Interview mit Bodo Wartke

"Religionen eignen sich hervorragend dafür, missbraucht zu werden"

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Klavierkabarettist Bodo Wartke
Bodo Wartke

Heute erscheint eine neue Folge des Podcasts des Instituts für populärwissenschaftlichen Diskurs Kortizes. Helmut Fink, Direktor der Akademie für säkularen Humanismus und Kortizes-Referent für Wissenschaft und Philosophie, sprach diesmal mit dem Musik-Kabarettisten Bodo Wartke. Der hpd veröffentlicht das Gespräch in Auszügen.

Helmut Fink: Ich habe heute in unserem Podcast "Freigeist" die Ehre, mit dem bekannten Klavier- und Sprachkünstler Bodo Wartke zu sprechen. Herr Wartke, seien Sie gegrüßt!

Bodo Wartke: Hallo.

Sie sind Klavierkabarettist, man kennt Sie von "Songs an einem Sommerabend" bei Kloster Banz, von Auftritten quer durch Deutschland und quer durchs Internet oder von viel zu seltenen Fernsehauftritten. Ich darf gleich mitten in eines unserer Hauptthemen springen: In einem Ihrer aktuellen Lieder "Das Land, in dem ich leben will" nennen Sie drei Grundwerte: Frieden, Freiheit, Humanismus. Was verstehen Sie unter und was bedeutet Ihnen Humanismus?

Also, um es in meinen eigenen Worten zu umschreiben: Alles, was dem menschlichen Miteinander dient. So würde ich Humanismus beschreiben. Dass wir einfach miteinander klarkommen und füreinander da sind und Sachen hinkriegen, die alleine nicht gehen.

Nun wird Humanismus ja manchmal weltanschaulich zugespitzt als ausdrücklich nicht-religiöse Lebensauffassung, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht, aber rein diesseitig, ohne Transzendenzgebaren, ohne jenseitige Verankerung. Und andererseits gab es historisch aber auch einen christlichen Humanismus. Was sind denn nach Ihrer Auffassung die wichtigsten Quellen unserer mitmenschlichen Werte und der Gemeinschaftsbildung?

Für mich stellen tatsächlich Humanismus und Religiosität auch keinen Gegensatz dar. Im Idealfall überschneidet sich das. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass letztendlich die Religionen auch Gutes im Sinn hatten und genau die gleichen Ideen – und geguckt haben: "Okay, was können wir Menschen tun, dass wir miteinander klarkommen und dass unser Überleben hier gesichert ist in der Natur, mit der Natur? Was können wir tun, was dem Leben dient und dem Überleben? Und nicht nur unserem, sondern dem Überleben von allem, was da ist." Und letztendlich ja auch Teil der Schöpfung, wenn man es religiös betrachten möchte. Da frage ich mich bis heute: Wie konnte das denn bitte so sehr aus dem Ruder laufen? Was ist da denn schief gegangen? (lacht) Jetzt habe ich mich ein bisschen von der Frage entfernt, Entschuldigung.

Das macht nichts, wir landen automatisch beim Thema Religionskritik (lacht). Da wollte ich ohnehin fragen: Ein anderes Ihrer Lieder heißt ja "Die heiligen Schriften 2.0" und darin fordern Sie ein Update der sogenannten heiligen Bücher wegen Missbrauchsgefahr dieser Texte – zum Thema Missbrauch kommen wir dann auch noch, aber hier geht es erst mal um das Textverständnis. Sie positionieren sich deutlich gegen die moralische Überheblichkeit und verbiesterte Verbotssucht mancher Religionsvertreter. Etwa auch in Ihrem Lied "Nicht in meinem Namen". Wie sind Sie zu diesen Auffassungen gekommen? Haben Sie sich mit religiösen Inhalten beschäftigt oder sind Sie einfach vom öffentlichen Auftreten von Kirchenfürsten enttäuscht? Oder war es der Missbrauchsskandal? Was hat Ihren letztlich ja doch recht kritischen Blick auf die gegenwärtigen Religionen ausgelöst?

