Wenn die TAZ eine Plattform für Bullshit wird

Homöopathie als Kassenleistung?

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In der TAZ erschien am 12. Juli 2019 ein Artikel, der Homöopathie als Kassenleistung befürwortet. Unter der Überschrift "Wahlfreiheit muss bleiben" verteidigt die Journalistin Anja Krüger mit sehr fragwürdigen Argumenten die Erstattung von Scheinmedikamenten durch die Krankenkassen. Der hpd dokumentiert den Leserbrief von Falko Pietsch, den dieser bei Facebook veröffentlichte.

Bereits die Überschrift und Forderung der Kommentatorin ist irreführend:

"Wahlfreiheit muss bleiben"

Natürlich bleibt die Wahlfreiheit der Patient*innen unbenommen, wenn Deutschland dem Beispiel von Großbritannien, Australien oder Frankreich folgt und künftig untersagt, dass gesetzliche Krankenkassen derlei "Leistungen" erstatten oder auch nur bezuschussen. Diesen Schritt fordert nunmehr übrigens auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung.

Gesundheitsexperten wie Karl Lauterbach (SPD) und kritisch-aufklärerische Ärztinnen wie Natalie Grams, die seit Jahren eine solche Novelle anmahnen, stehen dank mühevoller Arbeit und jüngster prominenter Unterstützung durch Jan Böhmermann endlich nicht mehr allein auf weiter Flur der – im Gegensatz zu ihren Präparaten – durchaus wirkmächtigen Lobby der (homöopathischen) Pharma-Konzerne gegenüber.

Wer statt evidenzbasierter Medizin lieber esoterische Präparate ohne Wirksamkeitsnachweis nutzen möchte, kann dies freilich weiterhin tun! Egal ob Homöopathika, Schamanismus, heilsame Gebete, schützende Amulette oder Aura-Sprays zur "feinstofflichen" Behandlung – alles Dinge, die Placebo-Effekte hervorrufen können, aber zu recht nicht als "Medizin" anerkannt und folglich nicht von den Krankenkassen zu erstatten sind.

Redakteurin Anja Krüger mutmaßt nun, dass sich bald nur noch Gutverdienende eine homöopathische Behandlung leisten könnten. Das ist nicht richtig. Der mit homöopathischen "Medikamenten" oft inhaltsidentische Haushaltszucker ist für unter 1 Euro pro Kilogramm in jedem Supermarkt erhältlich.

Wie man daraus in der heimischen Küche unter geduldigem Verdünnen und Klopfen eine vermeintliche "Arznei" fertigt, hat Mai Thi Nguyen-Kim schon einmal für "Terra X" erklärt:

Aber selbst wenn es so wäre, dass homöopathische Präparate für einige Einkommensschichten unerschwinglich würden, sollte die ungerechtfertigte Bezuschussung wegfallen, so ist hier kein Schaden zu erkennen. Im Zweifel müssten die Hersteller dieser Präparate einfach ihre Preise senken. Das sollte kein Problem sein, haben diese Pharma-Konzerne doch meist satte Gewinnmargen von über 80 Prozent auf homöopathischen Produkten und obendrein NULL Euro an Forschungskosten. Denn sie entwickeln und prüfen ja keine neuen Wirkstoffe oder Medikamente. Sie verdünnen lediglich angebliche Wirkstoffe – meist bis unter die Nachweisbarkeitsgrenze – und behaupten einfach, die "Information" der "Ur-Substanz" würde im Lösungsmittel oder im zuckrigen Träger-Material fortexistieren.

Nach der gleichen Logik kann ich auch einen USB-Stick in einigen Hektolitern Salzsäure auflösen, einen Tropfen davon auf einen neuen USB-Stick träufeln und meine Kolleg*innen bitten, das nun erfolgreich "kopierte" Datenmaterial auszulesen. Ich würde dafür wohl nur ein Kopfschütteln ernten.

Wenn ich die Rechnung für diese bescheuerte Prozedur dann noch bei der IT-Abteilung abzurechnen versuche, habe ich in etwa die gleiche intellektuelle Blutgrätsche vollzogen, wie sie die Homöopathie-Lobby derzeit mit unserem Gesundheitssystem durchexerziert.

