Homöopathie: Von der "Vorzeigestudie" zu "may be not reliable"

Eine 2020 veröffentlichte Studie sollte beweisen, dass ergänzende homöopathische Therapien Überlebenszeit und Lebensqualität von LungenkrebspatientInnen verbessern können. Die Studie wurde als Durchbruch in der Homöpathieforschung gefeiert. Ein Gutachten der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) kommt nun jedoch zu dem Schluss, dass verschiedene Ergebnisse der Studie nur durch Datenmanipulation oder -fälschung zu erklären seien. 

Am 11. Juni 2021 erschien an dieser Stelle ein Bericht über eine sogenannte "Vorzeigestudie" der homöopathischen Szene, die in der Tat bis in allerjüngste Zeit als eine Art Durchbruch in der Homöopathieforschung in einschlägigen Kreisen gefeiert wurde. Sie stammt vom Doyen der Homöopathieforschung im deutschsprachigen Raum, Prof. Michael Frass (ehemals MedUni Wien), und einer erheblichen Zahl von MitautorInnen an verschiedenen österreichischen Kliniken.

Es sei daran erinnert, dass diese Studie, anders als so manches schwachbrüstige Werk aus der Forschungsküche der Homöopathie, auf den ersten und auch auf den zweiten Blick den Eindruck einer durchaus respektabel angelegten und durchgeführten Arbeit machte, die nicht nach den üblichen methodischen Fehlern und Unzulänglichkeiten aussah. Was sie darüber hinaus bemerkenswert machte, waren ihre geradezu sensationellen Ergebnisse. Sie schien zu belegen, dass sich durch eine komplementäre (die Standardtherapie ergänzende) individuelle homöopathische Behandlung nicht nur die Lebensqualität der immerhin schwer (infaust) an nicht-kleinzelligem Lungenkrebs in spätem Stadium Erkrankten sehr deutlich gegenüber der Vergleichsgruppe verbesserte, sondern das gleiche für die Überlebenszeiten der Fall zu sein schien, die bis zu 70 Prozent länger als bei den nicht komplementär homöopathisch behandelten PatientInnen ausfielen.

Jedoch waren es gerade diese sensationellen Ergebnisse, die alle bisherigen empirischen Forschungen zur Homöopathie seit mehr als 200 Jahren auf den Kopf zu stellen schienen, die eine Arbeitsgruppe des Informationsnetzwerks Homöopathie (INH) und der österreichischen Initiative für wissenschaftliche Medizin (IWM) zum ganz besonders genauen Hinschauen veranlassten. Immerhin gilt die Homöopathie in breitem wissenschaftlichem Konsens als unplausibel und als unvereinbar mit gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis auf vielen anderen Gebieten der Naturwissenschaft. Am Ende dieser tiefgehenden Analyse stand die begründete Vermutung, dass diese Ergebnisse nicht auf solider wissenschaftlicher Basis zustande gekommen sein können.

Sollte sich dies bewahrheiten, wäre der Sturz tief. Weit tiefer als bei jeder Business-as-usual-Studie, in der von ihrer Methode überzeugte Homöopathen durch den sogenannten Bestätigungsfehler (confirmation bias) die Causa in eine bestimmte Richtung manövrieren – und damit in aller Regel schnell am kritischen Blick der wissenschaftsbasierten Homöopathiekritik scheitern. Nein, in diesem Falle ging es um mehr – auf der einen Seite um die vom Ergebnis her wohl sensationellste Homöopathiestudie überhaupt, auf der anderen Seite um den nicht unberechtigt erscheinenden Verdacht, dass es nicht wirklich mit rechten Dingen zugehen könne. Die mögliche Fallhöhe ist evident.

Da die MedUni Wien, Dienstherrin von Prof. Frass bis 2018 und damit während sechs Jahren der Studiendurchführung involviert, auch als Affiliation der Studie angegeben war und als solche mit ihr in den medizinischen Datenbanken verbunden ist, wandte sich die Arbeitsgruppe von INH/IWM an diese. Aber auch das veröffentlichende Journal, das Regeln einer wissenschaftlich einwandfreien Publikationspolitik unterliegt1 und von daher ein ureigenes Interesse an Verdachtsmomenten zu nicht validen Arbeiten in ihren Journalen haben müsste, wurde unterrichtet.

Das Journal, der durchaus angesehene The Oncologist (kein Journal der homöopathischen Szene und bislang durch eine besondere Aufmerksamkeit für homöopathische Studien nicht aufgefallen, sei angemerkt) zog es vor, trotz gelegentlicher Nachfrage nicht zu reagieren. Anders die MedUni Wien: für sie waren die Ergebnisse der Arbeitsgruppe nachvollziehbar und Anlass genug, die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) um ein Gutachten zur inkriminierten Studie Frass et al. (2020) zu bitten.