Sie haben ja jetzt gerade schon mehrere Lieder benannt, die sich mit dem Thema befassen. Da kam halt eins zum anderen, was die jeweiligen Auslöser gegeben hat, mich in Liedform damit zu beschäftigen. Auch viel Enttäuschung, viel Empörung und Wut, wie das eben sein kann, wie ich gerade eben sagte, dass etwas an und für sich gut ist, was mit Sicherheit in bester Absicht ersonnen wurde, so missbraucht werden kann. Wie kann das denn sein? Und dass eben – also bei den Büchern denke ich, macht es den entscheidenden Unterschied, wer sie liest. Man kann darin Gutes finden, man kann darin aber auch viel Schlechtes finden. Und die sind ja einfach sehr ambivalent formuliert und mitunter recht blumig und mitunter nach heutigen Maßstäben gemessen … (lacht) schwierig. Das trifft auf die Bibel ganz genauso zu, also was da zum Teil so drinsteht – ich habe sie jetzt nicht komplett gelesen, aber ich kenne sie in Auszügen und man denkt so: Ach herrjemine! Und vernünftige Leute wissen das natürlich einzuordnen und lesen das … "Ja, na okay, ja das ist ja zu einer ganz bestimmten Zeit entstanden, damit ist eigentlich dieses und jenes gemeint, hm hm hm hm. Aufgrund dessen, was hier drinsteht, würden wir jetzt nicht auf die Idee kommen loszulaufen und alle Ungläubigen zu töten. Auch wenn es da steht."

Ja, oder alle Homosexuellen.

Zum Beispiel. Ich habe halt auch sehr positive Erfahrungen mit Glauben gemacht. Da gab es so drei prägende Erlebnisse. Soll ich die kurz erzählen?

Ja, das schadet gar nicht. Ich glaube eines davon kenne ich. Das hat mit einem Kirchentag zu tun. Aber erzählen Sie selber.

Genau. Also der Kirchentag 2011. Für den wurde ich angefragt, das Mottolied zu schreiben. Das Mottolied ist im Grunde die Vertonung des jeweiligen Mottos. Jeder Kirchentag hat ein anderes Bibelzitat als Motto. Das Zitat in dem Jahr war: "… da wird auch dein Herz sein." Das ist der zweite Teil eines Satzes, der da lautet: "Da wo dein Schatz ist, wird auch dein Herz sein." Man muss erst mal wissen, wie das gemeint ist. Nämlich – also was ist überhaupt mit "Schatz" gemeint?

"Alles, was dem menschlichen
Miteinander dient. So würde ich
Humanismus beschreiben."
Bodo Wartke

[…] Schatz kann eben nicht nur eine Truhe mit Goldstücken sein, sondern alles, was einem wertvoll ist und viel bedeutet. Letztendlich ist dieser Satz ein Aufruf dazu, sich diesen Dingen zu widmen. Also: Das, was man tut, aus Liebe zu tun, aus vollem Herzen zu tun und sich dieser Weise seinen Mitmenschen zu nähern und das Leben zu betrachten. Und da dachte ich: Genau mein Thema. Darum geht es auch in meinen Liedern, siehe etwa mein Lied "Das falsche Pferd", mein Lied "Das Motiv". Die Quintessenz des Liedes ist "Tue, was du tust, aus Liebe, tue es nicht aus Angst". Dann habe ich gedacht: Ja, das ist doch cool, da habe ich Bock drauf mich mit zu beschäftigen.

Nun widmet sich das Lied erst mal der Exegese dieses Satzes. Also, der ist halt etwas sperriger in der Bibel formuliert, als ich es formulieren würde. Also würde man mich die Bibel schreiben lassen (lacht), dann würde die sich erst mal reimen, wäre deutlich unterhaltsamer und ein bisschen mehr auf den Punkt. Und wahrscheinlich auch vertont. Naja, ich habe mir da halt einen großen Spaß draus gemacht. Also erst mal, klar, auf den Punkt zu bringen: Was ist damit überhaupt gemeint? Und dann halt auch so ein bisschen Schindluder damit zu treiben. Es gibt so eine Langversion des Liedes, wo ich so ein bisschen Quatsch mache und viel mit Worten spiele. Deswegen fand ich das tatsächlich sehr reizvoll, diesen Job anzunehmen.

