RAMMENAU. (hpd) Die kleine Ortschaft Rammenau am Rande der Westlausitz in Sachsen beging den 250. Geburtstag ihres großen Sohnes Johann Gottlieb Fichte mit zahlreichen Veranstaltungen in einer Festwoche. Das waren neben einer Ausstellung, Gesprächsrunden, einem internationalen Philosophentreffen und Sonderführungen zum Leben und Wirken Fichtes die Herausgabe eines Sonderpostwertzeichens.
Rammenau ist ein Ort mit 1.400 Menschen, mit einem wunderbaren Barockschloss in einer reizvollen Landschaft eine knappe Autostunde von Dresden entfernt. Dieses Barockschloss mit englischem Garten und klassizistischem Interieur gehört seit 1993 dem Freistaat Sachsen. In diesem kleinen Ort in der Westlausitz wurde Johann Gottlieb Fichte am 19. Mai 1762 geboren. Er war erstes von acht Kindern eines einfachen Bandwebers, er interessierte sich für Vieles und konnte sehr zeitig lesen. Beim Gänsehüten las er alles, was ihm in die Hände fiel.
Entdeckung und Förderung
Durch einen Zufall wurden Fichtes Begabungen entdeckt und gefördert.
Ernst Ferdinand von Knoch, einst Kammerherr von August dem Starken, erwarb diese Sommerresidenz aus einem Konkurs. Es wurde zur kulturellen Begegnungsstätte seiner adligen Nachbarn. Im Jahre 1770 soll sich der Baron von Miltitz so verspätet haben, dass er den Gottesdienst verpasste, was dem gläubigen Christen die Laune verdarb. Nach der Überlieferung soll man den kleinen Fichte geholt haben, der bereits dafür bekannt war, die Predigten des Pfarrers wortwörtlich zu wiederholen. Baron von Miltitz war davon so angetan, zumal er erkannte, dass Fichte auch den Inhalt der Predigt verstanden hatte, dass er ihn fördern wollte. Er nahm ihn mit nach Siebeneichen (bei Meißen), ließ ihn in die Eliteschule gehen und schickte ihn auf die Fürstenschule Schulpforta nach Naumburg, damit er dann studieren könne.
Diese Anfangsjahre der Lebensgeschichte Fichtes sind ziemlich sicher verbürgt und zeigen den Beginn der Entwicklung von einem kleinen, armen Hütejungen zum großen deutschen Philosophen.
Festveranstaltung zum Jubiläum
Der Geburtstag von Johann Gottlieb Fichte jährt sich im Mai 2012 zum 250. Mal. Aus diesem Anlass gab das Bundesministerium der Finanzen eine Sonderbriefmarke heraus. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Hartmut Koschyk, stellte die Briefmarke bei einem Festakt im Barockschloss Rammenau der Öffentlichkeit vor.
Bei der Ehrung Fichtes erinnerte Rammenau nicht nur an den Meisterdenker des deutschen Idealismus, sondern ermöglichte auch einen Einblick in dessen Geisteshaltung. Die neue Biographie Fichtes von Wilhelm G. Jacobs wurde in diesem Zusammenhang vorgestellt. Beim Philosophentreffen diskutierten u. a. Prof. Jürgen Stolzenberg, Prof. Wilhelm G. Jacobs, Dr. Bernhard Jakl und Prof. Christoph Asmuth über die Rezeption und Bedeutung Fichtes in heutiger Zeit.
In ca. zwei Jahren soll auch die neue größere Fichte-Gedenkstätte im Erdgeschoss des Schlosses fertig sein.
„Versuch einer Kritik aller Offenbarung”
Durch die Förderung des Herrn von Miltitz konnte Fichte in Jena und Leipzig Theologie studieren. Als der Baron starb, erlosch auch das Stipendium und Fichte verdiente sich seinen Unterhalt als Hauslehrer in Zürich. Während dieser Zeit hörte er von Kant und war von dessen Lehre begeistert. Er bezeichnete die Lektüre Kants als Revolution des Geistes. Er schrieb daraufhin seinen „Versuch einer Kritik aller Offenbarung”. Dies stellte er Kant in Königsberg vor, der davon begeistert war und sich für die Veröffentlichung einsetzte. Er brachte mit seiner Schrift die Erkenntnistheorie, die theoretische und praktische Philosophie (Ethik) wieder in Einklang und erweiterte Kants Lehre durch das Handeln. Er war der Meinung, dass ein menschliches Bewusstsein nur dort sein kann, wo Handeln ist. Er betonte die Subjektivität des Ichs, das Selbstbewusstsein des Einzelnen und damit die Selbstbestimmung und Autonomie des Menschen, der nicht Objekt irgendeiner Herrschaft sein sollte. Aufgabe eines wissenden Menschen sei es, denkend zu handeln und handelnd zu denken. Nach der Veröffentlichung seiner Schrift, die anfangs für Kants Religionskritik gehalten wurde, berief man ihn 1794 als Professor nach Jena. Fichte schuf die grundlegende Dialektik des „Ich” und „Nicht-Ichs”, worauf später Hegel mit „Negation der Negation” und Marx aufbauten. Mit seiner Theorie vom „subjektiven Ich” gilt er zurecht als einer der wichtigsten Vertreter des deutschen Idealismus.