Ein geradezu vernichtendes Gesamtergebnis

Nun mahlen die Mühlen der Wissenschaft langsam. Aber sie mahlen, hat sie erst einmal jemand in Bewegung gesetzt (was manchmal auch nicht so einfach ist). Nun, deutlich mehr als ein Jahr nach diesen Ereignissen, hat die ÖAWI ihr Gutachten vorgelegt. Dies nun bestätigt nicht nur die Ergebnisse von INH und IWM, nachdem die ÖAWI weitere Unterlagen und Originaldaten zur Studie herangezogen hat. Nein, sie fällt auch ein abschließendes Urteil:

"Several of the results can only be explained by data manipulation or falsification. The publication is not a fair representation of the study."

Verschiedene Ergebnisse der Studie seien also nur durch Datenmanipulation oder -fälschung zu erklären und die Veröffentlichung ergebe kein zutreffendes Bild von der durchgeführten Studie. Ein geradezu vernichtendes Gesamtergebnis.

Es scheint nicht mehr weit zu sein bis zum eingangs erwähnten tiefen Fall, einem schweren Schlag für die gesamte Homöopathieforschung, für den auch mit "Forschung und Studien" stets befeuerten ungerechtfertigten "guten Ruf" der Homöopathie und insbesondere für Prof. Frass, dessen frühere Studien – teils auch mit aufsehenerregendem Ergebnis bei schwersten Krankheitszuständen – seit Jahren in der Kritik stehen. In methodisch-inhaltlicher Kritik – doch hier scheint eine neue Qualität erreicht zu sein.

Was soll man zum Beispiel davon halten, wenn die Auswertung der Fragebögen zur Lebensqualität bei schwerst, ja infaust Erkrankten nicht nur gegenüber den ohne Homöopathie "konventionell" Behandelten deutliche Verbesserungen zeigt (letzteren ging es laut den Daten immer schlechter statt besser), sondern dass die Lebensqualität der PatientInnen der Homöopathiegruppe sogar über der des Durchschnitts der österreichischen Bevölkerung lag? Und der Hauptautor dazu nonchalant erklärt, es sei aus der Palliativmedizin durchaus bekannt, dass sich Schwerstkranke oft im letzten Stadium durchaus wohlauf fühlen würden? Wenn einem das nicht schon die Sprache raubt, könnte man jedenfalls entgegnen, dass er dann einen solchen Effekt auch nicht der homöopathischen Komplementärbehandlung, sondern dem voraussichtlich baldigen Ableben der PatientInnen zuschreiben müsse … Nun, lassen wir die Einzelheiten.

Die MedUni Wien und die ÖAWI haben sich selbstverständlich an The Oncologist gewandt, denn bei solchen Ergebnissen muss erwartet werden, dass das Journal die Sache so ernst nimmt, dass sie ein Zurückziehen (Retraction) der Arbeit in Erwägung zieht. Nachdem es zunächst danach aussah, als wolle sich das Journal zieren, ist nun gestern auf der Webseite der Veröffentlichung ein "Expression of Concern" erschienen. Mit einer solchen Erklärung weisen die Herausgeber darauf hin, dass Zweifel an der Validität der Studie bestehen und bis zum Abschluss der eigenen Ermittlungen (die man zugestehen muss) und einer endgültigen Entscheidung über das Schicksal der Arbeit die Ergebnisse "möglicherweise als nicht zuverlässig (not reliable) angesehen werden müssen". Es bleibt abzuwarten, ob es zu einem Retract kommt – nach unserer (und nicht nur unserer) Einschätzung dürfte hieran kein Weg vorbeiführen. Nun, geben wir den Autoren nochmals Gelegenheit (sie hatten diese allerdings schon über ein Jahr lang), zu den Beanstandungen Stellung zu nehmen.

Viel zu große Gleichgültigkeit der wissenschaftlichen Szene

Hier geht es nicht um Recht haben oder Recht behalten, nicht um Schadenfreude, nicht um einen "Sieg". Es geht hier darum, das Problem zu fokussieren, dass Scheinmethoden – allen voran die Homöopathie – das Wissenschaftssystem und insbesondere das wichtige Messinstrument der medizinischen Statistik, den Kernbereich der Evidenzbasierten Medizin, dafür benutzen, um für ihre Methoden auf für den Laien nicht nachvollziehbare Weise Reputation zu erlangen. Der Kampf um die Anhänger wird auch über die Studien geführt, mit der Suggestion, dass, wie es die Russische Akademie der Wissenschaften schon 2017 ausführte, "die Fortexistenz der Homöopathie trotz des Fehlens von zuverlässigen wissenschaftlichen Beweisen für ihre Wirksamkeit über mehr als zwei Jahrhunderte hinweg auch durch die Tatsache erklärbar wird, dass ständig der Anspruch erhoben wurde, es gebe angeblich noch relevante wissenschaftliche Ansätze zu erkunden."

