Eine türkischstämmige Journalistin kritisiert die überdrehte Identitätspolitik

"Nicht mein Antirassismus"

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Schild auf Anti-Rassismus-Demonstration: "Weißes Schweigen ist Gewalt"
"Weißes Schweigen ist Gewalt"

In "Nicht mein Antirassismus" artikuliert die türkischstämmige Journalistin Canan Topçu ihren Unmut darüber, dass identitätspolitische Auffassungen häufig genug mit überdrehten Positionen einhergehen und sich monopolartig als Interessenvertreter für diskriminierte Minderheiten präsentierten. Leider sind ihre beachtenswerten und reflexionswürdigen Kommentare aber in eine etwas weitschweifige autobiographische Lebensbeschreibung integriert, wodurch die bedeutenden Kerninhalte nicht genügenden Raum erhalten.

Mit Identitätspolitik sollen Minderheiten vor Rassismus bewahrt werden. Doch können auch Angehörige von Minderheiten derartiges Vorgehen gar nicht gut finden. Sie kritisieren den Anspruch eines bestimmten Antirassismus, der dann nicht ihr Antirassismus ist. So hat das die Journalistin Canan Topçu in einem wirkungsreichen Zeitungsartikel getan: "Nicht mein Antirassismus" erschien am 25. September 2020 in der Süddeutschen Zeitung. Die einsetzenden Beleidigungen und Schmähungen von sich als gar so progressiv verstehenden Zeitgenossen konnte man erwarten. Ihre damaligen Betrachtungen hat sie jetzt zu einem eigenen Buch verlängert: "Nicht mein Antirassismus. Warum wir einander zuhören sollten, statt uns gegenseitig den Mund zu verbieten. Eine Ermutigung". Um es gleich zu Beginn der Rezension zu sagen: Die Autorin löst das im Untertitel enthaltene Versprechen nicht ein. Zumindest hat man es nicht mit einer systematischen Erörterung, sondern mit einer doch zu stark autobiographisch geprägten Schilderung zu tun.

Cover

In der Einleitung werden noch klare Positionen bezogen. Da heißt es etwa: "Wenn ich lese oder höre, dass man sich in dieser Gesellschaft als 'Nicht-Weißer' in ständiger Lebensgefahr befinde und dass das Leben an einem seidenen Faden hänge, dann frage ich mich ernsthaft, ob ich mit denen, die solchen Szenarien entwerfen, im selben Land lebe." Oder: "Bei etlichen, die sich zu Wort melden, werde ich aber auch den Verdacht nicht los, dass sie zu dick auftragen mit Rassismus und Diskriminierung – aus Kalkül, Kränkung oder anderen Ressentiments heraus und möglicherweise gar, um das persönliche Scheitern zu überdecken" (S. 10). Die Autorin leugnet reale Benachteiligungen, die Menschen mit Migrationshintergrund – einschließlich ihr selbst als türkischstämmige Frau – in der Gesellschaft erfahren, nicht. Sie bemerkt dazu aber auch: "Es kann, muss aber nicht jede Abweisung damit zusammenhängen, dass mein gegenüber rassistisch ist. Dieses Menschenbild ist nicht meines" (S. 11). Derartige Plattheiten liefen auf eine gesellschaftliche Spaltung hinaus.

Nach diesen einleitenden Ausführungen erwartet man eigentlich eine ausführlichere Begründung, die dann aber weder als reflektierender Essay noch als wissenschaftliche Studie folgt. Die Autorin berichtet aus ihrem Leben, aber kaum mit Bezügen zum eigentlichen Thema. Denn Diskriminierungen hat sie angesichts ihres türkischen Hintergrundes sehr wohl auch erfahren. Auf einschlägige Alltagserfahrungen einzugehen, wäre gerade bei autobiographischen Betrachtungen wichtig gewesen. Denn viele Angehörige der Mehrheitsgesellschaft nehmen Rassismus meist nicht wahr. Aus dem Blickwinkel von Diskriminierten sieht das dann bezogen auf die gesellschaftliche Realität anders aus. Stattdessen verweist die Autorin gelegentlich auf mediale Peinlichkeiten, etwa wenn ein Dieter Bohlen ein Gesangstalent penetrant und ungeschickt nach seiner Herkunft fragt. Leider enttäuscht die Autorin so ihre Leserschaft, hätte man sich doch eine stärkere Erläuterung eben ihres "Antirassismus"-Verständnisses gewünscht.

Gleichwohl werden in die erwähnten Berichte immer wieder reflexionswürdige Kommentare eingestreut. So geht es etwa um die problematische Formulierung vom "deutschen Volk", die von einer deutschen Bürgerin mit türkischem Familienhintergrund als soziale Herabwürdigung empfunden wird (vgl. S. 60). Auch ein in migrantischen Gesellschaften kursierendes Opferdenken kritisiert Topçu: Da würden "Meinungsbilder das Opfer-Sein zelebrieren und damit vor allem bei jungen Menschen mit Migrationsbezug Opfer-Narrative bestärken" (S. 81). Auch beklagt sie, dass manche Demonstranten nach den Hanau-Morden öffentlich für türkischen Nationalismus und islamistische Positionen warben (vgl. S. 94). Gerade über derartige Ausführungen lohnt die Debatte. Den kritisierten Entwicklungen wird Gelassenheit und Kommunikationsbereitschaft entgegengestellt, wobei Topçu aber sehr allgemein bleibt. Mit ihren Kommentaren ist sie eine wichtige Stimme, sie hätte sich im Buch aber mehr auf derartige Kerninhalte konzentrieren können.

Canan Topçu, Nicht mein Antirassismus, Köln 2021, Quadriga, 224 Seiten, 16,90 Euro

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