Arabische Revolution bekommt ein Gesicht

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Karim El-Gawhary / Foto: Manfred Weis

WIEN.(hpd) Karim El-Gawhary ist für zahlreiche Österreicher das Gesicht der arabischen Revolution geworden. Nicht ein Tag verging, an dem man Berichte des in Kairo lebenden Nahost-Korrespondenten in neuen wie alten Medien finden konnte.

Seit mehr als 20 Jahren ist er der Ansprechpartner deutschsprachiger Medien für den turbulenten Nahen Osten und wird dabei nicht nur von den Zuschauern geschätzt, denn er ist einer der aktivsten Journalisten in den Social Media.
 
Nun liegt sein Tagebuch der arabischen Revolution vor, das die Ereignisse der medial wohl am besten abgedeckten Revolution der Menschheit in klaren Zügen abbildet.
 
"Die ganze Welt hielt in den ersten Wochen der Revolution Anfang des Jahres 2011 den Atem an. Durch ihre schiere Masse und ihre unglaubliche Sturheit, immer wieder friedlich auf die Straße zu gehen, brachten die Araber auch die repressivsten Regime ins Wanken. Die Faszination dieser Freiheitsbewegungen entstand auch dadurch, dass die reale Macht des Volkes auch im fernen Europa greifbar und erfahrbar wurde. (…) Und es blieb nicht bei einem Land – es wurde die Zeit der Tausendundeinen Revolution."


Vom Auslöser des arabischen Frühlings in Tunesien, über den Freiheitskampf der ‚Facebook Jugend’ am Tahrir-Platz bis hin zum grausamen Machthaber Gaddaffi und seinem verzweifelten Kampf ums Überleben, die Aufstände im Jemen, Bahrain und im Nordkorea Europas: Syrien.
 
„In Tunesien erleben wir das erste Mal eine arabische Bewegung nicht gegen Kolonisatoren, sondern gegen das eigene repressive Regime. Das ist eine neue Qualität und darum sind die Ereignisse dort so wichtig. Das ist das erste Mal, dass die Araber aus ihrer Passivität erwachen und sich gegen ihre tyrannischen Regime wenden.“


Dabei handelt es sich nicht um eine Aneinanderreihung der vergangenen Monate sondern um einen persönlichen Bericht, der dem Buch seinen Charme verleiht: das neue Bewusstsein der Frau wird berührend thematisiert und das Ende des politischen Monopols verkündet, etc.
 
"(…) Um die Schriftstellerin Samia Serageldin hat sich eine Gruppe von Menschen versammelt und hört ihr aufmerksam zu. „Ich bin gekommen, um zu zeigen, dass wir keine Angst haben und uns nicht einschüchtern lassen. (…) Die Zeit der politischen Monopole sei vorbei", erklärt sie. Jetzt gehe es darum, faire und transparente Wahlen zu organisieren. Die Menschen um sie herum klatschen."


Gegen Ende wagt El-Gawhary einen Blick in die arabische Kristallkugel (wohin entwickelt sich Ägypten & Co.) und arbeitet damit die Interdependenzen der arabischen Staaten heraus.
 
"Jahrzehntelang war die arabische Welt wie ein in der Garage geparktes Auto. Jetzt ist sie erstmals auf einer aufregenden Spritztour unterwegs, und zwar mit den Bürgern auf dem Fahrersitz. Einige arabische Länder haben sich von ihren Diktatoren befreit, aber der Streit zwischen jenen, die einen umfassenden Wandel fordern, und jenen, die so viel wie möglich aus der alten Zeit in die neue hinüberretten wollen, ist voll entbrannt. Die Revolution war ohne Frage eine Zäsur, doch die Sicherheitsapparate und die alten Eliten sind noch nicht wirklich abgelöst. Und der neue arabische Pluralismus braucht Zeit, um sich zu organisieren. Vielleicht zu viel Zeit, mit dem Risiko, von den alten Kräften, zumindest zeitweise, doch noch einmal zur Seite gedrückt zu werden."


Authentizität


Nachrichten aus den Krisenstaaten konnte man zwar über Twitter & Co. finden, allerdings war es El-Gawhary mit seinen Berichten, die Licht in den doch so fernen Nahen Osten brachten. Der Inhalt seiner Berichte kommt aus der Krisenregion selbst und wird dabei mit Anekdoten angereichert, die dem Buch einen arabischen Touch geben. Es sind die „aus dem Moment heraus geschriebenen Aufnahmen, zusammengestellt zu einem Buch was zu einer Zeitreise wird, auf der Menschen nochmals auf den Tahrir Platz“ zurückkommen, beschreibt El-Gawhary.
 
Relevanz


Das Tagebuch der arabischen Revolution ist aus zwei Gründen äußerst interessant:
1. Der Autor wählte fast ausschließlich eigenen Content aus Social Media (Facebook-Statusmeldungen, Tweets, Blogpostings), angereichert und vertieft mit eigenen Interviews und Zeitungsartikeln, die durch einzelne Kommentare in den richtigen Kontext gestellt werden.
2. Die arabische Revolution in seiner Komplexität zu verstehen ist schier unmöglich - zumindest für den einfachen Leser. El-Gawhary ermöglicht allerdings einen tiefen Einblick, nicht durch eine Fülle an Lesestoff, sondern eine treffende Auswahl der relevanten Ereignisse.

In Kombination erzeugen diese zwei Faktoren eine Spannung, ein Realitätsgefühl, „den Flow der Revolution“, der den Leser mitreißt und mit handverlesenen Anekdoten mitten ins Herz trifft: die arabische Revolution bekommt ein Gesicht, einen Namen und wird damit erlebbar gemacht.
 
In den aktuellen Entwicklungen rund um Libyen und die Morde in Syrien nimmt dieses Tagebuch der arabischen Revolution den Leser auf eine persönliche Reise, auf der er die menschliche Seite der Revolution kennenlernt, und die komplexe Situation im Nahen Osten zu erahnen vermag und schließlich den nächsten Teil des Tagebuches herbeiwünscht.
 
Karim El-Gawhary startete eine gelungene Social Media Kampagne, stellte einen Ausschnitt seines Buches zum Gratis Download bereit und gewährt mit einem Video erste Einblicke.
 
Christoph Jeschke