Das stieß auf geteiltes Echo. Manche Leute waren der Meinung: Das ist ja viel zu viel Text, das kann man ja gar nicht mitsingen! Und ich habe halt gesagt: Ja gut, aber ihr habt halt mich gefragt, also kriegt ihr einen Bodo-Wartke-Song…

… und man kann mitdenken jedenfalls.

So, ja. Und andere fanden es eben gerade gut, wie das immer so ist. Also man kann es ja einfach nie allen recht machen. Ich habe das gerne gemacht und war deswegen auch dort auf dem Kirchentag und war sehr beeindruckt gleich bei der Eröffnungsveranstaltung am Elbufer in Dresden. Beide Uferseiten voll mit Leuten und auf der Elbe trieben Tausende von Papierschiffchen mit Teelichtern drin. Ein unglaublich stimmungsvolles Bild. Und wie ich dann später erfahren habe: Die wurden alle wieder eingesammelt – so Umweltschutz, Nachhaltigkeit, ganz wichtiges Thema.

Und während man da steht, im Pulk mit Tausenden Leuten – so etwas finde ich normalerweise sehr beängstigend. Man ist beengt, die Stimmung ist latent aggressiv, die Leute sind besoffen, es ist unangenehm. Und da war das ganz anders. Alle achten aufeinander, passen aufeinander auf, geben sich gegenseitig Feuer für ihre Kerzen, gucken, dass es allen gut geht – und ich war extrem beeindruckt. Das hatte ich so noch nie erlebt, dass ein Menschenauflauf eben auch so sein kann.

Das war das Erste. Dann habe ich auch an Veranstaltungen teilgenommen, an Diskussionen, an Vorträgen, habe mir Shows von Kollegen angeschaut und da ging es damals schon, vor zehn Jahren, um die drängenden Probleme der heutigen Zeit: Umweltschutz, Klimawandel, Migration: Wie kriegen wir die drängenden Probleme der Menschheit in den Griff? Das war eben kein "Heititei, hey, wir machen alles so wie vor Tausend Jahren schon! Was damals gut war, kann doch heute nicht schlecht sein und es soll sich bitte gar nichts ändern!" Also, ja, die Bestätigung eines vor Jahrhunderten schon eingemeißelten Weltbilds, so war das eben nicht. Es ging wirklich um die Frage: Was können wir jetzt tun? Und wie ist das mit christlichen Werten vereinbar?

Das war eine Zeitansage zur Verantwortung, sozusagen.

Genau. Und das fand ich sehr beeindruckend und war eben vorher – ich würde mich selbst als passiv evangelisch bezeichnen. Ich bin halt getauft und konfirmiert und beides zu einem Zeitpunkt, wo ich überhaupt nicht in der Lage war, intellektuell zu erfassen: Was bedeutet das überhaupt, was bedeutet es mir, was bedeutet es Christ zu sein, will ich da mitmachen? Man macht halt so mit.

Das ist der Normalfall, ja.

Man kriegt halt auch Geschenke und die anderen machen das auch, ist doch cool. Man zieht was Schickes an: Konfirmation. So. Im Gottesdienst war ich auch nie. Wenn überhaupt mal zu Weihnachten und ich fand es wahnsinnig langweilig und unglaublich betulich. Und die erste andere Erfahrung, die ich gemacht habe in dieser Richtung, war 2014, als ich in New York war. Da wollte ich immer mal hin und 2014 hatte sich das ergeben. […] Und es war keine Sekunde langweilig. Nach der Predigt war die Pastorin schweißgebadet, weil die das auch wirklich meint, was sie da sagt und zutiefst davon überzeugt ist. Mitmenschlichkeit ist wichtig, Humanismus ist wichtig.

