Berücksichtigung des für kirchliche Zwecke gebundenen Vermögens
Anders als bei gewinnorientierten Unternehmen wird allerdings der bloße Vergleich des Eigenkapitals den kirchlichen Besonderheiten nicht gerecht. Denn das kirchliche Vermögen wird – mit Ausnahme der Wertpapiere – nicht wegen seines finanziellen Wertes oder zur Renditeerzielung besessen, sondern primär für kirchliche Zwecke. Dieses Vermögen ist nur eingeschränkt veräußerbar und soll auch gar nicht veräußert werden.
Während ein Unternehmer sein Unternehmen (im Normalfall) im Prinzip jederzeit mindestens zum Preis des Eigenkapitals verkaufen könnte, ist das kirchliche Vermögen, zumindest sofern es kirchlichen Zwecken dient, “gebunden” und damit nur sehr eingeschränkt disponierbar. So weist z. B. die Bilanz des Bistums Essen ein Eigenkapital in Höhe von 126 Mio. € aus, dieses ist aber komplett in Sachanlagen und immateriellen Vermögensgegenständen (wie Computersoftware) gebunden. Das Eigenkapital spiegelt daher den finanziellen Spielraum des Bistums nicht sachgerecht wieder.
Um dies zu berücksichtigen bietet es sich an, auf der Aktivseite der Bilanz zwischen “betriebsnotwendigem” und “realisierbarem” (d. h. veräußerbarem) Vermögen zu unterscheiden. Ohne weitergehende Informationen ist davon auszugehen, dass nur die Wertpapiere des Anlagevermögens veräußerbar sind. Denn andere Finanzanlagen wie Beteiligungen werden oft zu kirchlichen Zwecken eingegangen. (Z. B. die oben erwähnte Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft, die “zur Versorgung breiter Bevölkerungskreise und besonderer Gruppen mit preiswerten Wohnungen” beitragen soll.)
Auch Darlehen (ebenfalls als Finanzanlagen bilanziert) werden üblicherweise für kirchliche Zwecke (z. B. an andere kirchliche Einheiten) vergeben. Und auf das Umlaufvermögen (Vorräte, Forderungen, Kassenbestände und Guthaben) kann ebenfalls nicht verzichtet werden, ohne das Bistum lahmzulegen. Denn Kassenbestände und Bankguthaben werden zur Sicherstellung des Zahlungsverkehrs benötigt. Ohne nähere Informationen muss also davon ausgegangen werden, dass das gesamte Vermögen außer den Wertpapieren des Anlagevermögens betriebsnotwendig ist. Umgekehrt dürfen zumindest die Wertpapiere als veräußerbar gelten.
Die Bindung des kirchlichen Eigenkapitals lässt sich nun berücksichtigen, indem das Eigenkapital in “betriebsnotwendiges Eigenkapital” und “disponierbares Eigenkapital” aufgeteilt wird. Das disponierbare Eigenkapital ergibt sich aus der Differenz zwischen Eigenkapital und betriebsnotwendigem Vermögen. Sein Wert ist kleiner als der der Finanzanlagen, die nicht komplett disponibel sind, weil zumindest ein Teil der Finanzanlagen benötigt wird, um die Rückstellungen (v. a. Pensionsrückstellungen) zu unterlegen.
Weshalb Kirchenbilanzen so hohe Finanzanlagen aufweisen (müssen)
Da sich langfristige Rückstellungen (wie Pensionsrückstellungen) verzinsen müssen, müssen nicht gewinnorientiert arbeitende Organisationen wie die Kirchen diese Passivpositionen auf der Aktivseite mit rentierlichen Geldanlagen (Finanzanlagen) unterlegen, um die bei der Berechnung der Rückstellungen angenommene Rendite auch tatsächlich zu erreichen und das Geld bei Fälligkeit auch wirklich auszahlen zu können. (Man will ja nicht das Pfarrhaus verkaufen müssen, um das Geld für die Pension des Pfarrers zu bekommen.) Aus diesem Grund beinhalten kirchliche Bilanzen auf der Aktivseite üblicherweise hohe Finanzanlagen, die den Wert des Sachvermögens durchaus übersteigen können, und wie man es in dieser Weise von Unternehmensbilanzen nicht kennt.
