BERLIN. (hpd) Sie fordern ein Recht auf humanes Sterben, das haben die rund 80 Teilnehmern der DGHS-Diskussionsrunde an diesem Mittwoch gemein. Wenn es für sie so weit ist, wollen sie sich nicht vor einen Zug werfen müssen. Die vier eingeladenen Rechtsspezialisten klärten sie über die aktuelle Gesetzeslage auf.
"Warum soll ein Arzt oder Jurist oder Pfleger über meinen Tod bestimmen, wenn nur ich mit den Schmerzen lebe?", fragt eine Frau aus dem Publikum, die seit drei Jahren Schmerzpatientin ist. Die rund 80 anderen Teilnehmer applaudieren, die meisten von ihnen sind weit über 60. Ich, gerade mal 23, muss schlucken. So habe ich bisher noch nicht über das Sterben nachgedacht.
Dabei ist das Thema für meine Verwandten, die bald zu derselben Altersgruppe gehören werden wie der Großteil der Teilnehmer, wahrscheinlich nicht weniger aktuell. Der Konsens der hier Versammelten: Wenn sie sich für den Freitod entscheiden sollten, wollen sie die Möglichkeit haben, sich von Ärzten, die ihre Situation verstehen und bereit sind ihnen zu helfen, beraten lassen. Sie fordern, dass man sie mit ihrem Anliegen nicht tabuisiert oder gar in die Illegalität treibt. Man soll ihnen ihr Recht auf selbstbestimmtes und humanes Sterben gewähren. Den Gedanken, sich vor eine Bahn werfen zu müssen, wenn es so weit ist, empfinden sie als inhuman.
Grundsätzlich gebe ihnen das Grundgesetz in ihrem Anliegen Recht, führen die zur Diskussionsrunde eingeladenen Rechtsprofessoren aus. Selbstmord sei in Deutschland nicht strafbar. Beihilfe zum Freitod, z.B. in Form einer ärztlichen Beratung darüber, welche Dosis eines bestimmten Medikamentes man zu sich nehmen sollte, ebenso wenig, erläutert Prof. Dr. Dr. Hilgendorf, der die Einführung gibt. Problematisch sei hingegen, dass es für Sterbehilfe praktische keine speziellen gesetzlichen Regelungen gebe. Dies verunsichere alle Beteiligten, insbesondere die Ärzte, die im Falle eines strafrechtlichen Verfahrens nicht nur um ihren Ruf fürchten müssen. Da die Politik bisher nicht gewillt war, umfassende Regelungen zu diesem Thema zu treffen, sei die Rechtsprechung in dieser Frage bisher vor allem von den Fallentscheidungen der Gerichte vorangetrieben worden. Diese haben bislang eine Liberalisierung, vor allem in Fragen der passiven Sterbehilfe, herbeigeführt. Das Aussetzen lebenserhaltender Maßnahmen ist daher - unter der Bedingung, dass von den Betroffenen ein solcher Wunsch geäußert wurde - garantiert straffrei.
Ein zur Zeit von der Schwarz-Gelben Koalition diskutierter Gesetzesentwurf, der gewerbliche Sterbehilfe unterbinden soll, könnte dieser Entwicklung jedoch wieder entgegenwirken. Ziel des Gesetzes ist es, gewerbliche, d.h. mit finanziellem Gewinn, unter Strafe zu stellen, um somit Missbrauch zu verhindern. Solch eine gewerbliche Sterbehilfe gebe es in Deutschland aber eigentlich fast nicht. Die meisten Sterbehilfe-Vereine seien gemeinnützige Vereine ohne Profitgenerierung, erläuterte Prof. Dr. Verrel zu diesem Thema. In seiner derzeitigen Formulierung könnte das Gesetz aber, wenn es verabschiedet würde, Ärzte kriminalisieren die Suizid-Beratungen geben und für ihre Arbeit bezahlt werden. Die anwesenden Juristen sind sich einig: Dieser Gesetztesentwurf ist inkonsistent und nicht der richtige Ansatz. Mit einem pauschalen Verbot werde man den Interessen der Bürger, von denen einer aktuellen Umfrage der DGHS zufolge 77% die Möglichkeit ärztlicher Freitodhilfe befürworten, nicht entsprechen. Statt dessen sollte der Gesetzgeber lieber eine tatsächliche Regelung in Angriff nehmen, bei der Beratung im Vordergrund stehe. So ähnlich, wie es für Abtreibungen mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz bereits geschehen ist.
Erfahrungen aus anderen Staaten, wie z.B. dem US-Bundesstaat Oregon, in denen es solche Regelungen gibt, haben gezeigt, dass viele, die das Angebot und die damit verbundene Beratung in Anspruch nehmen, dadurch wieder die Kraft gewinnen können, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen. Das angestrebte Verbot verbaue lediglich die Möglichkeit, solchen Menschen zu helfen.
Zu der Frage, ob die Bundesregierung von ihrem Gesetzesvorhaben wieder abrücken könne, äußerten sich die Spezialisten negativ. Derzeit sehe es eher so aus, als ob eine Kluft zwischen dem ethischen Empfinden der Bevölkerung und den Moralvorstellungen des Gesetzgebers zu dieser Frage bestünde. Aber man solle die Hoffnung nicht aufgeben, schließt Prof. Dr. Kreß vom Lehrstuhl für Ethik, der einzige Nicht-Jurist unter den Diskussionsteilnehmern. Schon allein die Tatsache, dass man heute in einer Diskussionsrunde frei über Suizid reden könne, sei vor 80 Jahren noch undenkbar gewesen. Das Tabu sei gefallen, früher oder später werde diese Entwicklung auch in der Politik ankommen.
Andrej Swidsinski