US-Humanisten trauern um Gore Vidal

LOS ANGELES. (hpd) Am vergangenen Dienstag starb der US-amerikanische Schriftsteller und Drehbuchautor Gore Vidal im Alter von 86 Jahren. Wie die Los Angeles Times gestern berichtete, starb er an den Folgen einer Lungenentzündung in seinem Haus in den Hollywood Hills. Auch die amerikanischen Humanistinnen und Humanisten betrauern nun den Tod ihres früheren Ehrenpräsidenten.

Der „brillante Provokateur“ (Süddeutsche Zeitung, Welt Online) wurde in den USA über lange Zeit als der vielleicht am besten bekannte gesellschaftliche Intellektuelle gesehen und veröffentlichte unter anderem mehr als 25 Sachbücher und Romane. In seinen Schriften und Reden griff er immer wieder die religiös-konservative Rechte in den Vereinigten Staaten, das US-amerikanische Expansionsstreben und den militärisch-industriellen Komplex oder politische Reformen zur Wahrung der „nationalen Sicherheit“ an.

Erste größere Bekanntheit erlangte er nach vorherigen Achtungserfolgen mit seiner im Jahr 1948 veröffentlichen dritten Schrift „Geschlossener Kreis“, das in der breiten Öffentlichkeit Aufregung und Anstoß erregte, weil die homosexuelle Identität der Hauptfigur des Romans nicht als unnatürlich beschrieben wurde. Erst 1986 erschien das Buch in Deutschland. Das im Original „The City and the Pillar“ genannte Buch gilt als das erste literarische Werk des vergangenen Jahrhunderts, in dem Homosexualität offen und breit thematisiert wurde.

Gore Vidal selbst lebte mehr als fünf Jahrzehnte mit seinem Partner Howard Austen zusammen, der vor neun Jahren starb. Er soll nun in einem gemeinsamen Grab mit Howard in der Rock Creek Cemetery in Washington D.C. beigesetzt werden.

Der in der Militärakademie West Point nahe New York geborene Gore Vidal hieß ursprünglich Vidal Eugene Luther. Sein Vater, ein Oberleutnant, hatte den Namen für ihn ausgewählt. Später nahm er den Nachnamen seines Großvaters mütterlicherseits, Thomas Pryor Gore, als Vornamen aus Dankbarkeit dafür an, dass er von ihm gelernt hatte, stets politisch zu denken.

Gore Vidal hatte einen „erstaunlichen“ (The Guardian) schriftstellerischen Ausstoß, der nicht nur Romane, sondern auch die Arbeit an Essays und Drehbüchern umfasste. Unter anderem gehörte er zu den Drehbuchautoren des 1959 uraufgeführten Spielfilms Ben Hur, der später mit elf Oscars ausgezeichnet wurde und zu den aufwändigsten Produktionen der Filmgeschichte zählt. In späteren Jahren übernahm er auch kleinere Rollen in anderen Filmen.

Gore Vidals Versuche, selbst in die unmittelbare Politik einzusteigen, blieben erfolglos. Trotzdem nahm er zu jeder Zeit durch sein Wirken einen Einfluss auf das Geschehen und die Debatten im Land. Er beteiligte sich unter anderem aktiv an einer Organisation, die für eine juristische Anklage gegen den US-Präsidenten George W. Bush wegen der Begehung von Kriegsverbrechen eintrat. George W. Bush nannte er einst den „dümmsten Mann“ in den Vereinigten Staaten und pflegte auch weder gegenüber anderen Personen eine zurückhaltende Sprache, noch über das Land selbst.

Den Künstler Andy Warhol bezeichnete er als „das einzige Genie mit einem IQ von 60“, das er kenne. Und die Vereinigten Staaten, so Vidal, seien zwar von den klügsten Menschen im Land gegründet worden, aber seitdem wären solche nicht mehr zu sehen gewesen. Über die Menschheit sagte er: „Stellen Sie sich die Erde als lebendigen Organismus vor, der von Milliarden Bakterien attackiert wird und deren Zahl sich alle vierzig Jahre verdoppelt. Entweder stirbt der Wirt oder der Virus, oder beide.“

Mit dem Tod von Gore Vidal verlor die Gesellschaft nun nicht nur einen streitbaren Autoren und kritischen politischen Aktivisten, auch die US-amerikanischen Humanisten trauern um ihren einstigen Ehrenpräsidenten.

David Niose, Präsident der American Humanist Association, sagte heute in Washington D.C.: „Die progressiven und humanistischen Werte“, die Gore Vidal nachdrücklich vertreten hatte, „haben die Kultur in eine positive Richtung bewegt“. Er sei eine „meisterhafte Stimme für den Humanismus“ gewesen. Gore Vidal habe sein Leben dem Aufzeigen der gesellschaftlichen Problemfelder gewidmet, welche die meiste Beachtung benötigen, ohne sich darum zu kümmern, ob sich jemand durch seine Standpunkte peinlich berührt oder verstimmt fühlt.

Arik Platzek