Bildersturm in Regensburg noch nicht beendet

REGENSBURG. (bfg) Wie die Polizei in einer Weltkulturerbestadt mit der Kunst umgeht

- Beschlagnahmung und Zerstörung - wenn der Papst kommt.

Vom Prinzip her gilt die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Kunst auch im Freistaat Bayern. Es sei denn, der Papst besucht die alte Heimat. Dann herrscht Ausnahmezustand: Eilfertige Staatsanwälte bringen den zweifelhaften Religionsparagraphen 166 in Stellung gegen das Grundgesetz und beschlagnahmen kirchenkritische Kunst. Mehr als ein Jahr nach dem Papstbesuch in Regensburg beschäftigen den Künstler Frank Scholz die Folgen.
Wie sich die Zensur im Namen des Herrn mit dem Grundrecht auf Informations- und Rezipientenfreiheit verträgt, will der Siemens-Marketingingenieur Walter Hoffmann vom Bundesverfassungsgericht wissen. Er reichte Verfassungsbeschwerde ein.

Nichts deutete an diesem strahlenden Spätsommertag auf dem Haidplatz in Regensburg, wenige Stunden vor dem Eintreffen des Papstes, auf Aufruhr hin. Zum „Heidenspaß statt Höllenqual“
hatte der Bund für Geistesfreiheit eingeladen und die Besucher strömten, informierten und amüsierten sich. Über Aktionskünstlerinnen, die priesterlich gewandet, Erleuchtungsfeuerzeuge, Ablass-Lose oder Stigmata-Tatoos aus einem Bauchladen anboten, über satirische und nachdenkliche Vorträge, die quer zum Papst-Hype standen. Ein interessiertes Publikum fand sich auch bei Frank Scholz ein, der seine beim Ordnungsamt der Stadt angemeldete Ausstellung „Die Heimsuchung“ endlich präsentieren konnte.

Vergeblich hatte der Regensburger Künstler, 54 Jahre alt, ausgezeichnet mit dem Kulturförderpreis der Stadt, zuvor nach geeigneten Ausstellungsmöglichkeiten für seinen kirchenkritischen Bilderzyklus gesucht. „Sobald die Leute hörten, worum es inhaltlich geht, winkten alle ab. Keiner wollte sich mit der Kirche anlegen“, erklärt Scholz, warum er den öffentlichen Raum wählte.

„Schluss mit lustig“

Mit der heiteren Stimmung war es am frühen Nachmittag vorbei, als gleich mehrere Staatsanwälte und Polizisten in Aktion traten und Hand anlegten. Staatsanwalt Ziegler, als Gruppenleiter, eröffnete dem Maler, dass zwei Bilder der „Heimsuchung“ den öffentlichen Frieden störten, strafbar nach Paragraf 166 Strafgesetzbuch „Beschimpfung von Bekenntnissen“. Die surrealistischen Darstellungen vom wabernden Weihrauch, dem Papst, Äpfeln und Pobacken wurden unter Pfiffen und Protesten der Zuschauer abgehängt. Als Beweismittel wanderten sie in die Asservatenkammer der Regensburger Polizei.

Nun setzen die Strafvorschriften des Religionsparagrafen 166, den der Freistaat Bayern wiederholt zu verschärfen fordert, zwingend voraus, dass der „öffentliche Frieden“ gestört wird, bevor Polizei und Staatsanwälte einschreiten. „Aber niemand fühlte sich durch die Bilder gestört“, erinnert sich der 57-jährige Walter Hoffmann, „erst das staatliche Auftreten sorgte für Unruhe“. Empört über die Zensur, „da wurde ich um mein grundgesetzlich geschütztes Recht auf Informationsfreiheit gebracht“, erstattete er an Ort und Stelle in einem Einsatzwagen der reichlich vertretenen Bereitschaftspolizei aus anderen Bundesländern Anzeige wegen Rechtsbeugung.

Ermittlungsverfahren

Das Amtsgericht Regensburg bestätigte jedoch das obrigkeitsstaatliche Handeln der Staatsmacht und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den Maler Frank Scholz ein. Und selbstverständlich lehnte die Staatsanwaltschaft, in Reaktion auf die Anzeige von Hoffmann, ein Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung ab.

