Am 27. Mai 1525 wurde Thomas Müntzer hingerichtet, nachdem die aufständischen Bauern knapp zwei Wochen vorher bei Frankenhausen in Thüringen vom Söldnerheer der Fürsten besiegt worden waren. Anlässlich des Jahrestages ist im Alibri Verlag ein Sammelband erschienen, der Müntzers Leben und die unruhige Zeit, in der er wirkte, untersucht. Der hpd sprach mit den Herausgebern Karsten Krampitz und Albert Scharenberg.
hpd: Thomas Müntzer hat Spuren in der Geschichte hinterlassen, wird von vielen Seiten vereinnahmt. In der DDR blickte er vom Fünf-Mark-Schein, ein sächsischer Landtagsabgeordneter reklamierte ihn 2020 als AfD-Wähler, zwei historische Texte von Friedrich Engels und Hugo Ball dokumentiert ihr in eurem Band. Aber welches gesicherte Wissen haben wir denn über ihn?
Albert Scharenberg: Insgesamt wissen wir erstaunlich wenig über Müntzer. Das liegt zuvörderst daran, dass seine "Befreiungstheologie" im Anschluss an die Niederlage der aufständischen Bauern von den Siegern der Geschichte – von den Fürsten, aber auch von Luther – unterdrückt wurde.
Karsten Krampitz: Wir kennen den Tag seiner Hinrichtung, wissen auch, dass er etwa 1489 geboren wurde. Aber nicht einmal seine Eltern sind bekannt. Als Prediger reiste Müntzer viel, er war Pfarrer in Zwickau, Allstedt und Mühlhausen. Immerhin sind einige seiner Schriften erhalten geblieben, sodass wir seine Theologie und Liturgie rekonstruieren können.
Müntzer war Theologe, Pastor, Reformator. Wie sah denn seine Vorstellung von Christentum aus? Was hat er zur Reformation beigetragen?
Karsten Krampitz: Müntzer war der Vater des deutschsprachigen Gottesdienstes. Auf seiner Pfarrstelle in Allstedt führte er 1523 eine deutsche Gottesdienstordnung ein und hielt den gesamten Gottesdienst – nicht nur, wie Luther, die Predigt – in deutscher Sprache ab.
Albert Scharenberg: Müntzer war der "Gegen-Luther" der Reformation. Während Luther sich mit den evangelischen Fürsten verbündete, um die katholische Hierarchie zu stürzen, begründete Müntzer die Anliegen der aufständischen Bauern unter Berufung auf die Bibel.
Nun wird er sehr stark im Kontext des Bauernkrieges wahrgenommen. War er ein revolutionärer Theologe?
Karsten Krampitz: Müntzer war ein Mystiker und Endzeitprophet. Und eben auch Vorbild und Projektionsfläche für spätere emanzipatorische Bewegungen. Für ihn gilt das Gleiche wie für Jesus: ein Martyrium bezeugt noch keine Wahrheit.
Albert Scharenberg: Er repräsentierte eine andere, radikalere Strömung der Reformation. Während Luther unter Berufung auf Römer 13 bedingungslosen Gehorsam gegenüber den Obrigkeiten verlangte, begründete Müntzer ein christliches Recht auf Revolution gegenüber dem "tyrannischen" und "gottlosen" Adel und Klerus. Er war also sehr wohl, wie schon Ernst Bloch schrieb, ein "Theologe der Revolution".
Welche Rolle hat Religion denn im Aufstand der Bauern gespielt?
Karsten Krampitz: Das Christentum war die ideologische Sphäre, in der die Menschen damals gedacht und gelebt haben. Luthers Schrift "Von der Freyheyt eines Christenmenschen" gab den Bauern einen moralischen Kompass.
Albert Scharenberg: Ja, und Müntzer ging dann noch einen Schritt weiter: Für ihn war diese Freiheit, anders als für Luther, zugleich eine überaus irdische Angelegenheit. Er stellte sich hinter die in Zwölf Artikeln niedergeschriebenen Forderungen der Bauern, seine christliche Herleitung von Gerechtigkeit fand einen großen Resonanzboden unter den Aufständischen.
Wie ist der Bauernkrieg denn aus heutiger Sicht zu bewerten? War er Vorbote kommender bürgerlicher Revolutionen? Ausdruck konservativen Festhaltens am "alten Recht" in einer sich verändernden Welt? Eine bewaffnete Bürgerrechtsbewegung?
