Wie die Kirche immer reicher wird

Behandlung von Überschüssen in Theorie …

Die Überschüsse müssen allerdings nicht zwangsläufig beim Bistum verbleiben. Vielmehr hat man sich das Vorgehen grundsätzlich so vorzustellen:

Das Bistum Sankt Doppik stellt bei der Endabrechnung des vorigen Haushaltsjahres fest, dass die tatsächlichen Erträge um 1 Mio. Euro höher lagen als geplant. Da die Aufwendungen exakt so hoch waren wie geplant, ergibt sich somit “doppisch” ein Jahresüberschuss (Erträge minus Aufwendungen) von 1 Mio. Euro. Dieser Überschuss erhöht im doppischen Jahresabschluss das Eigenkapital.

Im Gegensatz dazu wird aus “haushalterischer” Sicht überlegt, wie sich die zusätzlichen Mittel verwenden lassen. Das Bistum entscheidet, die Mittel im aktuell laufenden Haushaltsjahr (also dem “Folgejahr” des vorigen Haushalts) dazu zu verwenden, Doppik-Schulungen für die kirchlich Beschäftigten im Bistum abzuhalten. Da die Mittel zwar im Vorjahr eingenommen wurden, aber nicht mehr im gleichen Jahr ausgegeben werden konnten, werden sie doppisch in eine spezielle Rücklage (Eigenkapital) für Budgetreste gebucht. Dadurch erhöhen die Mehreinnahmen “doppisch” das Eigenkapital (und den Jahresüberschuss), gelten aber “haushalterisch” bereits als “verbraucht”, denn sie wurden ja für einen bestimmten Zweck veranschlagt. Dadurch gelten alle im Vorjahr eingenommenen Mittel auch tatsächlich im Haushalt des selben Jahres als “verbraucht”, obwohl das Geld noch gar nicht ausgegeben wurde.

Die Schulungsmaßnahmen verursachen nun im laufenden Haushaltsjahr Mehraufwendungen in der veranschlagten Höhe von 1 Mio. Euro. Da die im Haushaltsplan für dieses Jahr geplanten Erträge und Aufwendungen exakt eingehalten wurden, nun aber zusätzlich die Schulungen durchgeführt wurden, ergibt sich “doppisch” ein Jahresfehlbetrag von 1 Mio. Euro. Dieser geht zu Lasten des Eigenkapitals, und zwar zu Lasten der Rücklage für Budgetreste, die im Vorjahresabschluss extra für diese Maßnahme gebildet wurde. Die Erhöhung des Eigenkapitals im einen Jahr (Jahresüberschuss) wurde also durch die Minderung des Eigenkapitals im Folgejahr (Jahresfehlbetrag) wieder ausgeglichen. Insgesamt ist das Eigenkapital nach zwei Jahren unverändert. Alle eingenommenen Mittel wurden verbraucht. Der erste Haushalt war im Ergebnis um 1 Mio. höher als geplant, der zweite verlief exakt wie geplant. Das Bistum Sankt Doppik ist genauso vermögend wie zwei Jahre zuvor. (Aber die Beschäftigten kennen sich jetzt besser mit der Doppik aus.)

… und Praxis …

Die Praxis sieht allerdings anders aus. Bistümer, die auf das doppische Rechnungswesen umgestellt haben, können Überschüsse entweder für bestimmte Zwecke vorsehen (dann fließen sie in die Rücklagen für Budgetreste oder zweckgebundene Rücklagen), oder den allgemeinen Rücklagen zufließen lassen. Auf die Vermögenslage des Bistums hat dies keinen Einfluss, weil sämtliche Rücklagen, seien sie allgemein, zweckgebunden oder für Budgetreste, Bestandteil des Eigenkapitals sind. Aus haushälterischer Sicht ist es natürlich so, dass zweckgebundene und Budgetrücklagen nicht mehr für andere Zwecke ausgegeben werden können. Das ändert aber nichts an der Vermögenslage des Bistums, denn für den Zweck des Jahresabschlusses, die Vermittlung der “tatsächlichen Vermögens- Finanz- und Ertragslage” des Bistums, können nur Aufwendungen berücksichtigt werden, die bereits erfolgt sind.

Dagegen dürfen Aufwendungen, die lediglich für die Zukunft geplant oder irgendwie denkbar sind, bei der Ermittlung der Vermögens- und Ertragslage nicht berücksichtigt werden, da sie “doppisch” zukünftigen Jahren zuzurechnen sind und die Zukunft überdies nicht klar abgegrenzt ist, so dass bei Hinzunahme geplanter oder möglicher zukünftiger Aufwendungen überhaupt kein objektives Bild mehr zustande käme. Den haushalterischen Bedürfnissen (Zweckbindung) wird durch die Bildung der Rücklagen Rechnung getragen. So handhaben es die Bistümer Hamburg, Hildesheim, Essen und Trier.

