BERLIN. (hpd) Zu diesem Thema lud die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)
am 12. September zu einer Fachtagung über Perspektiven eines modernen Religionsgemeinschaftsrechts ein (Programm im Anhang). Nahezu 400 Teilnehmer erlebten ideenpolitisch einen spannenden Tag. Denn nicht nur die Einzelreferate am Rednerpult waren mit hochkarätigen Fachleuten besetzt, sondern auch die unterschiedlichen Positionen in den Podiumsdiskussionen boten qualifizierte Sachbeiträge und Diskussionen.
Der Moderator der ersten Tageshälfte, Dr. Tobias Mörschel (FES), kam schon in seiner Begrüßung sofort zur Sache, indem er die zentrale Frage des Tagungsprogramms aufnahm: Ist das deutsche Staatskirchenrecht überhaupt noch zeitgemäß? Brauchen wir nicht ein modernes Religionsgemeinschaftsrecht, das die Beziehung von Religion und säkularem Staat neu austariert? Im ersten Augenblick klang diese Frage noch ein wenig lapidar, denn ein Gesetz, das in seinem Urbestand 1919 geschaffen worden ist und damit die Trennung von Staat und Kirche in den gesellschaftlichen Bedingungen der frühen Weimarer Republik definiert, müsste doch eigentlich nach nun bald 100 Jahren erneuert werden. So sagte auch ein Diskussionsteilnehmer aus dem Plenum, es würde höchste Zeit, dass unsere Regierung einen neuen Gesetzesentwurf auf den Weg brächte unter Berücksichtigung der sich völlig verändernden Religionslandschaft in Deutschland einschließlich des Vordringens des Islam.
Doch was damit fast selbstverständlich erschien, änderte sich schlagartig mit dem ersten Referat von Professor Dr. Christian Walter, Jurist an der Uni Münster. Walter nahm eine grundsätzliche Analyse der “Trennungssysteme“ vor, die dem verfassungspolitischen Modell der Trennung von Staat und Kirche/Religion zugrunde liegen können, denn das Trennungssystem an sich ist nicht zwingend eindeutig. Im Gegenteil. Es ist sehr vielschichtig auslegbar. Zwar meinen alle modernen Demokratien wirklich “Trennung zwischen Staat und Kirche/Religion“, würden es aber völlig unterschiedlich handhaben,
- z.B. praktiziere Frankreich bekanntlich seit Napoleon ein laizistisches Prinzip, in dem sich der Staat für völlig neutral erklärt und die Religion Privatsache sei. Der Staat selbst würde sich also von Kirche und Religion trennen, um sich damit als säkular freizusetzen – die Grundfreisetzung unserer säkularen Demokratien überhaupt.
- Anders Amerika. Dort gelte auch das Trennungsprinzip, doch dort seien es die Religionsgemeinschaften, die sich vom Staat getrennt hätten, weil sie befürchteten, dass sie in ihren religiösen Eigeninteressen durch die säkularen Vorschriften des Staates benachteiligt würden. Die Religionsgemeinschaften nützen somit die Trennung vom Staat gezielt zur Wahrung ihrer ihnen eigenen Freiheiten.
Dazwischen läge – so Walter – Deutschland mit seiner demokratischen Verfassung und der Gültigkeit des Trennungsprinzips von 1919: Der Staat versteht sich prinzipiell (= verfassungsgemäß) als säkular und neutral gegenüber den Kirchen und Religionsgemeinschaften, auch gegenüber den säkularen Weltanschauungsgruppen. Er pflegt aber ein zugewandtes, harmonisches Verhältnis zu all diesen Gruppen. Dieses Trennungsprinzip der harmonischen Beziehung sei kontinuierlich und ausgewogen entwickelt und praktiziert worden und ermögliche gerade auch heute trotz der viel größeren religiösen Pluralität eine positive Regelung der Problemlage. In dieser Weise habe sich das deutsche Gesetz bewährt und brauche auf Zukunft vielleicht hier oder dort eine kleine Korrektur, aber vom Prinzip her keine völlige Neugestaltung.
Es gab in diesem Augenblick nicht wenige im Zuhörerraum, die zumindest überrascht waren von der Selbstsicherheit, mit der die juristische Position unser Trennungsgesetz in seiner aktuellen Auslegung und Anwendung positiv interpretierte und sanktionierte.
In einem ersten anschließenden Podiumsgespräch wurde dann zum Thema Differenzierung des Trennungssystems weitere Aufklärung geleistet, die äußerst nützlich war, weil die Referenten sich nicht nur als sachlich kompetent erwiesen, sondern auch in dem jeweiligen Land lange gelebt haben und so konkrete Erfahrungen mitbrachten:
- Professor Dr. Francis Messner, Jurist aus Straßburg erklärte zunächst das französische Laizismusmodell, das in den abgelaufenen 200 Jahren nur selten wirklich als strenge Trennung von Staat und Kirche praktiziert worden sei. Es gab und gäbe gerade auch heute wieder Verträge, gar Staatsverträge zwischen Staat und (katholischer) Kirche mit kuriosen Konditionen: Dem Staat gehören die Kirchengebäude und er bezahlt ihre Erhaltung. Er zahlt auch die Gehälter der Priester – alles zwangsläufig aus den Steuern aller Bürger. Das Laizitätsprinzip sei durchweg eher ein theoretisches Verfassungsprinzip und weniger ein praktisches Handlungsprinzip. Dennoch denke der Franzose laizistisch-säkular. Zwar seien 51 Prozent der Franzosen Katholiken, davon glaubten aber 52 Prozent nicht an Gott.
