen/externen Trägern (konfessionsgebunden und konfessionsneutral) Vereinbarungen bezüglich der arbeitsrechtlichen Regelungen der dort Beschäftigten getroffen werden können. Ziel dieser Vereinbarung soll die Gewährleistung der vollen ArbeitnehmerInnenrechte in allen von der Stadt finanzierten Einrichtungen sein.

Der Stuttgarter Gemeinderat beschloss am 10.02.2014, die Verwaltung möge alle freien Träger zu einem Gespräch über deren Einstellungs- und Beschäftigungskriterien einladen. Und zwar mit dem Ziel, dass die bei der Stadt üblichen Kriterien erfüllt werden.
Die Grünen (Stuttgarts größte Fraktion) stellte den Antrag zusammen mit allen anderen vertretenen Parteien, d.h. (der Größe nach) mit den Fraktionen der CDU, SPD, Freien Wählern, FDP und SÖS/Die Linke.
Man strebt Transparenz über die Bedingungen bei kommunal finanzierten Arbeitsplätzen an und  möchte einen Dialog mit den kirchlichen Einrichtungen über deren gängige Einstellungspraxis.
Trotz dieses parteiübergreifenden Vorstoßes wurde auf Protest der kirchlichen Träger hin inzwischen eine Präambel zur weltanschaulichen Neutralität für Träger in Ganztagsschulen (und Kitas?) gekippt. (Frage an Stgt: Wie hängt die Präambel mit dem Beschluss vom 10.02. zusammen?)

 

Mehr zu:Stuttgart:
http://hpd.de/node/18106

http://hpd.de/node/17958

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.evangelischer-kita-in-stuttgart...

Mehr zu Osnabrück:
http://hpd.de/node/17195

http://hpd.de/node/17196

http://fraktion-gruene-os.de/startseite/einzelansicht-startseite-fraktio...

 

Mehr zu München:
http://www.aks-muenchen.de/?cat=21