Jäger, Sammler und die sich ewig wandelnde Umwelt

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Das Projektteam an der Fundstelle Kammern-Grubgraben im Donauraum.
an der Fundstelle Kammern-Grubgraben

Archäolog:innen analysieren Steinwerkzeuge aus einer niederösterreichischen Fundstelle. Dadurch wollen sie verstehen, welche Strategien Jäger- und Sammlergemeinschaften in der Altsteinzeit anwendeten, um mit klimatischen Schwankungen umzugehen.

Im niederösterreichischen Hadersdorf-Kammern, 15 Autominuten von Krems entfernt, liegt ein bedeutender Ort für Steinzeit-Enthusiast:innen und -Expert:innen: Die Fundstelle Kammern-Grubgraben. "Rund um Krems gibt es eine Menge von Fundstellen, die den Zeitraum des Graviettens betreffen", erklärt Thomas Einwögerer. Der Archäologe leitet die lokalen Ausgrabungen sowie die Forschungsgruppe Quartärarchäologie am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Norbert Buchinger, ebenfalls Archäologe sowie Doktorand, ergänzt: "Für das Jungpaläolithikum, genauer den Zeitabschnitt des Graviettens, zählen die Fundstellen im Donauraum zu den bedeutendsten in ganz Europa."

Das Gravietten bezeichnet eine archäologische Kultur des Jungpaläolithikums, die vor rund 33.000 Jahren begann. Die Fundstelle Kammern-Grubgraben barg und birgt Artefakte aus deren jüngstem Abschnitt, vermehrt aus dem Epigravietten, das vor 25.000 Jahren in Zentral- und Osteuropa auf das Gravietten folgte und vor 14.000 Jahren endete. In dieses Epigravietten fällt das "Letzteiszeitliche Maximum" (von 25.000 bis 20.000 Jahren vor heute), in dem die Eismassen der letzten Kaltzeit ihre maximale Ausdehnung hatten.

Einwögerer und Buchinger analysieren im vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt "Erfolg, Grenzen und Misserfolg von Subsistenzstrategien" gemeinsam mit Kolleg:innen aus Deutschland Fundstücke aus Kammern-Grubgraben. Diese vergleichen sie mit Artefakten aus anderen Gravietten und Epigravietten-Fundstellen, etwa in Krems-Wachtberg, in Polen, der Slowakei, Tschechien und Ungarn.

Zeiten ändern sich – aber warum?

"Wir wollen wissen: Wie kamen Jäger und Sammler mit der Umwelt zurecht – und mit der Tatsache, dass diese sich veränderte? Wie erhielten und ernährten sie sich?", sagt Einwögerer. Die Altsteinzeit-Expert:innen wollen damit Teil eines Rätsels lösen, welches lautet: Warum kam es am Ende des Graviettens zu einem Bruch der sogenannten materiellen Kultur?

Materielle Kultur beschreibt alle von Menschen geschaffenen Objekte oder Artefakte, die Archäolog:innen finden. Daraus zeichnen diese nach, wie die damaligen Gemeinschaften lebten. Also etwa, ob, was und wie sie jagten, Werkzeuge nutzten, ihre Toten begruben oder sich kleideten. "Das Gravietten erstreckte sich vom Atlantik bis zum Ural. Über diesen gesamten Bereich liefern die Funde ein sehr homogenes Bild, wie Jäger- und Sammlergemeinschaften lebten", erklärt Norbert Buchinger. Von Portugal bis Russland zeigen sich in diesem Zeitraum etwa ähnliche Bestattungsriten. Populationen verwendeten sich ähnelnde Jagdwaffen, wie zum Beispiel die Graviettenspitze.

Das Epigravietten hingegen zeigt lokal unterschiedliche Ausprägungen. Die Forscher sehen diesen Bruch etwa an der Art der Steingeräte. "Ein Beispiel: Im Epigravietten gibt es keine mit der Graviettenspitze vergleichbaren Jagdwaffen", so Buchinger. Was zu dem Bruch führte, ist noch nicht ganz geklärt. Auch weil man die datierten Fundstellen, vor allem vor dem Letzteiszeitlichen Maximum, an den Fingern einer Hand abzählen kann.

Instabiles Klima, instabile Systeme

Ein möglicher Grund lautet: Am Ende des Graviettens, bis zum Beginn des Letzteiszeitlichen Maximums (ein Zeitraum, der vor 29.000 Jahren begann und vor 25.000 Jahren endete) verschlechterten sich die ökologischen Rahmenbedingungen. Das europäische Klima wurde immer instabiler und kälter. "Je instabiler das Klima, desto instabiler werden auch menschliche Systeme", sagt Thomas Einwögerer.

