Der Tag der Deutschen Einheit ist seit 1990 der wichtigste Feiertag unseres Landes. Er soll an das historische Ereignis der Wiedervereinigung erinnern – ein Triumph von Freiheit und Demokratie. Doch seit 35 Jahren beginnt das offizielle Programm nicht mit einem Festakt im Rathaus, nicht mit einer demokratischen Zeremonie auf einem öffentlichen Platz, sondern mit einem ökumenischen Gottesdienst in einer Kirche. Auch 2025 wurde diese Tradition fortgesetzt: Bundespräsident, Kanzler, Bundestags- und Bundesratspräsidentin sowie die gesamte Politprominenz sangen "Allein Gott in der Höh sei Ehr" – live übertragen von der ARD.
Der Tag der Deutschen Einheit fand dieses Jahr in Saarbrücken statt, da das Saarland derzeit den Vorsitz im Bundesrat innehat. Eine schöne Tradition, die allen Bundesländern abwechselnd ermöglicht, die offiziellen Feierlichkeiten auszurichten – doch es gibt auch eine aus säkularer Sicht ärgerliche Konstante: Jedes Jahr beginnen die Feierlichkeiten mit einem ökumenischen Gottesdienst. Die Veranstaltung wurde nicht im Saarbrückener Rathaus, sondern in der Saarbrückener Ludwigskirche eröffnet. An dem Gottesdienst nahmen unter anderen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger, Bundeskanzler Friedrich Merz und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner teil.
Für die fast 50 Prozent der Deutschen, die konfessionsfrei sind, ist das ein Schlag ins Gesicht. Sie dürfen entweder die Inszenierung dulden oder sich ausgeschlossen fühlen. Es ist die paradoxe Botschaft: Alle gehören dazu – außer denjenigen, die keiner Religion angehören.
Christliche Parallelwelt
Auf der offiziellen Website zum Tag der Deutschen Einheit heißt es freundlich, im Gottesdienst würden aktuelle Themen von Bergbau bis Klimaschutz aufgegriffen. Doch das geschieht ausschließlich im Rahmen von Gebeten, Predigten und Bekenntnissen. Die Festpredigt hielten katholische und evangelische Würdenträger; in Video-Einspielern kamen Vertreter jüdischer, muslimischer oder Bahai-Gemeinden zu Wort. Nur die größte weltanschauliche Gruppe, die Konfessionsfreien, blieben unerwähnt – wieder einmal. Diese demonstrative Leerstelle, die seit 35 Jahren sprachlos macht, signalisiert, dass Atheisten und nichtreligiöse Menschen beim Tag der Deutschen Einheit von den Vertretern der Bundesrepublik ignoriert werden. Warum gelten fast die Hälfte der Bürger für den Staat offenbar nicht als repräsentabel? Ist das gelebte Demokratie?
Demokratie im Schatten der Kanzel
Neben der Klima-Aktivistin und Theologin Susanne Speicher sowie Hans-Jürgen Becker, der als Vorsitzender des Vereins BergbauErbeSaar davon berichten durfte, dass "den Bergleuten der Glaube jeden Tag die Kraft gegeben hat, in die Grube einzufahren" und ein "Anfahrtsgebet" zitierte, erzählte die Unternehmerin Alyeh Sadat als Wanderin durch Religionen und Konfessionen über ihren Glauben und ihre tiefe Gottesverbundenheit. Dazwischen stimmte die versammelte Politprominenz von Lars Klingbeil über Alexander Dobrindt bis Jens Spahn gemeinsam "Allein Gott in der Höh sei Ehr" an und priesen Gott als allmächtigen Vater, der sich ihrer erbarmen soll.
So wird das Gedenken an die Wiedervereinigung zur Bühne für religiöse Selbstvergewisserung, als sei die Bundesrepublik eine Glaubensgemeinschaft. Der höchste Feiertag der Republik wirkt wie eine Rückkehr in eine vormoderne Ordnung, in der Religion das gesellschaftliche Leben dominiert. Wer sich als nichtreligiöser Mensch die von der ARD live übertragene Auftaktveranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit ansieht, reibt sich angesichts dieser ins mediale Zentrum gerückten christlichen Parallelwelt die Augen.
Diese Schieflage ist mehr als nur ein störendes Detail. Sie macht sichtbar, wie eng Staat und Kirche in Deutschland noch immer miteinander verflochten sind. Statt den 3. Oktober als Fest der Freiheit zu feiern, wird er zur Kulisse für eine christliche Heilsbotschaft, die nicht mehr zur politischen Gegenwart passt. Wer Einheit ernst nimmt, müsste Vielfalt zeigen – gerade auch im Hinblick auf die Neuen Bundesländer, in denen es noch weit weniger christliche Tradition gibt.
Ein Blick nach vorn
Im Jahr 2026 richtet Bremen die Feierlichkeiten aus. Wäre es nicht an der Zeit, die verkrustete Tradition zu durchbrechen und ein Signal gegen die Politikverdrossenheit zu setzen? Statt eines ökumenischen Gottesdienstes könnte ein Festakt im Rathaus oder auf dem Marktplatz die Feier eröffnen – mit Musik, Reden, Kunst und Beiträgen aus allen Teilen der Gesellschaft. Ein Fest der Demokratie, nicht des Dogmas. Ein Fest der Freiheit, nicht der Frömmigkeit. Nur so kann der 3. Oktober wirklich ein Tag der Deutschen Einheit werden – für alle Bürgerinnen und Bürger. Der höchste Feiertag der Bundesrepublik muss zukünftig ohne Kirchenritual stattfinden.







