Gott allein im Zug? - Eine Nachbetrachtung

gott_allein_im_zug.jpg

Foto: Thomas Häntsch

STUTTGART. (hpd) Vor drei Monaten berichtete der hpd  „Mit Gott auf allen Gleisen“ über die Bibelbotschaften in den Stuttgarter S-Bahnen. Darauf reagierten einige christliche Medien und Organisationen und der Autor hat bei der Bahn nachgefragt - hier eine Zusammenstellung.

Der Artikel wurde von christlichen Nachrichten-Portalen wie idea.de und kath.net binnen kurzer Zeit verbreitet und als Machwerk von Atheisten charakterisiert. So schrieb kath.net:

Kritik an Plakaten mit biblischen Botschaften in Stuttgarter S-Bahnen übt der Humanistische Pressedienst (Berlin). Dessen Herausgeber ist der Politologe und bekennende Atheist Carsten Frerk. Autor Thomas Häntsch stört sich daran, dass an den Scheiben einiger Wagen der sechs S-Bahn-Linien 50 mal 15 Quadratzentimeter große Transparente mit Bibelsprüchen wie „Wer meine Worte hört und danach tut, der ist klug“ und „Bekehre Dich zu Deinem Gott!“ hängen. Die Spruchbänder stammen von der Süddeutschen Plakatmission. Die evangelikalen Plakatbotschaften behinderten die Aussicht aus den Fenstern der S-Bahnen, beklagt Häntsch. Ein religiöser Verein dürfe „ungeniert in öffentlichen Verkehrsmitteln missionieren“.

Das Portal CID-News informierte unter der Überschrift „Oh wie Tolerant – Humanisten kritisieren Bibelbotschaften in S-Bahnen“ und stellte fest, dass die Süddeutsche Plakatmission von Mitgliedern der Württembergischen Landeskirche gegründet wurde. Aus der Tatsache, dass heute ein Teil der Kosten für die S-Bahn-Werbung vom württembergischen Oberkirchenrat getragen werde, könne freikirchlicher Fundamentalismus praktisch ausgeschlossen werden.

Die Texte an den Scheiben der Bahnen lassen Anderes vermuten und selbst im christlichen Lager ist man sich nicht sicher, inwieweit die freikirchlichen Zusammenschlüsse von evangelikalen Einflüssen unterwandert werden oder schon durchdrungen sind:

Sie sind zum Teil evangelikal geprägt und haben Sorge, die Kirche öffne sich zu sehr aufklärerischen, rational-kritischen Tendenzen.“, liest man bei der Evangelischen Landeskirche Baden.

Dass die Süddeutsche Plakatmission Teil des Netzwerkes der Evangelischen Allianz ist, wird von niemandem bestritten.

Was sagt der Eigentümer des rollenden Materials – die Deutsche Bahn zu dieser Art von religiöser Agitation in den Stuttgarter S-Bahnen?

Ein Sprecher der Bahn teilt auf Anfrage schriftlich mit: „Die Vermarktung unserer Werbeflächen erfolgt über die Ströer AG. Damit hält die Tochtergesellschaft Ströer DERG das ausschließliche Vermarktungsrecht der Werbeflächen des Konzerns DB AG und wir haben keine Entscheidungsmöglichkeit, Werbung bestimmter Unternehmen/Organisationen zu verhindern.

Innerhalb bestimmter inhaltlicher Kategorien können wir jedoch Motive ablehnen, z.B. wenn die Inhalte rechtswidrig oder rassistisch sind. Motive mit religiösen Inhalten lehnen wir ab, sofern es sich erkennbar um fanatische Sekten/Gruppierungen handelt, zur Gewalt oder zum Übertritt zur eigenen Glaubensrichtung oder zum Boykott anderer Glaubensrichtungen und -gemeinschaften aufgefordert wird. Dies ist im genannten Fall aus unserer Sicht nicht gegeben, so dass wir die aktuellen Motive nicht verbieten können und wollen.

Das heißt, dass die Bahn sich an Zeilen wie: „Wer meine Worte hört und danach tut, der ist klug“, nicht stört. Wer die Worte nicht hört, nicht hören möchte und nicht danach tut, der ist nicht klug oder anders ausgedrückt dumm! Dass Fahrgäste diese Plakate anstößig finden könnten, scheint die Bahn nicht zu kümmern.