„Atheismusstreit”
In seinen „Reden an die Deutsche Nation” kritisierte er die napoleonische Besatzung und wurde dadurch auch zum Vordenker des nationalen Gedankens. Während der Zeit in Jena wurde er zur Zielscheibe im so genannten Atheismusstreit. Gleich zu Beginn seiner Lehrtätigkeit hatte er seine Vorlesungen ausgerechnet auf die sonntägliche Gottesdienstzeit gelegt. Zudem machte er sich über die Studentenorden lustig und fordert gar deren Auflösung. Seine Entlassung provozierte er mit einem Aufsatz. Er hatte in einem Nachwort zu einer Veröffentlichung des Saalfelder Schulkonrektor Frobergs 1798 geschrieben, dass Gott nur als eine moralische Stütze des Menschen angesehen werden könne und nicht als herrschende Macht, woraufhin er wegen Verbreitung atheistischer Ideen und Gottlosigkeit verklagt wurde. Anders als Kant argumentiert Fichte, dass die Existenz Gottes nicht für die moralische Werteordnung notwendig sei. Für die Philosophen im lutherisch geprägten Lehrbetrieb grenzte dies an Ketzerei. Die Jenaer Universität verlangte unter dem Druck der sächsischen Landesregierung, dass sich Fichte von seinen Auslassungen distanziere. Fichte weigerte sich und wurde daraufhin im April 1799 entlassen. 1805 bekam er den Lehrstuhl für Philosophie in Erlangen.
„Reden an die deutsche Nation”
Als Napoleon Preußen besiegte, musste Fichte 1806 nach Königsberg fliehen. Dort hatte er auch eine Professur inne. Nach dem Friedensschluss von Tilsit 1807 konnte er nach Berlin zurückkehren. Der preußische König holte ihn 1810 an die neu gegründete Universität in Berlin. Er wurde ihr erster Rektor. Bei der Neugestaltung Europas nach den Grundsätzen von Freiheit und höchster sittlicher Kultur, wie er in seinen „Reden an die deutsche Nation” klar machte, maß er den Deutschen eine besondere Rolle zu. Bereits 1810 bekam er die Position des Dekans der philosophischen Fakultät und für kurze Zeit war er der erste gewählte Rektor der Berliner Universität. Hatte sich Fichte zuvor als Anhänger der Französischen Revolution bezeichnet, so profilierte er sich nun insbesondere durch die flammend patriotischen Reden an die deutsche Nation als Gegner Napoleons.
Im Februar 1813 brach er seine Vorlesungen „Über die Bedeutung des wahren Krieges ab”, entließ seine Studenten, die gegen Napoleon in den Krieg zogen. Er selbst nahm an Waffenübungen zum Landsturm teil.
„Der geschlossene Handelsstaat” - ein Gesellschaftsentwurf
Er entwarf Theorien für Bildung und Staatswesen, wie diese aussehen sollten. Jeder solle das tun, wofür er gebraucht würde. In seiner Schrift „Der Geschlossene Handelsstaat” formulierte er sein Programm eines autonomen Nationalstaates. Der Staat solle die Grenzen für Ein- und Ausfuhr schließen und nach innen ein Ständesozialismus gebildet werden. In strikter Abgrenzung vom offenen Handelsstaat ging es dem deutschen Idealisten auch um eine Kritik an der so genannten Globalisierung. Bereits Fichte beanstandete ein globales Wirtschaftsdenken, weil er die Autonomie des Nationalstaates dadurch gefährdet sah. Der Reichtum Europas könne nicht auf der Ausbeutung der Kolonien beruhen. Jedoch blieb das private Eigentum für ihn unantastbar. Er sah dies als existentielle Basis individueller Existenz, ohne das es keine Freiheit gebe. Für dessen Schutz solle es Verträge zwischen den einzelnen und dem Staat geben.
Der Staat solle als unabhängige Instanz über die Verteilung des Eigentums wachen und es schützen. Es war seine Reaktion auf die beginnende Globalisierung, in der der Merkantilismus bereits einige Nationen zum Ruin geführt hatte. Schon vor 200 Jahren arbeitete er die Schwachstellen einer Wirtschaftspolitik heraus, die sich nur auf Globalisierung beschränkt. Er entwickelte eine sehr individuelle Geldtheorie, bei der das Bruttosozialprodukt das einzige Äquivalent zum Wert des Geldes bildet.
Parallel dazu entwickelte er auch seine „Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters” und trug sie vor akademischem Publikum vor. Diese seine Geschichtsphilosophie unterschied drei gesellschaftliche Phasen: Das „arkadische Zeitalter” der primitiven Zustände eines herrschenden Vernunftinstinkts; das Zeitalter der „vollendeten Sündhaftigkeit”, in welchem sich das Gemeinwesen von sich selbst entfremdet hat und in viele divergierende Individuen zerfallen ist; das dritte Zeitalter wird das „elysische” sein, in welchem die Individuen nur noch konturlos wie Atome durcheinander schweben. Wie trifft doch die Beschreibung seiner zweiten Phase wieder auf das Deutschland von heute zu.
Sein Wirken ist heute neben dem anderer deutscher Philosophen seiner Zeit, wie Kant oder Hegel, kaum noch bekannt. Dies ist vor allem auf seinen frühen Tod zurückzuführen. Er erkrankte bei der Pflege seiner Frau an Flecktyphus und starb 51-jährig daran.
Elke Schäfer