Und das dritte Erlebnis, das positive Erlebnis, das ich hatte, war, als kurz zuvor im Jahr 2014 meine Mutter gestorben war und ich mit dem Pastor sprach über den Trauergottesdienst. Und bevor dieser Trauergottesdienst dann begann, fand der Pastor heraus, dass meine Mutter aus der Kirche ausgetreten war. Das hatte ich selber komplett vergessen. Das wusste ich nicht mehr. Das hatte sie mir irgendwann mal erzählt, also aus irgendeinem Grund war meine Mutter sehr enttäuscht von der Kirche. Vielleicht wollte sie auch einfach nur Steuern sparen (lacht), ich weiß es nicht. Jedenfalls war sie ausgetreten. Ab dann darf eigentlich der Pastor den Trauergottesdienst nicht im Talar abhalten, erfuhr ich. Hat er aber trotzdem gemacht. Weil er dachte: "Scheiß drauf, das ist jetzt hier meine mitmenschliche Pflicht. Also, es ist ja auch bescheuert, jetzt den Talar auszuziehen, was soll das, hier ist ein Mensch gestorben und ich habe was dazu zu sagen und ich ziehe das jetzt durch." Die Vernunft und die Mitmenschlichkeit haben gesiegt über das Dogma. Das fand ich super von dem. Ganz toller Typ, vor dem ziehe ich meinen Hut. Und da habe ich gemerkt: Guck mal. So kann Glauben nämlich auch sein.

Er hat damit natürlich auch seine Rolle aufrechterhalten. Das war ja nicht gegen seine Interessen.

Ne.

Aber wenn alle damit zufrieden sind, ist es gut. Ich kann das Atmosphärische absolut nachvollziehen. Die emotionale Seite des Ganzen. […] Aber wie sieht es denn aus mit der Schlüssigkeit des Gedankengebäudes, das dahintersteht? Haben Sie denn trotzdem Verständnis für Menschen, die die theologischen Verkündigungen und Redeweisen und manche Verdrehungen und Verschwurbelungen einfach für unklar halten und für inkonsistent und die dann auch mal ganz plakativ mit der Gegenforderung reagieren – nicht nur: "da wird dein Herz sein", sondern: "da wird auch dein Hirn sein"?

(Lacht) Ja, wie gesagt: Religion ist das, was man draus macht. Man kann Gutes tun für sich und andere mit Religion. Man kann aber auch Gutes tun für sich und andere ohne Religion. Die Entscheidung liegt bei einem selbst. In beiden Fällen kann man auch sein Hirn einsetzen und im Fall der Religion darüber hinwegsehen, dass das, was in den Schriften steht, vielleicht nicht ganz so klar ist. Es steht ja auch jedem frei, das nochmal umzuformulieren und (lacht) ein neues Evangelium zu ergänzen: "Ich habe es nochmal aufgeschrieben, so finde ich es besser!"

Das ist ein interessantes Verständnis von "heiligen Schriften".

"Man kann Gutes tun für sich und andere mit Religion. Man kann aber auch Gutes tun für sich und andere ohne Religion. Die Entscheidung liegt bei einem selbst."
Bodo Wartke

[…]

Ich muss nochmal zurückkommen zum Thema Kirche: Sie fordern humanistisches Verhalten von der Kirche ein. Sehr nachvollziehbar, vor allem von der katholischen, angesichts der schleppenden Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Ihr zugehöriges Lied – und wenn Sie ein Thema beschäftigt, dann gibt es ja immer mindestens ein zugehöriges Lied – heißt "Das System". Der Text ist erfrischend deutlich. Die Einnahmen aus dem Verkauf dieses Liedes gehen an den gemeinnützigen Verein Eckiger Tisch e. V., der den echten Missbrauchsopfern eine echte Stimme gibt. Was hat dieses Thema zu ihrem eigenen werden lassen?

Wie ich zu Beginn des Interviews schon sagte: Die Wut und Empörung darüber, dass ja nun die Fakten seit Jahren auf dem Tisch liegen und nichts passiert. Ich habe vor einiger Zeit inzwischen den Film "Spotlight" gesehen, der vollkommen zu Recht den Oscar gekriegt hat. Da geht es um die Aufdeckung der Missbrauchsskandale in Boston und um deren Ausmaß und wer da alles mit drinhängt. Auch auf politischer Ebene. Ein unfassbarer Skandal. Und das ist alles wahr, was in diesem Film gezeigt wird. "Spotlight" ist der Name einer investigativen Redaktion des Boston Globe, die sich heiklen Themen widmet und in akribischer Recherchearbeit diesen Skandal in seiner ganzen Tragweite aufgedeckt hat und da sind auch Köpfe gerollt.

