Humanistische Jugendfeiern und deren Standards
Sehr deutliche Antworten, auch wenn das nicht explizit zum Ausdruck gebracht wird, erteilt dem Pfarrer Margrit Witzke vom HVD Berlin-Brandenburg mit ihren sehr detaillierten Ausführungen über die “JugendFEIER heute”. Ausführlich informiert sie über geltende inhaltliche Standards für die humanistischen Jugendfeiern und insbesondere über das sechsmonatige Vorbereitungsprogramm. Gerade dieser Artikel sollte größte Aufmerksamkeit bei anderen Trägern der Jugendweihe finden, denn Jugendweihe und Jugendfeiern sind mehr als nur der festliche Höhepunkt.
Ergänzt werden die Ausführungen zu Vergangenheit und Gegenwart durch persönliche Erlebnisberichte. So wenn aus einem 1914 erschienenen Buch zitiert wird, wie ein Jugendstundenleiter zu Kaisers Zeiten von den Behördern drangsaliert wurde (Bruno Wille: “Die Vernehmung”) oder wenn sich der Kulturwissenschaftler Dietrich Mühlberg an seine Jugendweihe im Berlin des Jahres 1949 erinnert. Wie sie ihre eigene Humanistische Jugendfeier in den Jahren 2008 bzw. 2014 erlebten, darüber geben Johanna Rettner und Paul Rost Auskunft (Daniel Pilgrim: JugendFEIER zwischen Tradition und Jugendverbandsarbeit – “Erwachsenwerden ist doch ein ganzer Marathon”).
Ein Humanismus für das 21. Jahrhundert
Abgerundet wird dieser Band durch philosophische Betrachtungen, die durchaus wegweisend für die inhaltliche Weiterentwicklung von Jugendweihe und Jugendfeiern sind, also für die vorbereitenden Veranstaltungen des großen Festes. Denn dieser Passageritus hat nur dann wirklich eine Zukunft, wenn er sich nicht nur auf eine schöne Feierstunde reduziert. Zunächst geht Peter Adloff “Auf die Suche nach dem Sinn” und formuliert “Humanistische Orientierungen”: Selbstbestimmung entwickeln, Verbundenheit wertschätzen und Zweifel ertragen. Sein Fazit lautet: “Als Mutgeschichten müssen Humanisten Orientierungen finden und anbieten, in denen nicht die Sehnsucht nach Vollkommenheit gefüttert wird, sondern die Fähigkeit zur Wertschätzung des Möglichen. Zweifel und Freiheit gehören zusammen.” (S. 188)
Jugendfeiern sind nur ein Teil, nur ein Angebot des organisierten Humanismus. In seinem Beitrag “Humanismus für das 21. Jahrhundert” geht der Präsident der HVD, Frieder Otto Wolf, auch darauf ein und schreibt über die Vielfalt der Situationen und die Pluralität unseres Humanismus am Beispiel des Erwachsenwerdens. Er plädiert in aller Deutlichkeit dafür, dass ein solcher praktischer Humanismus nicht eurozentristisch bzw. westeuropäisch orientiert sein dürfe, sondern alle humanistischen Ansätze, die weltweit gemacht wurden, vereinen müsse: “…dass ein wirklich zeitgenössischer, gegenwärtiger Humanismus sich global artikulieren muss und nicht dabei bleiben kann, sich selber als eine eurozentrische Angelegenheit zu begreifen.” (S. 195)
Wolf folgert: “In diesem Sinne ist die humanistische Jugendfeier also nicht etwa einfach eine Zeremonie, die als ein bequemer Ersatz für die mit der Ablegung religiöser Vorstellungen sinnlos gewordenen Konfirmationen oder Jugend-Weihen herhalten soll. (…) Die humanistische Jugendfeier ist vielmehr als ein fundiertes Angebot an praktischem Humanismus zu verstehen, in welchem Heranwachsende und ihre Eltern für den wichtigen Akt der Entlassung einer jungen Persönlichkeit in unsere gemeinsame Welt einen bedeutungsvollen und bewusst zu begehenden Rahmen finden können.” Dabei gehe es um Chancen für die eigene Lebensführung und um die “Suche nach Antworten auf die ganz elementare menschliche Frage: Was brauche ich für ein gutes Leben – das ich selber leben und mit anderen führen kann?” (S. 205)
Dem ist nichts hinzuzufügen. Diesem Band ist übrigens ein Vorwort der auch im bundesdeutschen Fernsehen erfolgreichen Künstlerin mit DDR-Wurzeln Inka Bause vorangestellt, die bekundet: “Der wichtigste Tag in meiner Jugend, das war die Jugendweihe. (…) Ich feierte diesen Tag mitten im real existierenden Sozialismus. (…) Ich beging ihn als junges Mädchen, das sich aufgehoben, glücklich und geliebt fühlte … und nun noch mehr erwachsen. Am ersten Schultag nach der Jugendweihe wurden wir von den Lehrern gesiezt und waren mächtig stolz!” (S. 9)
Ja, so haben Hunderttausende Mädchen und Jungen ihre Jugendweihe erlebt und in Erinnerung behalten und nicht so wie von Klerikern wie Andreas Fincke absichtsvoll denunziert.
Manfred Isemeyer (Hrsg.): Jugendweihe und Jugendfeier in Deutschland – Geschichte, Bedeutung, Aktualität. 200 S. Hardcover. Tectum Verlag. Marburg 2014. 19,95 Euro. ISBN 978–3–8288–3363–0