Ganz anders sah das sechs Wochen später das Landgericht Regensburg, das über die Beschwerde des Malers Scholz verhandelte und urteilte: „Der grundgesetzlich garantierte Schutz der Kunstfreiheit gebietet eine restriktive Auslegung des Begriffs ‘Beschimpfen'“. Mit der Strafvorschrift des Religionsparagrafen könne nicht jegliche Kritik verboten werden. Die beiden Gemälde und 201 Postkarten derselben seien herauszugeben, sämtliche Kosten fielen der Staatskasse zur Last.

Frank Scholz erhielt seine beschlagnahmten Bilder zurück. Beschädigt! Der Aufenthalt in der Asservatenkammer war den beiden Ölbildern nicht gut bekommen. Das 60 x 80 cm große Gemälde „Wabernder Weihrauch“ ist hin. Beim Entfernen der Verpackung blieb an hunderten Stellen Ölfarbe an der Plastikfolie kleben. Kostenaufwand für die notwendige Restaurierung: 500 Euro.

Viermal schrieb Scholz der Staatsanwaltschaft Regensburg eine Rechnung, zweimal der von ihm beauftragte Rechtsanwalt – bis ein Bescheid kam: Der Generalstaatsanwalt in München würde sich nun mit dem Entschädigungsanspruch befassen. Und das dauert.

Auch für Walter Hoffmann ist das letzte Kapitel in dem Stück: „Wie hält es die bayerische Justiz in der Praxis mit dem Grundrecht auf Informations- und Rezipientenfreiheit, wenn der Papst kommt?“ noch nicht geschrieben. Es hatte ihn nicht überrascht, dass die Staatsanwaltschaft seine Anzeige wegen Rechtsbeugung, Zensur und Verletzung des Grundrechts auf Informationsfreiheit sofort kassiert und ein Ermittlungsverfahren abgelehnt hatte. „Wie könnte der Leitende Oberstaatsanwalt, der die Bilder beschlagnahmen ließ, auch gegen sich selbst ermitteln? Das ist eine absurde Situation.“

Wanderweg der Akten

Deshalb reichte Hoffmann Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht in Regensburg ein, überwies die Kostenrechung von 363,50 Euro an die Gerichtskasse und erhielt den Bescheid: „Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.“ Bei diesem „unzulässig“ blieb es, obwohl die Akten durch Bayern wanderten: Vom Amtsgericht Regensburg zum Oberlandesgericht Nürnberg und wieder zurück nach Regensburg. Dort nahm sich Amtsrichter Kastenmeier schlussendlich des Problems an, um Hoffmanns Begehren in allen Punkten abzuservieren. Seine Anträge seien in allen Punkten „unzulässig“. Dass die Beschlagnahme ein rechts-widriger Eingriff in sein Grundrecht auf Informationsfreiheit sei, die Staatsanwaltschaft belehrt werden müsse, zuallererst die Grundrechte zu schützen und sich künftig in vergleichbaren Situationen grundgesetzkonform zu verhalten. Alles unzulässige Anträge?

Walter Hoffmann ist beileibe kein Michael Kohlhaas, aber ein hartnäckiger Oberbayer, dem der autoritäre Obrigkeitsstaat ein Gräuel ist. Jetzt will er vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wissen: „Ob im konkreten Fall durch die Beschlagnahme der Bilder mein Grundrecht auf Rezipientenfreiheit verletzt wurde?“ Ein bisschen stolz ist der Marketingingenieur Hoffmann aber auch, „dass ich mit meiner Verfassungsbeschwerde Neuland betrete, denn bisher ist das Recht auf Rezipientenfreiheit nach Artikel fünf des Grundgesetzes noch nie eingeklagt worden.“

Für den Künstler Frank Scholz blieb der Trouble um seine kirchenkritische „Heimsuchung“ im erzkatholischen Ostbayern nicht folgenlos. In Neutraubling, einer Kleinstadt bei Regensburg, hängte der CSU-Bürgermeister Heinz Kiechle das von Frank Scholz gemalte Porträt seiner SPD-Amtsvorgängerin ab. Kiechle, bis zu seiner Wahl vor zwei Jahren strenggläubiger Religionslehrer, vergab den neuen Auftrag für die Rathaus-Galerie an einen braven heimischen Maler.

Waltraud Bierwirth