ZÜRICH. (hpd) In der Schweiz zeigen sich gegenwärtig paradoxe Entwicklungen: Die Zusammenarbeit der Religionen wird öffentlich gefördert, die Trennung von Staat und Kirche unterminiert, und gleichzeitig wird Naturwissenschaft in den Schulen gezielt gestärkt.
Die Innerschweiz zelebriert die Oekumene, zeigt sich offen für die Anliegen andersgläubiger Mitmenschen. So soll der Islam in den Status einer Landeskirche erhoben werden, und die Sharia hierzulande für privatrechtliche Kontroversen zur Anwendung kommen dürfen.
Christen und Moslems begehen dieses Jahr zum ersten Mal den Eidgenössischen Buss- und Bettag gemeinsam - so steht es auf den eigens dafür geschaffenen rot-weissen "Sag schön Danke"-Plakaten. Diese wurden wahrscheinlich nicht unerheblich mit den Steuergeldern von glaubensfernen, natürlichen und vor allem juristischen Personen finanziert. Umsomehr erstaunt nun die Dogmatik, mit der Luzern die 100% durch private Spenden ermöglichte a-theistische Werbekampagne der Schweizerischen Freidenker-Vereinigung verbietet.
Dabei gibt es sicherlich auch in dieser Gegend Menschen verschiedenster Herkunft, die nicht primär Gott für Frieden und andere Annehmlichkeiten danken, sondern vielmehr den Tausenden von Forschern und Wissenschaftern, Denkern und Machern, die sich in Vergangenheit und Gegenwart für eine bessere Welt, Lebensqualität und Freiheit aller engagier(t)en. So zum Beispiel die Freidenker der Schweiz. Ob religiös oder ungläubig, bewusst oder unbewusst, wir alle nutzen die Früchte ihres Wirkens, in der Berufswelt, der Freizeit, in kranken wie gesunden Tagen.
Widersprüchliche politische Signale
Aus der Politik erreichen uns nicht minder widersprüchliche Signale - einerseits will der Bundesrat die naturwissenschaftlichen Fächer gezielt stärken, andererseits wird auf kantonaler Ebene an religiös fundierten Kursen für "Ethik und Kultur" gebastelt. Christliche Werte sollen gestärkt werden, die Integration der ausländischen Bevölkerung verbessert werden, in dem Schweizer Universitäten Imame ausbilden und der - anachronistisch anmutende - Religionsunterricht auch für nicht-christliche Konfessionen an staatlichen Schulen eingeführt werden soll.
Wenn heute allenorts die positive, verbindende Wirkung des Glaubens hervorgestrichen wird, vergessen wir nur zu leicht, dass missionierende Religionen gerade durch ihre Willkür auch Schreckliches zu verantworten hatten und haben. Dagegen bildet die Rechtsgleichheit, -sicherheit und -verbindlichkeit einen der Grundpfeiler unserer liberalen, offenen Gesellschaft. Auch ohne profunde Kenntnis des Korans sind dessen Mängel und Unvereinbarkeiten mit unserer Verfassung und den Menschenrechten offensichtlich. Der materielle und zivilisatorische Fortschritt war und ist stets eng mit der Rolle und Emanzipation der Frau verknüpft. Wie eine Gemeinschaft mit ihren schwächeren Mitgliedern umgeht, ist immer auch ein Gradmesser für ihre Toleranz und Humanität.
In einem immer unsicher werdenden, vielfältigen Umfeld bieten weder pseudowissenschaftliche Erklärungsmodelle, wie sie die Esoterik unter dem Deckmantel der Spritualität feilhält, noch frömmlerische, jenseitige Heilsversprechungen einen verlässlichen Halt. Vernunft, Erkenntnisgewinn, Bildung, des Geistes und des Gemütes, sind die Schlüssel, mit denen wir die Herausforderungen der Zukunft meistern können.
Grazia Giuli Annen
Freidenker-Vereinigung der Schweiz, Sektion Zentralschweiz