Es zeigt sehr eindrücklich, wie perfide das System funktioniert. Also von langer Hand geplant. Also, wie ich in meinem Lied recht provokant sage: "Missbrauch ist dort gut für die Karriere". Darauf werde ich hin und wieder angesprochen und werde gefragt: "Stimmt das denn?" Und ich sage: "Zumindest schadet es der Karriere nicht." Dafür wird schon wirklich gesorgt, dass Täter vor Strafverfolgung sicher sind. Das fand ich so unfassbar empörend.

Und im Abspann des Films wird gezeigt – wenn die Schauspieler genannt werden und alle Mitwirkenden – zu Beginn des Abspanns wird gezeigt: "Fälle wie in Boston gab es übrigens auch in folgenden Städten: …" Und dann stehen da Hunderte von Städten! Mehrere Seiten! Und man denkt: "Das kann doch wohl nicht wahr sein!" Das fand ich nochmal umso krasser. Und ich glaube, damals ist bereits die Keimzelle in mir erwacht: "Ich muss darüber einen Song schreiben, allein um meines eigenen Seelenfriedens Willen."

Für mich ist ja Lieder zu schreiben auch ein kathartischer Akt oder ein Akt der Bewältigung, um mit Sachen klarzukommen oder sie zumindest zu sublimieren, indem es mir hoffentlich gelingt, die Scheiße in was Schönes zu verwandeln. Also, damit ist das Problem natürlich nicht weg. Aber es gibt den Song.

Das, was ich in diesem Lied sage, das ist ja nun auch nicht neu. Das weiß man ja, das weiß ich ja auch erst aufgrund von dann tatsächlich jahrelanger Recherche. Ich habe viel Zeitung gelesen, das sehr verfolgt. Zeit, Süddeutsche, Spiegel … und letztendlich sorge ich dafür, dass Erkenntnisse sich reimen und gut klingen.

Interessant zum Beispiel: Ich hatte einen ganz, ganz schönen Fernsehauftritt in der "Carolin Kebekus Show" mit diesem Lied. Die hat in ihrer Sendung auch alle Erkenntnisse toll recherchiert und ganz toll kabarettistisch aufgearbeitet. Das Lied war letztendlich dann nochmal die musikalische Zusammenfassung dessen, was vorher schon stattfand in der Sendung und dessen, was man eigentlich weiß. Trotzdem ist ein Lied nochmal was ganz anderes als zum Beispiel ein gelesener Zeitungsartikel. Oder eine wirklich gute Kabarett-Nummer. Ein Lied packt uns einfach nochmal woanders.

Ich habe neulich eine ganz tolle Definition gehört von jemandem – ich habe vergessen, wer das war. Der sagte: "Was macht Text? Text makes you think thoughts. Was macht Musik? Music makes you feel feelings. Was machen Songs mit Text? Songs make you feel thoughts." Also man erlebt das, was da gesagt wird, nochmal anders. Es geht einfach viel mehr unter die Haut und zu Herzen. Man ist dann eben nicht mehr nur mit dem Hirn beteiligt, sondern auch mit dem Herzen. Vielleicht sogar auch mit dem ganzen Körper, wenn die Musik einen wirklich packt.

Es erreicht Menschen nochmal anders und es erreicht vielleicht auch nochmal andere Menschen.

Genau. Und deswegen ist Musik einfach eine unheimlich wirkmächtige Kunstform im Idealfall. Also in der Hoffnung, damit ein Bewusstsein zu schaffen, dass sich was ändert. Damit endet ja das Lied: "Wie heißt es so schön: Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei vermögen uns am ehesten zu trösten, bei mir ist die Hoffnung derzeit ja am größten." Und das ist nicht zynisch gemeint, das ist wirklich ernst gemeint. Ich hoffe, dass sich was zum Guten ändert.

[…]

Sie sind deutlich, sehr zu Recht auch, gegenüber manchen Äußerungen aus islamistischem Umfeld, weil Ihnen die Freiheitsideale unserer Gesellschaft wichtig sind. Sie beziehen da Stellung. Das ist überaus begrüßenswert und es ist auch mutig. Können Sie denn noch behütet einschlafen oder haben Sie schon den Zorn derer auf sich gezogen, die da gemeint sind?