Dies wird flankiert von einer viel zu großen Gleichgültigkeit der wissenschaftlichen Szene gegenüber solchen Vorstößen, den Anschein wissenschaftlicher Seriosität zu erlangen. Insbesondere Journale sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein, wenn sie darüber urteilen, ob sie Homöopathie-Studien zur Veröffentlichung bringen. Im Falle von The Oncologist wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass dies geschieht.

Man kann sich allerdings mit ein wenig Kenntnis der Praxis durchaus vorstellen, wie es eine solche Studie durch das Peer-Review-Verfahren schafft. Peer Review für Journale, also die Begutachtung von Einreichungen, ist unbezahlte Nebenarbeit von Wissenschaftlern in ihrer Freizeit mit allen daraus erwartbaren Folgen, eigentlich ein Unding. Es mag gar sein, dass ein auf diesem Feld unerfahrenes Journal ernstlich glaubt, eine Homöopathiestudie sei im Peer Review bei Homöopathen gut aufgehoben. Es soll gar vorkommen, dass mangels geeigneter Reviewer die Studienautoren selbst gefragt werden, ob sie jemanden für das Review vorschlagen könnten.

Schon bei der Genehmigung von Studien durch die Ethikkommissionen mag man sich fragen, wie Studien zu Homöopathie und anderer eindeutiger Pseudomedizin es über diese Hürde schaffen können. Immerhin legen die ethischen Grundsätze des Weltärztebundes für Forschung am Menschen unter anderem fest, dass solche Forschungen nur gerechtfertigt sind, wenn realistischerweise ein nicht trivialer zusätzlicher Erkenntnisgewinn für die medizinische Wissenschaft erwartbar ist – andernfalls wird das Delta zwischen Ethikprinzipien und Forschungsinteresse als zu groß angesehen.2 Ein "lassen wir mal durchgehen, kann ja nicht schaden" in der Ethikkommission kommt also für eine Pseudomethode wie die Homöopathie an sich nicht in Betracht, die Begründung eines Forschungsinteresses müsste schon außerordentlich dezidiert sein. Hier scheint manches eines weit kritischeren Blickes zu bedürfen als bisher.

Es wird am vorliegenden Fall nicht zum ersten Mal, aber in besonderer Qualität deutlich, dass die wissenschaftliche Welt allgemein und die Publikationspraxis im Besonderen einen anderen Umgang als bisher mit ausgewiesenen Pseudowissenschaften pflegen müssen. Zumindest muss die Entscheidung über Veröffentlichungen in diesen Bereichen durch das Editors' Board eines Journals sehr kritisch und sorgfältig getroffen werden. Es mangelt den Journalen durchaus nicht an Einreichungen, sie veröffentlichen ohnehin nur einen Bruchteil. Was im Falle des Oncologist möglicherweise den Schluss zulässt, dass sie sich von der vermeintlichen "Sensation" haben verlocken lassen, denn sensationelle Ergebnisse sind eine Währung wissenschaftlicher Publikation. Das darf aber so nicht sein. Ein erneutes Beispiel ist ein im angesehenen Journal Pediatrics (Nature Publishing Group) erschienener systematischer Review zur Behandlung von ADHS mit Homöopathie, der auch gegen die bisherige Erkenntnislage steht. Auch hiergegen sind den Herausgebern bereits fundierte Einwände vorgelegt worden.

Es bleibt abzuwarten, wie The Oncologist mit der Sache umgeht. Wobei nicht vergessen werden sollte, dass das Editors' Board beziehungsweise zuständige Mitglieder durch die Mitteilung der Arbeitsgruppe INH/IWM bereits seit mehr als einem Jahr über die wesentlichen Punkte informiert waren, die nun durch das Gutachten der ÖAWI bestätigt wurden – ohne dass man dort vorher reagiert hätte. Der vorliegende Fall der Studie Frass et al. (2020) ist also deshalb wichtig, weil er eine Selbstbesinnung zumindest der wissenschaftlichen Publikationspraxis im Falle von Pseudomedizin anstoßen könnte. Deshalb ist ihm eine möglichst große Publizität zu wünschen.


1 International Committee of Medical Journal Editors (ICJME): Recommendations for the Conduct, Reporting, Editing, and Publication of Scholarly Work in Medical Journals

2 "Ziffer 11 der Declaration of Helsinki verlangt, dass medizinische Studien an menschlichen Probanden wissenschaftlich zu rechtfertigen sein müssen. Dieses Erfordernis soll Vorhaben ausschließen, die kaum zum Erfolg führen dürften, weil sie z.B. methodisch unzulänglich sind oder, selbst wenn sie Erfolg haben, wahrscheinlich nur belanglose Ergebnisse erbringen dürften." – aus: Abschnitt 5 der Ethikgrundsätze des Weltärztebundes.

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