- Professor Dr. Gerhard Robbers, ebenfalls Jurist, zeichnete als Gegenmodell England, das als moderne Demokratie mit der anglikanischen Kirche eine Staatskirche habe. Interessanterweise würde das die Staatskirche wenig privilegieren, denn sie müsse zum Beispiel für ihre Kirchen und Gebäude finanziell selber sorgen. Interessant wäre es geworden, wenn der britische Premier Tony Blair – wie beabsichtigt – zum katholischen Glauben übergetreten wäre angesichts seiner Staatsverpflichtungen gegenüber der anglikanischen Staatskirche. Lernen – so meint Robbers – könne man in Deutschland von der Gelassenheit der Engländer, mit der sie der Frage der Trennung von Staat und Kirche gegenüber ständen. [Wirklich?]
- Dr. Dietrich Jung, Sozialwissenschaftler, analysierte das türkische Modell, das in Assoziation zu Europa das schärfste laizistische Trennungsprinzip praktiziert. Das ist natürlich besonders interessant angesichts des beabsichtigten EU-Beitritts der Türkei und seiner aktuellen inneren Religionsentwicklung. Jung unterschied zwischen “Säkularismus“ als ein Machtprinzip des Staates und “Säkularisation“ als einem geistig-sozialen Prozess des gesellschaftlichen Wandels. Der Laizismus in der Türkei sei Säkularismus der von Atatürk her herrschenden Klasse (Generalität mit Militär) gegen die freie Volksbewegung, die sich in einem starken Säkularisierungsprozess befände [?]. Die gegenwärtige islamfreundliche Regierung wolle auch die Trennung von Staat und Kirche – aber nicht in Form des Säkularismus, sondern in Form der Säkularisation. [Der Konflikt aber erscheint dramatischer: Auf der einen Seite eine parlamentarische Majorisierung, die ein bestehendes demokratisches Verfassungsgrundrecht (Laizität) zu unterlaufen scheint mit dem Ziel der Schaffung eines theokratischen Staates; auf der anderen Seite eine verfassungsverpflichtete Institution (Generalität mit Militär), die mit nicht demokratischen Mitteln (Putsche) wiederholt das Verfassungsrecht in einem zentralen demokratischen Punkt (Laizität) zu bewahren versucht.]
Auf diesem Hintergrund substantieller Informationen war nun der Nachmittag zum Hauptthema „Das deutsche Modell der Trennung“ gerüstet. Referent war Dr. Hans Michael Heinig, Verfassungsrechtler aus Heidelberg. Heinig nahm nicht nur die Gedankenführung des Einleitungsreferates von Professor Walter auf, sondern spitzte sie in schärfster Weise zu. Wir fassen hier seine Ergebnisse in fünf Thesen zusammen:
Das deutsche Trennungsgesetz von 1919 definiert einen eigenen Weg zwischen Staat und Kirche/Religionen, der sich der Trennung zwischen Staat und Kirche voll verpflichtet weiß – in dem Dreieck: Neutralität des Staates, Freiheitsrecht des Individuums, Pluralität der Gesellschaft.
Das deutsche Trennungsprinzip wird vom Staat gegenüber Kirchen/Religionen/ und auch säkularen Weltanschauungsgruppen in der Praxis nicht als ein feindliches Gegeneinander verstanden, sondern generell als ein partnerschaftliches Zusammenwirken und speziell als kooperatives Arbeiten an gemeinsamen Aufgabenstellungen. Von daher gäbe es eine Fülle von konstruktiven gesellschaftlichen Schnittpunkten.
Das deutsche Religionsgemeinschaftrecht hat in seiner konkreten Handhabung den Frieden der Kirchen, Religions- und säkularen Weltanschauungsgemeinschaften untereinander zum Ziel. Dabei fördert es besonders da, wo es sinnvoll erscheint zu fördern. Es gäbe neuerdings die These, da mehr zu fördern, wo sich die Nützlichkeit der Religionsgemeinschaft für Staat und Gesellschaft als größer erweist.
In der Aufsicht über das friedliche Miteinander der Religionen behalte sich der Staat vor, da und dann einzuschreiten, wenn der Religionsfrieden gestört werde. Der Staat wisse sich gegen gravierende Friedensstörung durchzusetzen.
In dieser Form habe sich unser Gesetz – besser als manche anderen europäischen Modelle – bestens bewährt und deshalb brauche es keiner neuen Gesetzgebung.