Ich glaube, dass sich Islamisten eher selten mit Klavierkabarett beschäftigen, deshalb wissen die vermutlich gar nicht, wer ich bin. Was ich nicht mache, auch wohlweislich, ist, Insignien ihres Glaubens angreifen. Salopp gesagt: Mohamed karikieren. Das mache ich nicht, das läge mir auch fern. Ich benenne halt das Prinzip dahinter. Letztendlich geht es mir um Faschismus. Ich habe ein Lied, das heißt "Die Lösung". In diesem Lied suche ich unterschiedliche Gruppen von Menschen auf, um sie zu fragen: "Habt ihr eine Lösung für die drängenden Probleme unserer Zeit?" […] Und das […] mündet dann in die Quintessenz des Liedes:

"Nationalisten, Islamisten, Fundamentalisten und Gangster-Rap-Artisten, haben wie mir scheint, viel mehr gemeinsam, als man meint

Die einen glauben an die Überlegen der Arier, die anderen an die Scharia, wieder andere an die Jungfrau Maria oder machen Drogendeals im Ferrari klar

Doch die kranken Gedanken sind die gleichen, in sämtlichen Lebensbereichen

Und das anscheinend, ganz autonom, von Hautfarbe, Herkunft und Religion."

Und das zeigt halt: Religion ist nicht das Problem. Religion ist auch nicht die Ursache für Faschismus. Wer Bock hat faschistisch zu sein, wird ihn überall finden. Sei es in der Religion, sei es im Kommunismus. Man kann auch vollkommen ohne Religion Faschist sein. Da liegt eigentlich die Ursache des Problems. Religionen sind nicht das Problem. Religionen eignen sich hervorragend dafür, missbraucht zu werden.

"Religion ist nicht das Problem.
Religion ist auch nicht die Ursache für Faschismus. Wer Bock hat faschistisch zu sein, wird ihn überall finden."
Bodo Wartke

[…]

In der Beschreibung des Landes, in dem Sie leben wollen, nennen Sie unter anderem auch die Trennung von Staat und Kirche. Das ist natürlich spannend, weil es politische Sprengkraft enthält. Dass die Säuglingstaufe problematisch sein kann, hatten wir schon erwähnt. Haben Sie denn eine Meinung zu Aspekten wie dem staatlichen Kirchensteuereinzug? Das sind ja letztlich Mitgliedsbeiträge einer Organisation. Was hat der Staat damit zu tun? Oder haben Sie eine Meinung zur Ablösung der altrechtlichen Staatsleistungen, die ja von den Ländern bezahlt werden seit dem 19. Jahrhundert? Die offizielle Begründung ist die Entschädigung für Säkularisationen und es gibt einen Verfassungsartikel, der eigentlich die Ablösung fordert. Oder Aspekte des kirchlichen Arbeitsrechts, wo ja dann insbesondere von der katholischen Kirche über den "besonderen Tendenzschutz" bis ins Privatleben der Angestellten von Caritas eingegriffen wird. Also: Da ist doch Reformbedarf, oder? Wie sehen Sie das?

Es steht einem ja frei, aus der Kirche auszutreten, wenn man keine Kirchensteuer bezahlen möchte. Also, es ist so gesehen kein Zwang, dem man unterliegt. Man kann sich dagegen entscheiden. Solange von der Kirchensteuer gute Sachen bezahlt werden, kann ich das durchaus befürworten. Da wünsche ich mir tatsächlich mehr Transparenz – dass man eben weiß: was wird denn jetzt eigentlich davon bezahlt? Zumal da ja auch wirklich viel Geld zusammenkommt. Damit kann man was Gutes machen. Geld ist ja im Idealfall ein soziales Gestaltungsmittel, mit dem man was Gutes bewirken kann, wenn man denn will.

[…] Ich finde erst mal gut, dass es solche Sachen gibt wie Caritas und Misereor. Ich finde, dass die sehr, sehr gute Sachen machen. Misereor – für die habe ich auch selber schon was gemacht und hatte ein bisschen Einblick dadurch, dass die Wise Guys mit Misereor viel gemacht haben. Also ich denke, dass die wirklich viel Gutes bewirken und das auch christlichen Idealen folgend.