Anja Krüger hat zum Thema offenbar jede Recherche unterlassen. Sie schreibt:

"Es gibt nur einzelne Kassen, die diese Medikamente freiwillig bezahlen. Sie wollen damit gezielt Menschen gewinnen, die an einer alternativmedizinischen Behandlung interessiert sind."

Doppelt falsch!

Zum einen ist es über die Hälfte der Krankenkassen, die bereits homöopathische Präparate erstattet. Das Phänomen ist also nicht selten oder "vereinzelt", sondern erschreckend verbreitet. Allein die TK mit über 8 Millionen Versicherten versorgt etwa 10 Prozent der Bundesbürger*innen – und gehörte zu den ersten Kassen, die sich bereit fanden, Placebos auf Kosten der Solidargemeinschaft zu subventionieren.

Zum anderen wird dies von den Kassen getragen, um gezielt ein vergleichsweise junges und besserverdienendes Klientel anzuziehen. Das sind Menschen, die den Kassen hohe Beiträge und gleichzeitig geringe Kosten verursachen.

Egal ob TK, IKK, Barmer oder DAK: diese gesetzlichen Krankenkassen argumentieren an keiner Stelle mit einer etwaigen Wirksamkeit der Homöopathie – sie alle verweisen auf den Wettbewerb unter den Krankenkassen und dass man keine Klient*innen an die privaten Versicherer verlieren wolle.

Na, wenn das des Pudels Kern ist, kann der Gesetzgeber sicher bessere Wege finden, um die gesetzlichen Krankenkassen und den Solidarpakt zu sichern.

Weiter im Text:

"Mag sein, dass die Kügelchen als Placebo wirken. Das ist bei vielen konventionellen Medikamenten aber mitunter auch nicht anders."

Auch das ist falsch. Alle echten Medikamente, die sich nicht durch einen esoterischen "Binnenkonsens" den vermeintlichen Wirksamkeitsnachweis erschleichen, müssen unter klinischen, doppel-verblindeten Studien-Bedingungen eine spezifische Wirkung über den Placebo-Effekt hinaus nachweisen. Sonst gibt es keine Zulassung.

Das selbe sollte freilich auch für Homöopathika und alle anderen Präparate gelten, die als "Medikamente" gehandelt werden wollen.

"Nicht selten müssen ÄrztInnen verschiedene Medikamente ausprobieren, bis eines dem oder der PatientIn hilft. Warum sollen darunter nicht auch homöopathische Mittel sein, vorausgesetzt, dass PatientInnen und ÄrztInnen das richtig finden?"

Wenn meine Ärztin und ich es für richtig erachten, dass mir Lakritze gegen Kniebeschwerden hilft – zahlt das dann auch die Kasse?

Nur weil zwei Menschen an die selbe Unwahrheit glauben, wird diese nicht "wahrer".

Ja, Ärzt*innen müssen gelegentlich verschiedene Medikationen für ein Leiden ausprobieren, da Patient*innen dieses oder jenes nicht so gut vertragen könnten. Bedingung ist aber, dass es sich bei den verschriebenen Präparaten stets um Medizin handelt. Medizin ist das, was erwiesenermaßen wirkt. Was hingegen keine Wirkung nachweisen konnte, ist freilich keine Medizin und kann auch keine Alternative dazu sein.

"Von den herben Nebenwirkungen etlicher Medikamente ganz zu schweigen. Und die zumindest haben homöopathische Mittel nicht."

Jein. Auf der einen Seite ist es richtig, dass Dinge, die keine spezifische Wirkung haben (können), auch keine spezifischen Nebenwirkungen auslösen. Ohne Wirkstoffe keine Wirkungen. Trivial.

Auf der anderen Seite werden durch homöopathische "Behandlungen" oft genug wirksame Therapien herausgezögert oder gar verhindert. Und das hat durchaus konkrete und schädliche Wirkungen für die Patient*innen. Besonders kritisch ist das bei jungen Eltern zu sehen, die ihren Schutzbefohlenen eine wirksame Therapie verweigern.

"Es kann nicht richtig sein, dass nur Menschen Wahlfreiheit zwischen chemischer Keule und Kügelchen haben, die nicht mit jedem Euro rechnen müssen."

