Ein Leitfaden zum Kopftuch-Verbot

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Foto: ep.yimg.com

(hpd) Etienne Vermeersch, emeritierter Professor für Philosophie der Universität Gent (Belgien) und Autor vieler kulturphilosophischer und -ethischer Veröffentlichungen analysiert die Pro- und Kontra-Argumente zu einem Verbot des Kopftuches in einem in Belgien sehr beachteten Artikel. Die Analyse kann mit ihren prinzipiellen Aussagen auch eine Grundlage für die Diskussion in Deutschland liefern.

 

Er bezieht sich, veranlasst durch die auch in den internationalen Medien bekannte Diskussion über Maßnahmen von Schulen und Schulorganisationen sowie Gesetzesinitiativen zum Verbot des islamischen Kopftuchs in Belgien und besonders in Flandern, besonders auf das Problem des Kopftuches in den Schulen und den öffentlichen Ämtern.

Nachstehend eine leicht gekürzte Übersetzung des Artikels: „Der Islam und das Kopftuch in Belgien. Ein erweiterte Betrachtung.“ 

In der Debatte darüber (das Kopftuchverbot, N.d.Ü) ist Genauigkeit und Klarheit manchmal schwer zu finden. Einige argumentieren, dass die Absicht besteht "jede religiöse Äußerung aus dem öffentlichen Raum zu beseitigen". Doch mit Ausnahme einer einzigen rechtsextremen Person hat das hier niemand jemals vorgeschlagen. Man befürchtet ein Zurückdrängen des "Grundsatzes der Religionsfreiheit", obwohl die Diskussion sich nur auf drei spezifische Anwendungen bezieht: (a) Das Tragen der "Hijab" (Kopftuch) von Beamten während ihrer Amtszeit (b) von minderjährigen Schülern in den Räumen von Schulen, und (c) das Tragen des Gesichtsschleiers (Niqab oder Burka) in einigen oder allen öffentlichen Räumen.
 
Den Mangel an Klarheit zeigt auch die Tatsache, dass in den verschiedenen Beiträgen immer und immer wieder nur ein paar, meist die gleichen, Aspekte dieses Problems betont werden. Sie haben keinen Blick für den breiten Kontext, in dem wir den Konflikt setzen müssen.

Im Folgenden wollen wir den Gesichtspunkt dadurch erweitern, dass soweit wie möglich alle diese damit verwandten Probleme beleuchtet und sowohl die Argumente für und als auch gegen das beabsichtigte "Kopftuchverbot" gründlich analysiert werden.

1. Religionsfreiheit und Islam

a. Religionsfreiheit und die Freiheit des Denkens und der Meinungsäußerung werden durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte " (1948), den "Internationalen Vertrag über bürgerliche und politische Rechte "(1976), die "Europäische Menschenrechtskonvention“ (EGMK, 1950) und die belgische Verfassung garantiert. Diese Freiheit der Religion oder Weltanschauung beinhaltet auch die Freiheit diese Überzeugung "in Gottesdiensten, Unterricht, in der praktischen Anwendung und im Erhalt von Geboten und Vorschriften” zum Ausdruck zu bringen." (Artikel 9 EGMK).
Für die Religionen, die in Europa eine lange Tradition haben, wie die verschiedenen christlichen Religionen, scheinen diese Freiheiten kaum ein Problem zu sein. Deren Regeln betreffen in erster Linie religiöse Inhalte, die man akzeptieren muss und Übungen und Ritualen, die, ob im privaten Leben oder in öffentlichen Bereich, wie Kirchen, praktiziert werden und Verhaltensnormen die in erster Linie das Privatleben betreffen, oder die voll im Einklang mit den vorherrschenden traditionellen Normen stehen.
 
b. Der Islam hingegen stellt uns in Bezug auf diese Rechte vor ein völlig neues Problem. Seine Regeln ordnen die gesamte Gesellschaft. Dadurch entstand in den islamischen Ländern eine besondere Form von Recht und Gesetz: die Scharia. Der "Ausdruck" des Muslim- / Muslimaseins hat viel größere soziale Auswirkungen, als es im Christentum der Fall ist. Zwangsläufig muss die Ausbreitung des Islam in den europäischen Gesellschaften Spannungen verursachen, weil die Regeln des Islam im Widerspruch stehen zu dem, was hier mittlerweile als allgemeingültig angenommen wird.

Dies führt zu der unvermeidlichen Frage, ob die praktische Ausübung der Religion, wie garantiert durch die Freiheit der Religion, uneingeschränkt für diese breite Palette von Regeln, Gewohnheiten und Gebräuche gilt, die den Islam charakterisieren.
 
c.  Auch in der islamischen Welt sind die Menschen auf dieses Problem aufmerksam geworden. Angeregt durch die iranische islamische Republik wurde am 05.08.1990 innerhalb der Organisation der Islamischen Konferenz durch die Außenminister von 45 islamischen Staaten, die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam angenommen. Die OIC hat derzeit 56 Mitgliedstaaten, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie alle diese Erklärung unterstützen. (…)

Dieser Text nimmt weitgehend die Reihenfolge der Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf, fügt jedoch eine Reihe von Einschränkungen ein: "innerhalb der Grenzen der Scharia." Aber vor allem präzisiert Artikel 24: "Alle Rechte und Freiheiten unterliegen der islamischen Scharia“ und Artikel 25: "Die islamische Scharia ist die einzig zuständige Quelle für die Auslegung oder Erläuterung einer der Artikel dieser Erklärung. "

Diese extreme Verzerrung und sogar Einschränkung des ursprünglichen Textes der Allgemeinen Erklärung und damit der EMRK veranschaulicht auf beeindruckende Weise, dass Werte und Normen des Islam und ihre praktische Anwendung erheblich von denen der übrigen Welt und sicherlich von denen Europas abweichen. Konsequente religiöse Praktiken der Muslime können somit manchmal zu einem Verstoß gegen unsere Menschenrechte führen.

d. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten äußern sich stark in Bezug auf Normen, die radikal mit den europäischen Gesetzen in Konflikt treten.