Die Ströer AG, Köln, die die Scheiben der S-Bahnen vermarktet, sieht das in ähnlichem Kontext wie die Bahn und teilt mit: „…Wir haben uns deshalb dafür entschieden, die Annahme oder Ablehnung eines Auftrages davon abhängig zu machen, ob er inhaltlich mit dem bestehenden Recht und Gesetz vereinbar ist. Dies ist bei den Plakaten der Süddeutschen Plakatmission aus unserer Sicht der Fall.  Aus diesem Sachverhalt heraus sehen wir keine Veranlassung den Auftrag nicht anzunehmen. …“

Damit ist klar, dass man nicht damit rechnen kann, dass diese plumpe Art religiöser Willenslenkung in absehbarer Zeit verschwindet.

Der Artikel auf hpd und seine Resonanz bewegte Gerrit Mathis von Radio-m, sowohl mich als Autor als auch einen Vertreter der Süddeutschen Plakatmission zu einem Interview einzuladen. Ich nahm die Gelegenheit wahr und erfuhr während der Vorgespräche, dass sich die Plakatmission in dieser Angelegenheit nicht äußern wolle und hoffe, das Ganze liefe sich von selbst aus. Da stellt sich die Frage, warum ein Verein, der mit Bibelsprüchen Werbung macht, der missionieren will, einem Sender, der - so Gerrit Mathis auf der Homepage von Radio-m – Folgendes bewirken will: „…Gott und die Welt hörenswert zusammenbringen, Nachdenkenswertes vordenken, damit das Hirn nicht verkümmert, der Glaube in Bewegung bleibt und die Ohren Futter kriegen.“ kein Interview geben will?

Sportlich betrachtet, wäre das Gebaren der Verantwortlichen der Plakatmission eine Niederlage nach Punkten und veranschaulicht, dass sich die oft gescholtenen Religionsfreien, die „intoleranten Humanisten“, die übrigens nicht die Religionsausübung verbieten, sondern nur die Trennung von Staat und Kirche wollen, einem Gespräch auf Augenhöhe nicht verweigern und sich dem Dialog gestellt haben.

Mit Sinn und Verstand besehen ist es aber so, dass es keine oder kaum öffentlichkeitswirksame Werbung für Humanismus und ein religionsfreies Leben gibt, obwohl sich dieser Anschauung ein großer Teil der Bevölkerung zugehörig fühlt. Woran liegt das?

Bleiben wir im Raum Stuttgart, denn in der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg gibt es einen Verein, der eben für den oben erwähnten Teil der Bevölkerung arbeitet.

Bei einem persönlichen Gespräch mit Andreas Henschel, Geschäftsführer der Humanisten Baden-Württemberg, wurde klar, dass eine Werbeaktion im Stil der Plakatmission aus finanziellen Gründen nicht möglich ist. Der Verein, der durch sein Wirken mit dem Vorurteil aufräumt, religionsfreie Menschen hätten keine Rituale, lebt von bescheidenen Spenden, den Mitgliedsbeiträgen und vor allem vom persönlichen Engagement Andreas Henschels. Die Arbeit, die Angebote dieses Vereins sind eine Alternative zu christlichen Ritualen wie Taufe, Konfirmation, Firmung, um nur einige zu nennen. Namensgebung und die Jugendfeiern ziehen immer mehr Menschen an, doch all das kostet Geld und das ist – anders, als bei den vom Staat verhätschelten Kirchen -, mehr als knapp. Dabei ist dieser Verein einer der wenigen im religionsfreien Lager, die nicht nur gegen etwas sind, sondern Alternativen anbieten.

Andere Vereinigungen, Verbände und Gruppierungen im religionsfreien Spektrum sind finanziell und personell ebenfalls nicht in der Lage, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.

Ist es angesichts dieser Tatsachen nicht Zeit, da, wo es möglich ist, Zusammenschlüsse zu bilden?

Die religionsfreien Gruppen, Vereine und Verbände sind zu klein, zu wenig vernetzt und - was Ziele und Prägung des Auftretens betrifft - häufig untereinander uneinig. Man muss kein Hellseher sein, um zu erfassen, dass die Akquisition im Namen eines Gottes noch lange Zeit ohne Gegenargumente an den Scheiben der S-Bahnen kleben wird.

Dabei gäbe es so viel zu sagen, doch das geht in der religionsfreien Kakophonie bis jetzt unter.

Thomas Häntsch