Die vierte Million ist immer die schwierigste

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LEIPZIG. (hpd) Im Jahr 2016 soll der Katholikentag in Leipzig stattfinden. So hat es das Zentralkomitee der deutschen Katholiken beschlossen. Und für dieses konfessionelle Sommerfest sammeln christliche Funktionäre und Politiker seither Geldmittel ein. Aber nicht etwa bei den Bistümern der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, die als die reichste Kirche der Welt gilt.

Da der Katholikentag sich als Laienveranstaltung versteht, soll die Bezuschussung zu mindestens einem Drittel aus öffentlicher Hand kommen. So war es bei den meisten evangelischen und katholischen Kirchentagen vergangener Jahre gehandhabt worden. Die schwarz-gelbe Landesregierung Sachsens unter Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hatte ihrerseits bereits 3 Millionen Euro öffentlicher Gelder für den Katholikentag 2016 bereitgestellt. Am Mittwoch war der Leipziger Stadtrat gefragt, ob und in welcher Höhe er überdies kommunale Gelder für das kirchliche Fest bereitstellen wolle.

Pikant hierbei: Nicht einmal 5 Prozent der Leipziger Bevölkerung gehören überhaupt der katholischen Kirche an - hingegen sind beinahe 85 Prozent der BewohnerInnen konfessionsfrei.

“Zur Vorbereitung und Durchführung des 100. Deutschen Katholikentages vom 25. bis 29. Mai 2016 stellt die Gastgeberstadt Leipzig dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken eine Zuwendung i.H.v. 1.000.000 Euro (eine Million Euro) als Festbetragsfinanzierung zur Verfügung.” So lautete die knappe Beschlussvorlage der Stadtverwaltung, mit der die Stadtverordneten am Mittwoch konfrontiert wurden.

Dies wollten aber diverse politische und gesellschaftliche Gruppierungen nicht unwidersprochen geschehen lassen. So beantragte die Stadtratsfraktion von Bündnis ’90/Die Grünen, die Zuschuss-Summe auf 300.000 Euro zu reduzieren. Der Piratenpartei, die mit einer Abgeordneten im künftigen Leipziger Stadtrat vertreten sein wird, ist das zu inkonsequent. Sie fordert, von jeglicher öffentlicher Mitfinanzierung des Katholikentages Abstand zu nehmen. Das waren die Positionen am Anfang der Woche. Nichtsdestominder wurde damit gerechnet, dass die Beschlussvorlage der Stadtverwaltung angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat angenommen werden würde.

Um den öffentlichen Druck auf den Stadtrat zu erhöhen und den Bürgerinnen und Bürgern Leipzigs aufzuzeigen, wofür die ohnehin mit über 700 Millionen Euro verschuldete Stadtkasse zusätzlich belastet wird, startete am Dienstag die Kunstaktion “Das Elfte Gebot - Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!” in der Leipziger Innenstadt.

Unter Federführung der gbs Hochschulgruppe Jena beteiligten sich Helferinnen und Helfer der gbs Regionalgruppen Stuttgart, Mittelthüringen, Halle / Leipzig sowie der gbs Dresden an der Aktion, die überdies von der designierten Stadträtin Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten) unterstützt wurde.

Die von David Farago (gbs Augsburg) geschaffene Moses-Skulptur, die auf einer Steintafel das Elfte Gebot verkündet (“Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!”), kam hierbei ein drittes Mal zum Einsatz. Zuvor hatte sie schon Auftritte beim diesjährigen Katholikentag in Regensburg und am Stammsitz der Giordano-Bruno-Stiftung in Oberwesel.

Am Dienstag stand die Skulptur auf dem Leipziger Markt und erweckte sofort viel Aufsehen. Bürgerinnen und Bürger staunten über den unerwarteten Anblick, fotografierten und - stellten viele Fragen. Was das bedeuten solle? Wer bezahle denn aktuell für Kirchentage? Um welche Summen es sich dabei handle? Und mit welcher Begründung?

Die ehrenamtlichen Aktivistinnen der gbs-Gruppen beantworteten diese und viele andere Fragen, verteilten Info-Materialien, Postkarten und Offene Briefe, die an die Stadtratsabgeordneten adressiert waren. Dieser Appell war von Maximilian Steinhaus (gbs Hochschulgruppe Jena), dem Initiator der Leipziger Aktion, verfasst worden. (Der hpd berichtete; der öffentliche Brief ist hier abrufbar.

Steinhaus dazu: “Leipzig hat etwa 700 Millionen Euro an Schulden und spart an allen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Tierheimen, Jugend- und AIDS-Hilfe und historischen Archiven.” Da sei es eine Zumutung, wenn bewusst kirchenfernen Menschen die Mitfinanzierung christlicher Kirchentage aufgedrückt werde.