Diese verkürzte Gegenüberstellung suggeriert falsches. Zum ersten zeichnet sie ein negatives Bild von evidenzbasierter Medizin. Als sei jedes erwiesenermaßen wirksame Präparat gleich eine vermeintlich schädliche "Chemie-Keule". Und so, als sei Milchzucker in Kügelchen-Form mit "informationshaltiger" Alkohollösung benetzt kein chemisches Erzeugnis.

Übrigens: Auch naturheilkundliche Präparate können – sofern ihre spezifische Wirkung erwiesen ist – zugelassen und erstattungsfähig sein. Die Homöopathie ist hingegen, auch wenn sie sich oftmals anders vermarktet, keine Naturheilkunde!

Warum nicht Zuschüsse für Salbei- und Kamillentee? Das wäre fairer, redlicher und intelligenter!

Wie wäre es außerdem, wenn die Krankenkassen wieder zweifellos wirksame gesundheitliche Unterstützungsleistungen wie die Kostenübernahme bei Brillenkauf übernehmen würden? Die Zuschüsse, die bei den Homöopathika gespart werden, sollen an anderer Stelle ruhig den Versicherten zu Gute kommen. Was nämlich wirklich nicht sein kann, ist, dass sich nur Besserverdienende so essentielle Dinge wie eine Brille oder Zahnersatz leisten können.

Wenn eine TAZ-Redakteurin diese basalen Leistungen von Krankenkassen nicht einfordert, wohl aber die Übernahme von Placebo-Präparaten, ist der Blick für's Wesentliche & Relevante ganz offenbar nicht mehr gescheit justiert.

"Skepsis gegenüber den Versprechungen der konventionellen Pharma­industrie ist mehr als berechtigt."

Man fragt sich manchmal, was die Homöopathie-Befürworter*innen und –apologet*innen eigentlich glauben, woher die Zuckerkügelchen stammen... Von wohlmeinenden philanthropisch motivierten Manufakturen? Von genossenschaftlich organisierten Klein-Kollektiven, die Würfelzucker zu Globuli feilen und nach Hausrezept mit Wunder-Tinktur beträufeln? Oder vielleicht doch von Pharma-Riesen, die bei einem jährlichen Milliarden-Umsatz auf dem internationalen Markt gern dabei sein wollen, vor allem, weil die Margen bei wirksamen Präparaten nie so hoch ausfallen können?

Und gibt es der Autorin vielleicht zu denken, dass ausgerechnet der Bundesverband der Arzneimittelhersteller – also das Lobby-Sprachrohr der Pharma-Industrie höchstselbst! – die Zuzahlung der Krankenkassen für Homöopathika verteidigt und vor einer Abschaffung warnt?

Am Ende ist's vielleicht so, dass es den Pharma-Riesen völlig Wurst ist, ob sie ihren Umsatz mit echter Medizin oder gescheit vermarkteten Placebos machen? Und man tut ihnen gar noch einen Gefallen, wenn man aus naiver Angst vor "der Chemie" zu anderer Chemie greift, die schlicht keine Wirkstoffe enthält, aber mit kackdreister Gewinnspanne verhökert wird?

Wäre es nicht an der Zeit, die Versicherten vor solcher Abzocke zu schützen, statt diesen Geschäftszweig der Pharma-Branche noch durch ein Solidarsystem zu subventionieren?

Halten wir fest:

Der internationale wissenschaftliche Konsens besagt eindeutig, dass Homöopathika keine Wirkung über den Placebo-Effekt hinaus haben. Gutachten nationaler Gesundheitsgremien kommen zu dem Schluss, dass es medizin-ethisch unverantwortlich ist, Patient*innen subventionierte Homöopathika anzudrehen. Studien ergeben außerdem, dass homöopathisch behandelte Versicherte den gesetzlichen Kassen signifikant höhere Kosten verursachen.

Ärzte-Vertretungen wünschen sich, dass die Kassen solche Leistungen nicht mehr tragen.

Einzig die Lobby der Pharma-Industrie verteidigt den Status quo in Deutschland, weil er ihr offenkundig zuträglich ist!

Auf welche Seite schlägt sich da eine Redakteurin, die für unabhängigen, verantwortungsvoll recherchierten Journalismus einstehen will?