Diktum est. Selten erlebt man einen solchen Augenblick, in dem die gesamte Zuhörerschaft in ihren vielfältigen Anliegen so auf den Punkt ruhig gestellt worden ist. Selbst das anschließende Podium mit Starbesetzung erholte sich nur langsam von dieser juristischen Diktatur. Heidrun Tempel, vom Bundeskanzleramt beauftragt, bemühte sich schnell klar zu machen, dass sie diese Tagung als ein Werkstattgespräch verstände, in dem sich aus vielen Beiträgen ein letztes Meinungsbild ergeben sollte. Das wenigsten minderte den Drang, die Bücher zuzumachen und für immer nach Hause zu gehen, zumal ja auch in diesem Podium wieder nur Juristen saßen – mit Ausnahme von Dr. Ayyub Axel Köhler vom Zentralrat der Muslime. So spitzte sich im Podium die Diskussion zu auf die Frage, ob die gegenwärtige erste Islamkonferenz des Bundesinnenministeriums etwas Positives sei oder nicht. Aus Sicht von Frau Tempel als Repräsentantin des Bundeskanzleramtes erweist sie sich gemäß dem Punkt 3 des Heinig-Referates als äußerst positiv. Aus Sicht von Dr. Köhler vom Zentralrat der Muslime führt sie ins genaue Gegenteil gemäß Punkt 4, nämlich zur bewussten Verhinderung der Ausbreitung der islamischen Religion in Deutschland.
Damit war zumindest für den Schlussteil der Plenumsdiskussion ein Kontra gesetzt, das verstärkt wurde durch drei Kontra-Stellungnahmen aus der säkularen Szene: Zunächst machte Dr. Horst Groschopp, Bundesvorsitzender des Humanistischen Verbandes Deutschlands, auf das eine Drittel der deutschen Gesellschaft aufmerksam, das keiner Kirche und keiner Religion angehöre und das in den vorgetragenen juristischen Überlegungen nicht genügend Berücksichtigung fände. Daraus entwickelte sich die Kritik von Jürgen Gerdes, Landessprecher des Humanistischen Verbandes Niedersachsen, der an Hand von konkreten Beispielen bis hin zum Lehrbetrieb theologischer Fakultäten an säkularen Universitäten das Ausmaß der staatlichen Bevorzugung der beiden großen christlichen Kirchen gegenüber säkularen Weltanschauungsinstituten aufzeigte. Schließlich entstand das schärfste Kontra durch Herrn Czerlitzky von der bürgerrechtlichen Humanistischen Union mit der Frage, ob denn der säkulare Staat heute überhaupt den säkularen Staat wolle. Zwar würde der Staat verfassungstheoretisch die Trennung von Staat und Kirche/Religion aufrechterhalten, praktisch aber in seinem religionspolitischen Handeln einer religiösen Gesellschaft in jeder Hinsicht positiven Vorschub leisten unter der Gefahr, dass der Staat insgesamt religiös majorisiert würde! [Anders gesagt: Eine religiöse Gesellschaft als Ziel des säkularen Staates führt den Staat als säkularen Staat ad absurdum! Siehe oben Türkeikonflikt].
Jetzt also wurde es richtig spannend. Da trat ein junger Mann auf, der kurz von sich erzählte, dass er eigentlich zum Islam übergetreten sei und sich schon zu 95 Prozent als Muslim gefühlt hätte. Im letzten Augenblick sei er zurückgeschreckt und hätte sich vor dem letzten Schritt gerettet. Grund seien die religiösen Prinzipien, zum Beispiel die Einstellung des Islam zur Frau. Wie könnte unser säkularer Staat eine Religion anerkennen, deren Einstellung zur Frau völlig konträr sei zu den Grundsätzen westlicher Verfassungen. Die Frau hier nur als ein Beispiel für viele andere [und der Islam hier nur als ein Beispiel für alle anderen Religionen einschließlich der christlichen Kirchen in ihren konträren Positionen zum säkularen Staat].
Damit war die entscheidende Frage gestellt, ob ein säkularer Staat nicht auch gemäß seinem Verfassungsauftrag eine säkulare Gesellschaft bedingt, zumindest die gezielte Hinführung zu einer solchen. Das allerdings ist natürlich keine juristische Frage mehr, sondern eine gesellschaftspolitische, gar eine ideenpolitisch-philosophische Frage.
Doch dazu kam es nicht mehr. Die Zeit war abgelaufen. Der Diskussionsleiter des Nachmittags, Dr. Johannes Kandel (FES), der immer unruhiger wurde mit seinen Versuchen, Einsicht zu bewirken, dass diese letzten Fragen “eigentlich jetzt hier nicht mehr hingehörten“, rettete sich schließlich in den Schlussgong mit dem Versprechen: Diese Tagung muss mit einer neuen Tagung fortgesetzt werden.
In der Tat: Denn gerade weil die Tagung derart viele gute Informationen bot, muss jetzt über die juristische Rahmengebung hinaus ernsthaft über die gesellschaftskritischen und ideenpolitischen Folgen nachgedacht werden.
Dr. Paul Schulz
Nach diesem Tagungsbericht gibt Dr. Schulz hier in Kürze einerseits eine kritischen Bewertung des Tagungsinhaltes und auf diesem ganz konkreten Hintergrund andererseits eine kritische Einschätzung der Situation der säkularen Szene in Deutschland.