(hpd) Wenn „Gottes“ Hand leer ist, dann gibt er weder (Leben), noch nimmt er (das Leben zurück), dann gibt es letztlich auch „Gott“ nicht. Diese Assoziationen stellen sich bei der Lektüre von Marianne Efingers Roman „Gottes leere Hand“ ein.
Es ist kurz vor Weihnachten. Der mit Glasknochen geborene Wissenschaftsjournalist Manuel Jäger wird nach einem nach schweren Anfall von Atemnot in die Notaufnahme eines Krankenhauses, des betont christlichen Marien-Hospitals, eingeliefert. Gegen seinen Willen, denn er weiß eines: Nie wieder eine Intensivstation von innen sehen. Und gerade dieses Mal läuft für Manuel auch von Anfang an alles schief. Nach dem Röntgen vergißt man ihn auf einem zugigen Flur, dann landet er in einem Dreibettzimmer mit ungehobelten Mitpatienten, ein Medikament wird falsch angewendet, die zuständige Ärztin stellt eine falsche Diagnose. Für Manuel beginnt ein Kampf um Leben und Tod.
Durch all die widrigen Umstände im Krankenhaus (unter Kosteneinspardruck stehende ignorante Ärzte, total überforderte Krankenschwestern, vernachlässigte Patienten) verschlimmert sich Manuels Zustand dramatisch. Er erkennt, dass er ohne die Hilfe der modernen Medizin nicht überleben kann. Und dass er andererseits in einem hektischen, „entseelten“ Krankenhausbetrieb auch nicht überleben kann. Er will nur noch eines – in Ruhe und würdevoll sterben dürfen.
Marianne Efingers Roman ist ein sehr authentisches Buch. Die Verknüpfung der verschiedenen Handlungsstränge (Manuel und Freunde, Ärzteschaft, Pflegepersonal, Mitpatienten) ist gelungen und schafft eine stimmige Atmosphäre. Fiktives und Dokumentarisches verbinden sich gekonnt. Der Roman macht nachdenklich. Er wirft wichtige Fragen unseres Menschseins auf: Lebensqualität, Liebe, Krankheit und Tod. Die Geschichte berührt – auch gerade wegen des teilweise sehr dokumentarischen Charakters – den Leser, ohne in Betroffenheitslyrik zu verfallen oder auf geheucheltes Mitleid zu setzen.
Schonungslos geht die Autorin auf die Zustände im deutschen Gesundheitswesen, auf die unhaltbaren Zustände in deutschen Krankenhäusern ein. Auch die „christlichen Häuser“, also die in kirchlicher Trägerschaft befindlichen, werden nicht geschont. Nicht nur Manuel, auch aufgeweckte Schwestern und ein junger „Arzt im Praktikum“ erkennen: Es geht selbst hier nur noch um Wirtschaftlichkeit, nur noch um Profit. „Rentieren“ sich Patienten nicht, werden sie ihrem Schicksal überlassen. Ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht jedoch Gewinn zu erzielen, so lässt man sie nicht sterben...
Ein Dialog zweier Krankenschwestern bringt es auf den Punkt: „Wir machen Werbung dafür, wie gut die Patienten bei uns versorgt sind... Lies doch nur die Prospekte, die vorne beim Eingang auf dem Infoständer liegen. Von individueller Betreuung, liebevollem Umgang auch mit schwerkranken Menschen, sorgfältiger Pflege nach modernsten Erkenntnissen der Pflegeforschung und was weiß ich nicht noch alles, ist dort die Rede. Da kannst du lesen, dass wir im Dienst von Jesus Christus stehen und aus Nächstenliebe handeln. Dabei geht es nur um den Profit. Jesus Christus ist ein armer Irrer, wenn er dafür am Kreuz gestorben ist.“
Dieser Roman stellt eine gute belletristische Begleitung zu den aktuellen politischen und juristischen Diskussionen um Patientenverfügungen und Sterbehilfe dar. Und nicht zuletzt kommen besonders in Manuels Reflexionen ein dezidiert atheistischer Standpunkt, eine naturalistische Weltsicht zum Ausdruck. Selbst die an anderen Stellen leicht anklingende christliche Mystik schmälert die Wirkung dieser Lektüre nicht. Efingers Buch daher kann wärmstens anempfohlen werden.
Siegfried R. Krebs
Marianne Efinger: Gottes leere Hand. Roman. München 2010 (Bookspot Verlag). 384 S. 19,80 €