Die Reaktionen auf den Straßen Leipzigs waren dann auch entsprechend deutlich: Unverständnis über die angedachte Finanzierung, Empörung über die privilegierende Verquickung von Staat und christlichen Kirchen, deutliche Ablehnung missionierender Veranstaltungen - erst recht auf Kosten der konfessionsfreien SteuerzahlerInnen! Viele fragten auch, ob man irgendwo gegen diese städtische Finanzierung unterschreiben oder Beschwerde einlegen könne. Eine Million Euro aus öffentlicher Hand für das Sommerfest einer religiösen Minderheit - das fand keiner gerechtfertigt. Auch die 3 Millionen aus der Landeskasse seien eindeutig zu viel.

Während einige Passanten, die bei Moses stehen blieben, bislang kaum über die Vielzahl der staatlichen Subventionsleistungen an die christlichen Großkirchen informiert waren, gab es auch Stimmen, denen der mangelnde Laizismus in Deutschland offensichtlich seit längerem ein Dorn im Auge ist: “Die Allgemeinheit bezahlt den Kirchen doch ohnehin einen Großteil der Einrichtungen und Gehälter”, meinte eine aufgebrachte Leipzigerin und verwies auf Carsten Frerks “Violettbuch Kirchenfinanzen”. Viele andere bekundeten deutlich, dass es nach ihrer Ansicht höchste Zeit werde für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat. Selbst ein Katholik, der anfangs befürchtete, die Giordano-Bruno-Stiftung wolle den Katholikentag aus Leipzig ganz “verbannen”, lenkte im Laufe des Gespräches ein und stimmte zu, dass die öffentliche Finanzierung solcher Großereignisse höchst fragwürdig sei und ergänzte: “Aus meiner Sicht tut sich die Kirche selbst den größten Gefallen, wenn sie mehr Laizismus zulässt. Allein schon für die Glaubwürdigkeit. Dass unsere Bistümer nicht arm sind, weiß die Kirche, wissen die Gläubigen und wissen - spätestens sei Tebartz von Elst - doch auch die meisten Deutschen. Wenn Geben seliger denn Nehmen sein soll, muss die Kirche von der Basis bis in die Spitzen nach diesem Gebot handeln.”

Niklas Geimer von der gbs Hochschulgruppe Jena fasst zusammen: “Ein absoluter Großteil der Menschen hier hat unser Anliegen verstanden und unterstützt. Die Resonanz war enorm positiv.” Zwar habe es auch drei lautstark pöbelnde Passanten gegeben, welche die AktivistInnen der GBS als “Satanisten” beschimpft und kurzzeitig für Tumult gesorgt hätten. Ansonsten seien die Tage mit Moses in der Leipziger Innenstadt überaus friedlich, offenherzig und gesprächig verlaufen.

Die Leipziger Volkszeitung, die Leipziger Internetzeitung und Radio Mephisto berichteten noch am Dienstag über die Kunstaktion. Auch am Mittwoch kamen regionale TV-Sender, Online- und Print-Journalisten vorbei.

Spannend wurde es am Mittwoch kurz vor 14 Uhr, als die Stadträte aller Fraktionen zur letzten Sitzung vor der Sommerpause ins Leipziger Rathaus strömten. Der Katholikentag auf dem Weg zur vierten Million (aus öffentlicher Hand). Auch hier waren die Ehrenamtlichen von der Giordano-Bruno-Stiftung und die designierte Piraten-Abgeordnete Ute Elisabeth Gabelmann vor Ort. Während unten auf dem Burgplatz Moses warnend den Finger gen Himmel reckte und zahlreiche Schaulustige anzog, überreichten die Säkularen im Foyer vor dem Sitzungssaal den Stadträten erneut den ausführlichen Appell gegen die Bezuschussung des Katholikentages.

Ein Großteil der Abgeordneten reagierte durchaus positiv - viele hatten durch die Presse offenbar schon von Moses gehört, gelesen oder ihn selbst gesehen.

Wenig überraschend waren allerdings auch die Reaktionen einiger CDU-Stadträte. Falko Pietsch (gbs Dresden) sprach einen von ihnen unmittelbar vor der Sitzung an: “Dürfen wir sie bitten, bei der anstehenden Abstimmung auch an die über 80% der Bevölkerung von Leipzig zu denken, die keiner christlichen Kirche angehören und die sich wünschen, dass diese Gelder in Bildung und Kultur der Allgemeinheit zu gute kommen?” Die Antwort des CDU-Mannes: “Ja, sie dürfen. Aber ich werde es nicht tun.”