… und die Praxis in Limburg und Speyer

In Limburg und Speyer hingegen werden die Rücklagen zwar auch gebildet, in der Bilanz aber separat vom Eigenkapital ausgewiesen. Damit gelten für zukünftige Jahre veranschlagte Mittel nicht nur haushälterisch, sondern auch “doppisch” bereits in dem Jahr als verbraucht, in dem sie verplant wurden. Somit wird das Eigenkapital in den Bilanzen der Bistümer Limburg und Speyer zu niedrig ausgewiesen.

Limburg und Speyer werden nun einwenden: Wenn die Rücklagen beim Eigenkapital ausgewiesen werden, erscheint das Eigenkapital zu hoch, denn diese Mittel sind ja nicht mehr verfügbar, sondern eigentlich schon “so gut wie” ausgegeben. Aber hier wird fälschlich versucht, die haushälterische Sichtweise dem Jahresabschluss überzustülpen.

Für ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild kommt es nicht darauf an, ob das Geld schon “so gut wie ausgegeben” ist: Ein Bistum (wie Limburg) mit einer “Betriebsmittelrücklage” von 20 Mio. und einer “Ausgleichsrücklage” von 80 Mio. ist nun einmal 100 Mio. vermögender als ein Bistum, das keine solchen Rücklagen hat. Besonders deutlich wird das auch an der Limburger “Clearing-Schwankungsreserve” in Höhe von 53 Mio. Euro, die getrennt vom Eigenkapital bilanziert wird.

Die übrigen Bistümer unterliegen genauso dem Risiko der unvorhersehbaren Clearing-Nachzahlungen (oder Erstattungen). Auch, wenn Clearing-Nachzahlungen mitunter ein “Schlag ins Kontor” sein können, ist der Erwartungswert für dieses Risiko doch Null, denn die Clearingabrechnung kann ebenso gut zu Erstattungen führen. Wenn das Bistum Limburg für dieses Risiko 53 Mio. Euro beiseite legen kann, ist das ein Zeichen finanzieller Stärke und muss daher dem Eigenkapital zugeordnet werden. Andernfalls wird die Vermögenslage des Bistums nicht richtig dargestellt und es ist auch kein sinnvoller Vergleich mit anderen Bistümern mehr möglich, wenn jedes Bistum das bilanzielle Eigenkapital durch die Bildung oder Auflösung von Rücklagen nach eigenem Ermessen beeinflussen kann. Die Bildung solcher Rücklagen ist durchaus sinnvoll. Die Kritik richtet sich nur dagegen, dass der Zweck des Jahresabschlusses praktisch ad absurdum geführt wird, wenn die Rücklagen in der Bilanz nicht als Bestandteil des Eigenkapitals ausgewiesen werden, sondern getrennt davon.

Eine “Bugwelle” verplanter, aber noch nicht ausgegebener Mittel

Hinzu kommt, dass Bistümer, die sich scheuen, das Eigenkapital (oder die “Allgemeine Rücklage”) zu erhöhen, auf die Idee kommen könnten, stattdessen pro forma immer mehr Geld in zweckgebundene oder Budgetrücklagen zu stecken und damit sozusagen eine immer größere “Bugwelle” unverbrauchter Mittel vor sich her zu schieben. Diese Mittel dürfen beim Vergleich der Vermögenslage nicht außen vor bleiben.

Womit wir wieder beim Thema “Jahresüberschüsse” sind: Das Beispiel mit dem Bistum Sankt Doppik sollte nämlich auch verdeutlichen, dass der eingeplante spätere Verbrauch von Mitteln in den jeweiligen Jahren zu einem Abbau der Rücklagen – und damit zu einer Verringerung des Eigenkapitals, also einem Jahresdefizit – führen müsste. Wenn aber immer und überall nur Jahresüberschüsse gemacht werden, bedeutet das, dass die Mittel tatsächlich gar nicht in voller Höhe ausgegeben werden.

Bei ausgeglichenen Haushalten wäre zu erwarten, dass die zweckgebundenen und Budgetrücklagen um ein gewisses Niveau auf- und abpendeln: Zwar werden jedes Jahr Mittel aus Vorjahren abgerufen und neue eingestellt, insgesamt sollte sich das aber über die Jahre hinweg die Waage halten. Stattdessen scheint es – zumindest den vorliegenden Jahresabschlüssen zufolge – allerdings immer nur Überschüsse zu geben. Das heißt nichts anderes, als dass die eingenommenen Mittel systematisch nicht komplett verbraucht werden, sondern dem Bistumsvermögen zugeführt werden.

“Nachhaltigkeit” und “Substanzstärkung”

In den kirchlichen Veröffentlichungen wird das mitunter nicht so deutlich gesagt. So ist z. B. im Finanzbericht des Bistums Limburg an einer Stelle (S. 34) von Kirchensteuermitteln die Rede, die “für nachhaltige, investive und substanzstärkende Maßnahmen zur Verfügung” stehen. “Substanzstärkend” heißt nichts anderes, als dass sie dem Bistumsvermögen zugeführt werden. “Nachhaltig” bedeutet dasselbe, deutet aber an, dass zumindest die Erträge dieses Vermögens wieder für kirchliche Zwecke ausgegeben werden sollen.

