Nachruf

Frank Schirrmacher ist tot

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Frank Schirrmacher
Frank Schirrmacher

BERLIN. (hpd) Gestern verstarb der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Frank Schirrmacher. Er wurde nur 54 Jahre alt. Damit verlor Deutschland einen seiner - im besten Sinne - streitbarsten Journalisten.

Schirrmacher war nicht immer das Lieblingskind der Redaktion und der Leser. Gerade seine liberale Haltung, die nicht mit einer neoliberalen verwechselt werden konnte, hat ihm seinen guten Ruf eingebracht. In den letzten Jahren hat er sich in den aktuellen Diskussionen um netzpolitische Fragen eingemischt und häufig gegen den Mainstream angeschrieben.

Er war einer der wenigen “großen” Journalisten, die begriffen haben, wie sehr die digitale Zeit unsere Welt verändert. Und so schrieb er Texte, die sowohl vor den Gefahren warnten aber auch die ungeheueren Chancen, die die Digitalisierung mit sich bringen, benannten. Er war fasziniert vom sogenannten erweiterte Kulturbegriff, “unter dem er alles verstand und infolgedessen auch für berichtenswert hielt, was unser (modernes, zeitgenössisches) Leben prägt, vor allem natürlich technisch-futuristische Aspekte. Dazu gehört seit geraumer Zeit vor allem die komplette digitale Welt, die er erkannt, durchschaut und der er zuletzt misstraut hat wie wohl kein Zweiter, jedenfalls im Raum der deutschsprachigen Publizistik, ohne dass er je, darauf legte er besonderen Wert, zum ‘Kulturpessimisten’ oder ‘Technikfeind’ geworden wäre.”

Am Anfang seiner Karriere bei der FAZ sah es danach aus, als würde er “nur” Reich-Ranitzki beerben. Doch war im irgendwann der Rahmen der Literatur zu eng und er sprach und schrieb über politische Themen.

Die FAZ würdigt ihn in einem Nachruf als großen Geist. “Niemand, der sich auch nur ein wenig für die Welt des Geistes interessiert, wird diese Nachricht fassen können. Das hat nicht nur mit dem Lebensalter zu tun, in dem dieser in vielerlei Hinsicht einzigartige, große Mann von uns gehen musste, sondern auch mit dem, was er selbst für diese Geisteswelt getan hat, in und außerhalb dieser Zeitung.” Das geht weit über Schirrmachers Engagement bei netzpolitischen Fragen hinaus. Denn er war Chef des Feuilleton der FAZ - eine der wenigen echten Leitmedien Deutschlands. Und das lag unter anderem auch an seiner Person; an seiner Suche nach Antworten, bei denen andere nicht einmal den Mut hatten, die dazu notwendigen Fragen zu stellen.

Der Spiegel schreibt: “Man muss Schirrmacher nicht näher gekannt haben, um betroffen zu sein - man muss nur ein Bewohner der Geistesrepublik sein, die Deutschland ja aller Untergangsprophetie zum Trotz auch noch ist und an deren Erhalt er einen so großen Anteil hatte, um sich zu fragen, wie es nun weitergehen soll.” Selbst die TAZ - häufig genug in den großen Debatten auf der Gegenseite der Argumente - lobt Schirrmacher und wünscht: “wären doch klassische Linke ein wenig eher wie er. Ein Unruhiger, ein Freibeuter, ein Intellektueller in einem Sinne, wie er kursorisch-gründlicher nicht zu denken ist.”

“Noch als Student, als er schon entschlossen war, zur Zeitung zu gehen, vertraute er Freunden an, dass er ’Sinn in diese Bundesrepublik’ tragen wolle und dass er die Macht liebe” zitieren ihn die Süddeutsche und ein Radiokommentar bei Radio eins. Das gelang ihm, indem er öffentliche Debatten anstieß und Themen aufgriff, die im Nachhinein wie ein Blick in die Zukunft wirkten. “Er war auch einer der ersten ‘Digerati’, also einer jener Intellektuellen des 21. Jahrhunderts, die auf dem Scheitelpunkt zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften eine Zukunft erkannten, die von den Technologien getrieben neue Welten eröffneten.” (Süddeutsche) Dabei blieb er immer skeptisch und ließ sich nur selten von der allgemeinen Euphorie mitreißen. Allein aus diesem Grunde warnte er - lang bevor Edward Snowden ihn bestätigte und alle anderen sich ob der neuen Technik begeistert zeigten - vor den Gefahren, die das Internet auch bietet.

Selbst seine Kritiker sind von seinem viel zu frühen Tod betroffen. So schreibt Feynsinn: “Ein wirklich kritischer Konservativer [ist] eine seltene Erscheinung, der Verlust dementsprechend beklagenswert.” Albrecht Müller schreibt bei den Nachdenkseiten: “Frank Schirrmacher wird den Demokraten in unserem Land sehr fehlen. Um diese Einschätzung zu verstehen, muss man beobachten, was hierzulande zur Zeit abläuft: Abweichende Meinungen werden belächelt oder totgeschwiegen; Kritik an Medien wird als demokratiefeindliche Meckerei stigmatisiert. Medien fühlen sich sakrosankt; herausgehobene Medienschaffende reagieren auf Kritiker aus den eigenen Reihen mit gespreizten Federn wie auf Nestbeschmutzer. Frank Schirrmacher war dieser biedere Reflex des Die-Reihenschließens fremd und vermutlich auch verdächtig. Die Demokraten in Europa bräuchten ihn noch.”

“Es ging Frank Schirrmacher” schreibt die FAZ, “um die Rettung des Ich als eines frei denkenden Subjekts, in jeder Kultursparte, und darum, es vor jeder Manipulation durch soziale oder ökonomische Zwänge, kurz: vor jeder Zu- und Abrichtung zu schützen.”

Frank Schirrmacher ist nicht ersetzbar - aber vielleicht wenigstens ein Vorbild.