Ein anderer ergänzte mit Blick auf das “Elfte Gebot”: “Das ist das Albernste, was ich je erlebt habe.” Ein dritter blickte auf das Info-Material, welches ihm überreicht wurde, las die Überschrift des Offenen Briefes und entgegnete knapp: “Dieses Argument-Papier will ich nicht - aber das Bild von dem Moses nehm ich mit.”

Die christlichen Politiker zeigten enormes Unverständnis gegenüber dem Wunsch des Großteils der Bevölkerung nach mehr Trennung von Kirche und Staat. Im übrigen steht ihre Haltung damit offenbar auch konträr zur Einstellung vieler Christen an der Basis.

Abgeordnete von Bündnis ’90/Die Grünen hatten im Vorfeld den Antrag eingebracht, den Zuschuss bei 300.000 Eurozu deckeln. Niklas Geimer (gbs Jena) erfuhr von manchen Grünen, dass sie persönlich eigentlich jegliche Bezuschussung des Kirchentages ablehnten. Allerdings hielten sie es für aussichtslos, dass eine solche “radikale” Forderung im Stadtrat mehrheitsfähig sein könnte - daher der Kompromissvorschlag.

Wenn aber nur 5% der BürgerInnen von Leipzig katholisch sind, woher kommt dann die Mehrheit im Stadtrat für eine Förderung des Katholikentages? Aufschlussreich könnte u.a. folgende Äußerung einer Abgeordneten der Linken sein: “Ich werde nicht für die Million stimmen. Aber die 300.000 Euro soll der Katholikentag ruhig haben.” Gefragt nach einer Begründung antwortete sie: “Der evangelische Kirchentag 2011 hat ja in Dresden auch eine große Summe zur Verfügung gestellt bekommen. Da ist es nur fair, dass wir auch großzügig sind. Ich gehöre ja der Evangelischen Kirche an. Wir wissen, dass wir als Christen in Sachsen eine Minderheit sind und da sollten die Kirchen auf politischer Ebene schon zusammenhalten.”

Dies gilt offenbar selbst dann, wenn es auf Kosten aller SteuerzahlerInnen geschieht, auch der übergroßen Mehrheit der dezidiert kirchenfernen Menschen in Sachsen. Auf Kosten auch der Bildungs- und Kulturförderung in Leipzig.

Die Debatte im Stadtrat verlief tatsächlich kontroverser, als manche Abgeordnete sich das vorher vorgestellt hatten.

“Warum der Steuerzahler Kirchentage überhaupt subventionieren soll, wurde im Vorfeld der Sitzung am 16. Juli ebenfalls kurz und heftig debattiert. Angesichts der klammen Haushaltslage der Stadt Leipzig von manchen als Unverfrorenheit empfunden, ging die Kritik im Vorfeld längst bis in den Bereich der Frage, ob staatliche Institutionen die Ausrichtung von religiösen Festen überhaupt in einer Gesamthöhe von 4,5 Millionen subventionieren sollten.”, berichtet die L-IZ

Schließlich war es Stadträtin Ursula Grimm (CDU), welche beantragte, die Abstimmung über den Zuschuss für den Katholikentag von der Tagesordnung zu nehmen und erst nach der Sommerpause behandeln. Interessant hierbei war die Begründung: In den vergangenen Tagen hätten sich “Informationsdefizite” aufgetan. Dabei war das Gegenteil der Fall: In den vergangenen Tagen hatten mehr und mehr regionale Medien über den anstehenden Katholikentag und seine Finanzierung berichtet, hatten die Bürgerinnen und Bürger von Leipzig mehr Fragen gestellt und auch die Stadträte umfangreiche Informationen zu diesem Thema erhalten.

Das Ringen des Katholikentages um die vierte Million wird also im September weitergehen. Der Widerspruch zu diesem Ansinnen ist in den vergangenen Tagen lauter und vernehmlicher geworden.

Die Botschaft von David Faragos Moses-Skulptur hat Spuren in Leipzig hinterlassen: Enormes Medien-Echo, offenkundige Verunsicherung bei den Christdemokraten, Bestärkung bei den säkularen Abgeordneten. Viele Menschen auf den Straßen dankten den Initiatoren und Betreuern der Kunstaktion für den Einsatz und die kreative Form des Protests und der Aufklärung.

Bleibt zu hoffen, dass Leipzig ein Vorbild werden kann: Sollte der Stadtrat im September gegen eine Mitfinanzierung des Katholikentags stimmen, wäre Leipzig die erste Gastgeberstadt eines Kirchentages, in der das gelingt. Dies wäre ein Zeichen, dass ein zeitgemäßer Staat besser in Bildung, Kultur und Infrastruktur investiert, statt in Missionsveranstaltungen.