“Verwendet” ist nicht gleich “verbraucht”

Limburger Katholiken, die den Geschäftsbericht des Bistums lesen, dürfen sich freuen, dass ihre Kirchensteuer komplett für kirchliche Zwecke “verwendet” wird (S. 38 “Verwendung der Kirchensteuer”). In dem Abschnitt des Finanzberichts, der “die Verwendung der Kirchensteuer transparent” machen soll, muss man sehr genau hinsehen. 13,3 Prozent der Kirchensteuer (25,5 Mio. € Euro) werden “zur nachhaltigen Finanzierung kirchengemeindlicher Baumaßnahmen” eingesetzt – das wird nichts anderes bedeuten, als dass das Geld in Wertpapieren angelegt wird, deren Erträge dann irgendwann einmal zur Finanzierung von Baumaßnahmen verwendet werden sollen.

“Vorsorge”

Immerhin wird im Limburger Finanzbericht an anderer Stelle klar gesagt: “Nicht zuletzt wurde auch das allgemeine Vermögen des Bistums nachhaltig aufgebaut, um aus der wirtschaftlichen Kernsubstanz heraus eigene Erträge zu erwirtschaften, die rückläufige Kirchensteuern zumindest teilweise kompensieren können.” (S. 57)

Es ist natürlich richtig, dass die Kirche umfangreiche Verpflichtungen hat – sowohl für ihr Personal als auch für Gebäude. Im Prinzip hat wohl jeder Verständnis dafür, dass die Kirchen Finanzanlagen halten, um sich von der schwer vorhersehbaren (und tendenziell wohl eher negativen) Entwicklung der Kirchensteuer zumindest teilweise etwas unabhängiger zu machen. Trotz eines langfristigen, stetigen jährlichen Mitgliederschwundes in der Größenordnung von einem Prozent (durch Kirchenaustritte und Sterbeüberschuss) hat sich das Kirchensteueraufkommen allerdings bisher (zumindest nominell) als recht stabil erwiesen.

Obwohl sich allerdings die Anzeichen des langjährigen Mitgliederschwunds aller Orten deutlich bemerkbar machen (z. B. durch Kirchenschließungen und Zusammenlegung von Pfarreien), gelang es dem Bistum Limburg immer noch, einen Überschuss in der Größenordnung von 10 Prozent zu erwirtschaften. Bei Erzbistum Hamburg beträgt die Größenordnung über Jahre hinweg 20 Prozent. Das heißt, dem Bistum Limburg müssten erst einmal 10 Prozent seiner Katholiken (oder zumindest seiner Kirchensteuerzahler) von der Fahne gehen, bevor man sich dort um ein Defizit überhaupt Gedanken machen müsste. Erst bei einem noch weiter gehenden Rückgang der Kirchenmitglieder müssten, sofern keine strukturellen Anpassungen beim Personal und den Gebäuden getroffen werden, die Erträge aus den “Nachhaltigkeitsreserven” zum Einsatz kommen. Bei anderen Bistümern mag das freilich anders sein.

Fazit

Die eher düsteren Aussichten, zumindest was die Mitgliederentwicklung angeht, ändern allerdings nichts an der Tatsache dass die hier untersuchten Bistümer – insbesondere Hamburg und Limburg, bei Trier müssen weitere Jahresabschlüsse abgewartet werden – bisher jedenfalls noch erkleckliche Überschüsse erwirtschaften und das Vermögen der Bistümer sich – soweit sich das bisher anhand der Jahresabschlüsse beurteilen lässt – stetig erhöht.

Die in den obigen Darstellungen ausgewiesene “Umsatzrendite” entspricht zugleich dem Mitgliederschwund, den das jeweilige Bistum rechnerisch verkraften kann, bevor es überhaupt in die Gefahr eines Defizits gerät. Da diese Werte jedoch erheblichen Schwankungen unterliegen dürften, müssten hier Durchschnittswerte mehrerer Jahre gebildet werden. Es deutet jedenfalls vieles darauf hin, dass die katholischen Bistümer systematisch Überschüsse erwirtschaften, indem Teile der Kirchensteuer einbehalten und dem Bistumsvermögen zugeführt werden. (Auch, wenn das gerne unter den Begriffen “Vorsorge” und “Nachhaltigkeit” getan wird.)

Angesichts von Sparprogrammen, Kirchenschließungen und Pfarrzusammenlegungen mag sich mancher Katholik fragen, wann die Rücklagen, die die Bistümer gebildet haben, eigentlich mal zum Einsatz kommen sollen, wenn nicht jetzt – oder ob man nicht wenigstens die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel komplett wieder ausgeben könnte, statt Teile davon für immer noch mehr “Vorsorge” einzubehalten. Aber diese Fragen müssen andere beantworten.