Diese Schwankungen könnten kulturelle Systeme zum Kollabieren gebracht haben. Sie veränderten Flora und Fauna – und damit auch die Art, wie und was Menschen jagten oder wo sie lagerten. Sie könnten auch zu einem Populationsrückgang in der Region geführt haben. Um diese Hypothese zu bestätigen, analysierte das Forschungsteam Funde aus Kammern-Grubgraben. Die Archäozoologin Kerstin Pasda leitet aus der Analyse von Knochen, Geweihen oder Zähnen etwa ab, welche Tiere zu welcher Saison gejagt wurden. Andreas Maier analysiert Besiedelungsmuster, auch, um die sozialen Strukturen zu verstehen. Der Geowissenschaftler Christoph Maier analysiert Bodenschichtungen und zieht daraus auch Schlüsse auf das Klima.

Von Steinen lernen

Auch Steine und Steingeräte bergen wichtige Informationen über die Periode in der namensgebenden Altsteinzeit. "Ein Großteil der Werkzeuge, mit denen Menschen schnitten, schabten, hobelten oder schnitzten, wurde aus Stein hergestellt", sagt Norbert Buchinger.

Steingeräte erzählen davon, wie Menschen im Epigravietten lebten. Sie zogen in gewissen Zeitabständen umher und bewohnten kurzzeitig Lagerplätze. Kammern-Grubgraben wurde zu dieser Zeit wohl als Hauptlagerplatz genutzt. Die Steinwerkzeuge, die dort verwendet wurden, konservierte der Lössboden für Jahrtausende. Ein Glücksfall für Archäolog:innen. Norbert Buchinger analysiert im Rahmen des Projektes und für seine Doktorarbeit nicht weniger als rund 20.000 Steingeräte, die bei Grabungen in den 1980ern und 1990ern in Kammern-Grubgraben gehoben wurden.

Ein Puzzle mit Lücken

Ein Blick in die Dokumentationen der Grabungen hilft ihm, herauszufinden, wo die Artefakte gefunden wurden. Mit der Radiokohlenstoffdatierung (C-14-Methode) eruieren die Forschenden, wie alt die Bodenschichten sind, in denen sich Steinwerkzeuge befanden. Das erlaubt Rückschlüsse auf deren Alter.

"Die Untersuchungen der Steingeräte liefern einzigartige Einblicke in das Leben von Jäger- und Sammlergemeinschaften. Wir erheben etwa, ob Steingeräte vor Ort bearbeitet wurden oder erst danach dorthin gebracht wurden", erläutert der Archäologe. Diese Analysen helfen dem Forschungsteam auch, Wanderungsmuster zu verstehen.

Doch es bleiben noch viele Unklarheiten, wie Einwögerer erklärt: "Wir setzen etwas zusammen, von dem wir weder alle Teile noch eine Vorlage haben – wie eine Art Puzzle. Mit jeder Analyse, jeder Auswertung erhalten wir einen weiteren Puzzlestein dazu." Grobe Linien des Bildes zeichnen sich bereits ab. So konnten die Forschenden etwa zeigen, dass die Jäger-Sammler-Gemeinschaften in Kammern-Grubgraben vorrangig Rentiere jagten.

Einen wichtigen Hinweis lieferten auch die Analysen großflächiger Steinpflasterungen. Auf ihnen trockneten die Jäger und Sammler die Felle erlegter Tiere. So konnten diese auch bearbeitet werden, wenn im Sommer die obere Schicht des Permafrostbodens schmolz.

Der Steinzeit-Kühlschrank

Im Sommer 2019 fanden Archäolog:innen aus Thomas Einwögerers Gruppe ein weiteres großes Puzzlestück. "Wir konnten einen Meat-Cache – eine Art Eiszeitkühlschrank – aufdecken. Das ist eine Steinpflasterung auf dem Permafrostboden, die man mit Steinen umstellte. In diesem Haufen an Steinen lagerten Menschen etwa Fleisch von Rentieren ein", erklärt der Archäologe. Der Meat-Cache schütze das Fleisch einige Wochen lang vor kleineren Raubtieren.

Wie es zu Brüchen in der materiellen Kultur im Epigraviette kam, ist noch nicht ausreichend erforscht. "Das Bild ist noch sehr unscharf", sagt Norbert Buchinger. Eines ist allerdings sicher: Die Forschenden werden das Puzzle Stück für Stück weiter zusammensetzen.

Erstveröffentlichung auf scilog.fwf.ac.at.

Norbert Buchinger studierte Urgeschichte und Historische Archäologie an der Universität Wien sowie Ur- und Frühgeschichte an der Universität Köln. Er forscht als Archäologe der Forschungsgruppe Quartärchäologie am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Buchinger beschäftigt sich mit technologischen und typologischen Analysen von Steinartefakten an europäischen und arabischen Fundplätzen.

Thomas Einwögerer studierte Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien. Seit 2000 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Einwögerer leitet dort seit 2017 die Forschungsgruppe Quartärarchäologie am Österreichischen Archäologischen Institut.

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