Gestern hatte ich ein Gespräch mit einem Arzt, der mir erzählt hat, dass er in Straubing in einem Krankenhaus gearbeitet hat, christlicher Träger. Und ein Kollege von ihm dort nicht eingestellt wurde, weil er aus der Kirche ausgetreten war. Eigentlich top qualifiziert, genau den Arzt, den sie gebraucht hätten, und dann aber…"Ja mhh, du…sorry, wir können dich nicht nehmen, du bist aus der Kirche ausgetreten." Und da denke ich: Was für ein Quatsch! Dass diese Formalie mehr zählt als die Kompetenz dieses Arztes. Der ist dann tatsächlich wieder eingetreten, damit die den einstellen. Das zeigt in meinen Augen auch wirklich so die Bigotterie. Weil dann haben sie ihn tatsächlich eingestellt. Sie hätten ja auch sagen können: "Ne, du bist ausgetreten, sorry, wir nehmen dich nicht mehr." Da sind ja die Zeugen Jehovas sehr konsequent. Sobald man ausgestoßen ist, will man nichts mehr mit diesen Menschen zu tun haben (lacht). Das finde ich einfach echt beknackt.

Manche nennen das ja "Zwangskonfessionalisierung durch berufliche Abhängigkeit".

Ja, so. So kann man das auch nennen.

Und es gab ja Fälle, die vor dem Bundesarbeitsgericht und vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet sind. Etwa ein Chefarzt, der wieder geheiratet hat...

Ja, das geht natürlich gar nicht.

...und das geht nach katholischem Kirchenrecht nicht (lacht). Ja, solche Dinge meine ich, genau. Müsste man da nicht die Regeln, die für alle gelten und die grundgesetzlich verankert sind, auch im Binnenraum der Kirche stärker einfordern und durchsetzen?

Da wendet man dann ja auch eine Form von Zwang an. Das Schöne wäre natürlich, wenn einfach Einsicht herrschen würde. Ein Mensch ist nicht weniger wert, weil er sich hat scheiden lassen und eine andere Frau geheiratet hat oder einen Mann. Da denke ich mir, jetzt auch mal aus christlicher Perspektive gesprochen: Leute, ihr glaubt doch an die Schöpfung und das was der Herr oder die Dame oder wer auch immer hier erschaffen hat – sofern es denn so war – beruht auf dem Prinzip Vielfalt. Das ist das Prinzip des Lebendigen. Varianz und Vielfalt. Und wieso könnt ihr die Vielfalt nicht ertragen?

Varianz und Vielfalt klingt nach Evolution.

Ja.

Das war ja ein Kampf, dass die Evolution sich im Weltbild durchsetzen konnte.

Hat sie das denn? Ja noch nicht bei allen.

Nicht bei allen, aber in unserem Kulturkreis hoffentlich mehrheitlich schon (lacht). Ja, ich wollte zu den Sozialdienstleistungen, die tatsächlich oft hochwertig und sehr nützlich sind, noch sagen, dass die natürlich fast vollständig staatlich refinanziert sind und durch Nutzungsbeiträge und Versicherungsbeiträge und so weiter finanziert werden, nicht durch die Kirchensteuer.

Achso, guck an, das heißt … aha. Das heißt, die Kirchensteuer … achso, das ist ja interessant! (lacht)

Ja, die Kirchensteuer fließt in die Finanzierung des kirchlichen Kernpersonals und deren Pensionen und so weiter.

Und in das Haus von Herrn Tebartz-van Elst (lacht).

Unter anderem auch. Sondervermögen des bischöflichen Stuhls und solche Dinge: ja. Aber nicht so sehr in das, was man gesellschaftlich schätzt und braucht.

Ja, da muss man was machen. Das geht ja so nicht weiter.

[…]

Bodo Wartke, herzlichen Dank für das Gespräch.

Gern geschehen.

In voller Länge kann man den Podcast "Freigeist" auf der Website von Kortizes anhören, zu finden ist er auch in der Apple Podcast-App, bei Spotify, auf YouTube sowie bei Podcast.de.

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