Karsten Krampitz: Da gibt es viele unterschiedliche Deutungen. Fest steht: Der Bauernkrieg vor 500 Jahren war der erste von unten organisierte Umsturzversuch. Irgendwelche Raubritter und Königsmörder gab's zu allen Zeiten, aber die Ereignisse von 1524/25 waren eine antifeudale Revolution, ein Aufstand der unterdrückten Bauern und ihrer Verbündeten gegen Adel und Klerus.
Albert Scharenberg: Und wenn man die "Zwölf Artikel" der Bauern liest, die wir in dem Band dokumentieren, erkennt man schnell, worum es damals ging: um die Leibeigenschaft und die Höhe der Abgaben, die die Bauern leisten mussten, aber auch um das Recht der Gemeinden, ihre eigenen Pfarrer zu wählen, und nicht zuletzt um die Wiederherstellung der Allmende, des Gemeinbesitzes von Wäldern, Wiesen, Äckern und Gewässern.
Im Werbetext zum Buch heißt es, Müntzer kämpfte gegen die "Gottlosen" seiner Zeit? Wie ist das zu verstehen?
Albert Scharenberg: Interessanterweise sind die "Gottlosen" für ihn nicht die Andersgläubigen, die Juden und die Muslime. Die "Gottlosen" seiner Zeit waren die "Tyrannen", und das heißt für Müntzer: die weltlichen und geistlichen Obrigkeiten, die den Pfad Gottes verlassen hatten und nur auf ihren Eigennutz aus waren.
Und wer wären dann analog dazu heute die Gottlosen?
Albert Scharenberg: Darüber schreibt der schottische Müntzer-Biograf Andrew Drummond einen fantastischen Essay in unserem Band. Anzuknüpfen ist hier bei Müntzers Betonung des Eigennutzes der gottlosen Obrigkeiten, die sich nicht um die Folgen ihres selbstsüchtigen Handelns scheren. Solche nur dem Geld dienenden "Gottlosen" gibt es auch heute: Es sind jene, die auf kurzfristige Profite schielen, ohne die Folgen fürs Klima zu beachten; die sich immer weiter auf Kosten anderer bereichern, während es einem Großteil der Menschheit am Allernötigsten fehlt; es sind auch jene Politiker, die diesen zerstörerischen Eigennutz in marktradikale Gesetze gießen.
Karsten Krampitz: Mit Elon Musk hat der reichste Mensch der Welt kürzlich gar der Empathie – und damit der Nächstenliebe – offen den Krieg erklärt. Gottlos sind also auch jene, die sich auf den Glauben berufen, aber kapitalistisch-selbstsüchtig handeln. So, wie die sogenannten christlichen Nationalisten in Trumps Amerika, beispielsweise.
Ist das nicht auch eine Vereinnahmung Müntzers?
Karsten Krampitz: Also ich denke, dass diese Interpretation sich mit vollem Recht auf Müntzer berufen kann. Dazu möchte ich abschließend den Beitrag von Altbischof Michael Bünker im Band zitieren. Er schreibt: "Wer die biblische Tradition richtig hört und liest und heute umsetzen will, wird […] sich stark einsetzen für die Armen, die Unterdrückten und Ausgegrenzten. Und wenn die Verhältnisse unerträglich werden, dann gibt es ein christliches Recht auf Revolution. Auch das kann man von Thomas Müntzer lernen."
Karsten Krampitz / Albert Scharenberg (Hrsg.): "Dran! Dran! Dran!" Thomas Müntzer; der Bauernkrieg und die Entblößung des falschen Glaubens. Aschaffenburg 2025, Alibri Verlag, 164 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86569-427-0
Zum Foto: "Das Bauernkriegspanorama ist ein monumentales Panoramabild über den Bauernkrieg […] des Leipziger Malers und Kunstprofessors Werner Tübke. Es befindet sich im Panorama Museum, einem eigens dafür errichteten Gebäudekomplex, auf dem Schlachtberg bei der thüringischen Kleinstadt Bad Frankenhausen am Fuße des Kyffhäusergebirges. Das Werk entstand in den Jahren 1976 bis 1987, ursprünglich zum Gedenken an den Deutschen Bauernkrieg und den Bauernführer Thomas Müntzer. Mit einer Fläche von 1.722 m² zählt es zu den größten Panoramen der Welt." (Wikipedia)