Angriff auf den Rechtsstaat?

BERLIN. (hpd) Am 24. 10. 2007 steht eine Beratung über eine Änderung des § 166 Strafgesetzbuch auf der Tagesordnung des

Rechtsausschusses des Bundesrats.

 

Noch am Schluss seiner Amtszeit als bayerischer Ministerpräsident, mit Datum vom 1. 10. 2007, hat Edmund Stoiber dem Bundesrat auf Beschluss der Bayerischen Staatsregierung einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Das ist an sich nicht ungewöhnlich. Nicht nur finden sich in Süd- und Westdeutschland alljährlich christliche Politiker, die - und sei es zur Füllung des medialen Sommerlochs - eine Verschärfung des § 166 StGB fordern; auch die Zahl der einschlägigen Gesetzesanträge der letzten Jahre und Jahrzehnte, meist aus Bayern, ist nicht gering.

Noch jeder Verschärfungsantrag wurde spätestens im Bundestag eindeutig abgelehnt, und auch diesmal wird ihm hoffentlich kein Erfolg beschieden sein. Hauptsache, die bayerische Regierung hat erneut ihre spezielle Kirchenloyalität bewiesen. Reine wahltaktische Routine?

Aushöhlung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit

Jedenfalls ist die Qualität der bayerischen Forderung diesmal eine andere: sie ist ein rechtsstaatlich gefährliches Signal. Sie zielt nämlich darauf ab, religiöse Inhalte unabhängig vom öffentlichen Frieden sehr weitgehend unangreifbar zu machen, also die Religions- und Weltanschauungsfreiheit auszuhöhlen und Religionskritiker mundtot zu machen.

Ursprünglich stellte die Vorschrift in langer historischer Tradition die „Lästerung Gottes" unter Strafe. Seit 1969 wird bestraft, wer „den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses" oder eine Religionsgesellschaft bzw. Weltanschauungsvereinigung so „beschimpft", dass das „geeignet" erscheint, „den öffentlichen Frieden zu stören". In der Praxis wurde die Vorschrift fast ausschließlich zum Schutz der Kirchen angewandt.

Die Auslegungsprobleme der Merkmale der Beschimpfung und vor allem der Eignung zur Friedensstörung haben sich in der juristischen Praxis als fast unlösbar erwiesen. Obwohl Polizei und Staatsanwaltschaft nicht immer zimperlich vorgingen (etwa durch Beschlagnahme von religionskritischen Plakaten, Gemälden oder Spruchbändern, z. B. 2006 in Regensburg und Freising anlässlich des Papstbesuchs), scheiterten Verurteilungen häufig, zumal auch die Kunstfreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung zu beachten ist.

Vorschläge zur Streichung der Vorschrift

Die enorme Rechtsunsicherheit und im Ergebnis sehr geringe Zahl von Verurteilungen haben zu Vorschlägen der Streichung der Vorschrift geführt, weil dann immer noch die Tatbestände der Volksverhetzung (§ 130 StGB) und die Beleidigungstatbestände (§§ 185 ff.) gelten würden. Auch deshalb wurden zumindest Verschärfungen vom Bundestag bisher stets abgelehnt, und die Bundesregierung sah erst im November 2006 keinen Anlass zu einer Änderung. Selbst Bundesinnenminister Schäuble erklärte (vgl. DIE WELT, 1. November 2006): „Karikaturen müssen ertragen werden ... Kritik, die auch schon mal beleidigend sein kann - das alles macht unsere offene Gesellschaft aus" (s. dazu näher die Bundesregierung vom 27. 11. 2006).

Wie problematisch schon die „Eignung zur Friedensstörung" ist, machen die Vorgänge um die Mohammedkarikaturen besonders deutlich. Je fundamentalistischer und fanatischer die Anhänger eines kritisierten Glaubens sind, desto eher ist damit zu rechnen, dass ihre Reaktionen Unruhe verursachen und unfriedlich sein könnten. Dann steht gerade Kritik an besonders kritikwürdigen religiösen Richtungen in der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung: verkehrte Welt. So ist die bisherige Rechtslage! Sie schützt die Mehrheit gegen die Minderheit.

Die neue bayerische Attacke sattelt noch drauf: Es geht nicht mehr zunächst um den öffentlichen Frieden, sondern in erster Linie darum, um die Religionen einen Schutzwall zu errichten. Eine „Beschimpfung" (besonders schwerwiegende Herabsetzung) ist nicht erforderlich, es genügt bereits, wenn man eine Religion „herabwürdigt oder verspottet", selbst wenn sie das noch so sehr herausfordert. Der öffentliche Friede ist jetzt u. a. bereits dann in Gefahr, „wenn die Tat das Vertrauen der Betroffenen in die Achtung ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung beeinträchtigen...kann"

Liberalitas bavarica?

Man muss also Religionsinhalte selbst dann „achten", wenn man sie für besonders unsinnig und widersprüchlich hält, sie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen völlig unvereinbar sind und wenn sie mit Menschenrechten in Konflikt stehen; zumindest darf man sie nicht wirkungsvoll karikieren. Von offener pluralistischer Gesellschaft kann dann keine Rede mehr sein. Wer solche Forderungen erhebt, muss sich entweder die Frage nach seiner Ernsthaftigkeit oder seiner Verfassungstreue gefallen lassen. Liberalitas bavarica?

Gerhard Czermak