(hpd) Die türkischstämmige Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates ist einer breiten Öffentlichkeit durch ihr Engagement gegen Ehrenmorde
und Zwangsheirat und für Frauenrechte und Integration bekannt geworden. Mit ihrem Buch „Der Multikulti-Irrtum" legt sie nun ein Werk vor, worin Kritik gleichzeitig in mehrere Richtungen verteilt wird: gegen die Frauendiskriminierung in Migranten-Kreisen und die Ignoranz der deutschen Mehrheitsgesellschaft, gegen die Konzeptionslosigkeit der Politik und die Realitätsblindheit der Multikulti-Anhänger. Dabei schlägt die Autorin aber nicht verbal wild um sich, sondern trägt ihre Positionen nüchtern und pointiert vor.
Inhaltlich spricht Ates die aktuell diskutierten Themen von Ehrenmord und Zwangsheirat über häusliche Gewalt und Kopftuch-Streit bis zu Bildungsproblemen und Scharia an. Dabei nimmt sie die bisherige Ausländerpolitik kritisch ins Visier: „Multikulti, so wie es bisher gelebt wurde ist organisierte Verantwortungslosigkeit" (S. 9). Darin artikuliere sich eine unverbindliche Toleranz gegenüber anderen Kulturen, welche männliche Überheblichkeit und rigorose Frauenunterdrückung als Ausdruck nationaler oder religiöser Identität dulde. Dieser Auffassung stellt die Autorin als Alternative das Modell einer europäischen Leitkultur auf Basis der Menschenrechte gegenüber.
Ates Buch ist kein wissenschaftliches Werk und stützt sich nur auf eine schmale Literaturgrundlage. Überwiegend argumentiert die Autorin auf Basis ihrer eigenen Erfahrungen als Rechtsanwältin, ergänzt um persönliche Reflexionen zu den genannten Themen. Unklar bleibt dabei aber, in welchem Maße die geschilderten Misstände ein repräsentatives Bild innerhalb der türkischen Community zeichnen. Im Unterschied zu Necla Kelek leitet Ates nicht einseitig die Ursachen für die Frauendiskriminierung aus dem Islam ab, sondern verweist stärker auf die patriarchalischen Strukturen innerhalb der Migrantenfamilien. Gerade derartige Differenzierungen und die allseits verteilte Kritik machen die Würze dieses Buches aus.
Armin Pfahl-Traughber
Seyran Ates, Der Multikulti-Irrtum. Wie wir in Deutschland besser zusammenleben können, Berlin 2007 (Ullstein-Verlag), 282 S., 18,90 €