Rezension

"Links ≠ woke" – Eine leider missglückte Streitschrift

Die US-amerikanische Philosophin Susan Neiman postuliert in ihrer neuen Streitschrift "Links ≠ woke" einen entsprechenden Widerspruch. Zwar verweist sie überzeugend auf die Notwendigkeit des Universalismus, entwickelt aber eben gerade keine systematische Kritik am "Woken".

"Mich beschäftigt […], warum sich sogenannte linke Stimmen der Gegenwart von philosophischen Ideen verabschiedet haben, die für den linken Standpunkt von zentraler Bedeutung sind: ein Bekenntnis zum Universalismus statt zum Stammesdenken, eine klare Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit und Macht und die Überzeugung, dass Fortschritt möglich ist“ (S. 8). Gleich in der Einleitung schreibt Susan Neiman diesen Satz. Die ehemalige Professorin für Philosophie an den Universitäten Yale und Tel Aviv leitet seit 2000 das Einstein Forum in Potsdam und ist daher auch in Deutschland als Kommentatorin des Zeitgeschehens gut bekannt. Ihr neues Buch trägt den schlichten Titel "Links ≠ woke", die Originalausgabe ist ähnlich eindeutig: "Left Is Not Woke". Damit verbinden sich gleich zwei zentrale Aussagen: Neiman versteht sich dezidiert als Linke, und sie grenzt sich ebenso klar von den "Woken" ab. Diese Botschaft soll in ihrer Streitschrift vermittelt werden, welche von einer philosophischen Akademikerin stammt, aber nicht im streng wissenschaftlichen Sinne so ausgerichtet sein soll. Es geht um eine geistige Frontstellung!

Die Autorin will darin erklären, "wie die selbsternannte Linke von heute Kerngedanken hat fallenlassen, an denen jeder Linke festhalten sollte" (S. 9). Genau dieser selbstformulierten Aufgabe stellt sich Neiman dann aber nicht in einem systematischen Sinne. Sie postuliert zunächst den Gegensatz von "Linke" und "woke". Dabei bleibt indessen ihre Auffassung von Letztgenanntem eher diffus: Irgendwie ist damit eine Einstellung gemeint, welche auf die Diskriminierung von Minderheiten fixiert ist. Man möchte "wach" gegenüber einschlägigen Schmähungen und Stereotypen, Vorurteilen und Zerrbildern sein. Das ist aber keine grundsätzlich kritikwürdige Auffassung, ganz im Gegenteil, entspricht so etwas doch einem menschenrechtlichen Selbstverständnis. Gründe für ihre Kritik deutet Neiman an, sie werden aber nicht durch Argumente in einem systematischen Sinne veranschaulicht. Mit Andeutung ist hier "Stammesdenken" als Stichwort gemeint. Dieses spielt auf die Fixierung auf die eigene Gruppe an, verbunden mit einer Frontstellung gegen den Universalismus. Aber genau diesen bedeutsamen Gedanken formuliert Neiman dann nicht näher aus.

Zwar lautet gleich das erste Kapitel "Universalismus und Stammesdenken", aber eben dort findet sich das Angekündigte und Gemeinte dann doch nicht. Das kritische Ansinnen ist mehr als nur berechtigt, lässt sich doch durchaus eine Gruppenfixierung beobachten. Bei der Aufarbeitung dieser Entwicklung verstolpert sich Neiman aber gleich mehrfach und kommt zu ganz anderen Themen. Berechtigt kritisiert sie etwa die kursierende Auffassung, nach der ein Taschenspielertrick im Universalismus gesehen wird. Durch das "Aufklärungsbashing", das an amerikanischen Universitäten um sich greife, würden derartige Grundlagen negiert. Auch viele nicht-westliche Intellektuelle sehen nach Neiman darin einen falschen Weg. Man müsse auch diese Denker zur Kenntnis nehmen. Gerade in derartigen Ausführungen liegen die innovativen Potentiale der Streitschrift. Aber die Autorin schweift immer wieder von ihrem Kernanliegen ab, etwa um als unnötig erscheinende autobiographische Ausführungen im Buch unterzubringen. Immer wieder stellt man mit Bedauern fest, dass sie ihren doch so wichtigen Faden verliert und damit dem eigenen Projekt schadet.

Das geschieht auch im folgenden Kapitel, wo es um "Macht und Gerechtigkeit" geht. Hier setzt sie sich kritisch mit Michel Foucault auseinander, der dabei als Theoretiker der "Woken" erscheint. Die inhaltlichen Einwände sind berechtigt, die postulierte Wirkung dürfte aber anders sein. Das gilt gleichfalls für Carl Schmitt, der von der Linken als ehemaliger NS-Staatsrechtler sicherlich nicht so wie von der Verfasserin nahegelegt rezipiert wird. Am Ende des Buchs holt Neiman noch einmal zur Universalismus-Verteidigung aus. Berechtigt kritisiert sie die Aversionen demgegenüber in der Linken. Aber die versprochene Analyse darüber, warum diese zu solchen Positionen gekommen ist, wird doch nicht geliefert. Insofern ist das Buch leider eine nicht gelungene Monographie geworden. Man findet immer wieder kluge Gedanken, wie etwa bezüglich einer biologistischen Rassismusdeutung: "Wenn nun Rassismus in ihrer DNA steckt, was können Rassisten dann dafür, dass sie Rassisten sind?" (S. 144). Aber all diese Anmerkungen und Detailkritiken führen hier zu keiner überzeugenden Streitschrift, die mit einer solchen Botschaft durchaus wichtig wäre.

Susan Neiman, Links ≠ woke, München 2023, Hanser Berlin, 175 Seiten, 22 Euro

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