Dies liegt daran, dass bei Unternehmen im Normalfall das betriebsnotwendige Vermögen selbst (Gebäude, Maschinen, Fuhrpark usw.) die Rendite in Form von Gewinnen erwirtschaftet, während Kirchen- oder Kindergartengebäude keine Rendite abwerfen. Beim Bistum Trier z. B. beträgt der Wert der Sachanlagen mit 185 Mio. nur rund ein Drittel der Finanzanlagen (543 Mio.). Diesen stehen dann allerdings auf der Passivseite auch Rückstellungen in Höhe von immerhin 409 Mio. gegenüber.
Werden die obigen Aspekte bei der Beurteilung der Vermögenslage nicht berücksichtigt, weil man z. B. nur Unternehmensbilanzen gewohnt ist, so erscheinen viele Bistümer auf den ersten Blick sehr “reich”, weil sie Eigenkapital in dreistelliger Millionenhöhe und hohe Wertpapierbestände ausweisen. Beim Bistum Essen zeigt sich allerdings, dass den Rückstellungen in Höhe von 95 Mio. Euro lediglich Finanzanlagen von 50 Mio. Euro gegenüberstehen. Auch dies lässt die Vermögenslage des Bistums eher düster erscheinen – zumindest, soweit sich das aus der Bistumsbilanz erkennen lässt.
Vergleich des “disponierbaren Eigenkapitals” deutscher Bistümer
Untergliedert man nun das Eigenkapital der Bistümer auf die oben beschriebene Weise, so ergibt sich folgendes Bild:
Das “disponierbare Eigenkapital” erscheint auch deshalb als Vergleichsgröße gut geeignet, weil es viele “Unschärfen” bei der schwierigen Bewertung des kirchenspezifischen Sachvermögens (z. B. Kirchengebäude) neutralisiert. Denn das kirchliche Vermögen erhöht zwar den Wert der Sachanlagen auf der Aktivseite der Bilanz, erhöht aber in gleichem Maße auch den Wert des betriebsnotwendigen Eigenkapitals. Dadurch ist der Wert des disponierbaren Eigenkapitals unabhängig davon, ob z. B. eine Kirche mit 1 Euro Erinnerungswert angesetzt wird oder mit einem höheren Wert (falls die Baukosten ermittelt oder abgeschätzt wurden).
Ebenso vermindern zwar beim Bistum Hildesheim die in der Bilanz nicht angesetzten Grundstücke und Gebäude dessen Sachvermögen, entsprechend niedrig ist dann aber auch das betriebsnotwendige Eigenkapital, so dass die Vergleichsgröße “disponierbares Eigenkapital” von diesem Versäumnis nicht beeinträchtigt wird. Und beim Bistum Essen würde z. B. die oben erwähnte Höherbewertung der Beteiligung an der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft sich ebenso im betriebsnotwendigen Eigenkapital niederschlagen, so dass auch hier das disponierbare Eigenkapital unbeeinflusst bliebe.
Berechnet man zum besseren Vergleich wieder das disponierbare Eigenkapital pro Kopf, so zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen des Bistümern. Zumindest ausweislich der Bilanzen ist der finanzielle Spielraum der Bistümer Essen und Speyer offenbar stark eingeschränkt. Auf der anderen Seite wird die herausragende finanzielle Stärke des Bistums Limburg deutlich. Etwas anderes war allerdings auch nicht zu erwarten, denn wenn es dem Bistum mit dem höchsten Pro-Kopf-Kirchensteueraufkommen in Deutschland nicht möglich wäre, über die Jahrzehnte hinweg deutliche Reserven anzusammeln, müssten die anderen Bistümer wohl schon pleite gegangen sein.
Um sich wieder finanziellen Spielraum zu verschaffen, können die Bistümer Essen und Speyer zwei Dinge tun: Zum Einen können Sie prüfen, welche Teile des kirchlichen Vermögens vielleicht doch veräußerbar sind. So hat das Bistum Essen tatsächlich vor einigen Jahren versucht, seine Anteile an der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft den Bistümern, die die übrigen Anteile halten, zu verkaufen. Die andere Strategie besteht darin, sich durch das Erwirtschaften jährlicher Überschüsse langsam wieder aus dem finanziellen “Loch” herauszuarbeiten.
Hierzu wird in Teil 2 die Ertragslage der Bistümer untersucht.