Der neue Humanismus

NÜRNBERG (hpd) Große Resonanz fand die Tagung „Der neue Humanismus", die am

vergangenen Wochenende vom Turm der Sinne in Kooperation mit der Giordano Bruno Stiftung und der Humanistischen Akademie Bayern durchgeführt wurde

 

Der Eppelein-Saal in der Nürnberger Burg war mit annähernd 200 Teilnehmern gefüllt, die den Vorträgen hochkarätiger Wissenschaftler lauschten. Die Beiträge kreisten um die Fragen, wie die naturwissenschaftlichen Anteile des „neuen Humanismus" beschrieben werden könnten und welche Schlussfolgerungen für Gesellschaftsordnung und Ethik daraus gegebenenfalls zu ziehen wären. Dass die Einschätzungen dabei im Detail auseinandergingen, lag nicht nur in der Sache der Natur.

Rational verhandelbare Spielregeln

Als eines der zentralen Merkmale des neuen Humanismus benannte Michael Schmidt-Salomon in seinem Eröffnungsvortrag, dass dieser den Zusammenhang zwischen Kultur und Natur erkenne und deshalb darauf abziele, Humanismus und Naturalismus zu verbinden. Für eine naturalistische Ethik bedeute dies, sich von Begriffen wie „gut" und „böse" oder „Schuld" zu verabschieden, da sie menschliches Handeln nicht erklären und somit auch keinerlei Perspektive für eine Veränderung eröffnen. Wenn menschliche Taten hingegen als Ausdruck menschlicher Interessen begriffen würden, könne nach rational verhandelbaren Spielregeln für die allfälligen Interessenskonflikte gesucht werden.

Epikur als „erster Freigeist"

Im anschließenden Block ging es um historische Traditionslinien, an die ein neuer Humanismus möglicherweise anknüpfen könnte. Theodor Ebert stellte den griechischen Philosophen Epikur als „ersten Freigeist" vor und Bernulf Kanitscheider zeigte, dass Epikurs Ideen in den Rahmen antiken Denkens eingeordnet werden können. Ein zentraler Begriff - auf den im 20. Jahrhundert Michel Foucault zurückgriff - ist dabei die „Selbstsorge". Sie wurde als Basis für politisches Engagement und Altruismus gesehen. Denn wer mit sich selbst „im Reinen" ist, so die antike Vorstellung, könne auch seinen Mitmenschen und der Polis dienen. Freundschaften werden nach dieser Auffassung nicht zuletzt aus dem Bewusstsein heraus gepflegt, dass es sich in einer Welt mit Freunden besser leben lässt - der Altruismus hat also eine „egoistische" Komponente.

Kognitive Grundeinstellungen einer „intuitiven Psychologie"

Nach der Mittagspause ging es in den Vorträgen von Eckart Voland und Gerhard Schurz um die Frage, was aus einer evolutionären Perspektive zur Funktion der Religion und zu den Entwicklungschancen eines Humanismus gesagt werden kann. Dabei scheint es, dass von einer „evolutionären Nachhaltigkeit" der Religion ausgegangen werden muss. Untersuchungen zeigen Kinder als „intuitive Theisten" (sie glauben an Allwissenheit, haben einen „dualistischen" Blick auf die Welt usw.). Diese kognitiven Grundeinstellungen führen zu einer „intuitiven Psychologie", die wiederum zur Grundlage der „Volksfrömmigkeit" wird. Allerdings ist diese Entwicklung auf der individuellen Ebene stark abhängig von der persönlichen Biographie - nicht alle Menschen sind religiös. So erscheint Religion als „konditionale Universalie", verhält sich zu Religiosität wie Sprache zu Sprachfertigkeit - jeder kann sie entwickeln, doch ob dies tatsächlich geschieht und in welcher Form dies geschieht, ist von Rahmenbedingungen abhängig.

Beide Referenten stellten die These auf, dass historisch gesehen sich Religion gesellschaftlich stabilisierend ausgewirkt habe. Altruistische Verhaltensweisen hätten sich vor allem dann durchgesetzt, wenn durch soziale Kontrolle die Einhaltung belohnt und Verstöße geahndet werden konnten. Genau diese Funktion könne Religion übernehmen, in gewisser Weise, so Eckart Voland, sogar besonders elegant, weil sie in der Lage sei, den „Richter" zu internalisieren (Angst vor dem strafenden Gott). Auf gesellschaftlicher Ebene brachte dies für die betreffende Gruppe offenbar einen Selektionsvorteil. Die Kehrseite der Medaille war freilich, dass zugleich die Feindschaft gegenüber anderen Gruppen wuchs und sich auch in deren Vernichtung niederschlagen konnte.

Chancen eines neuen Humanismus

Gerhard Schurz führte abschließend einige Probleme an, die eintreten, wenn Religion ihre gesellschaftlichen Funktionen verliert: Es entstehe Wertevielfalt und es komme zu einer „Destabilisierung" der sozialen Ordnung. Die damit einhergehenden gesellschaftlichen Konflikte müsse ein neuer Humanismus ebenso ausgleichen können wie er für Menschen, die in existentiellen (nicht materiellen) Nöten stecken, Trost bereithalten sollte.

Während diese beiden Referenten also trotz des „evolutionären Vorteils" von Religion Möglichkeiten sahen, dass ein säkularer Humanismus gesellschaftsprägend werden könnte, war Josef H. Reichholf eher zurückhaltend. Menschen würden ihr Verhalten nur dann ändern, wenn es sie nicht zuviel koste. Da manche der Forderungen des Humanismus jedoch mit relativ hohen „Kosten" für das Individuum verbunden seien, sehe er nicht, wie eine evolutionsbiologische Perspektive für den Humanismus nutzbar gemacht werden könne.

Am Sonntag wurden neuer Humanismus und neuer Atheismus in den Vorträgen von Winfried Löffler und Armin Pfahl-Traughber zunächst kritisch hinterfragt. Danach stellten sich fünf der Referenten in einer Schlussrunde nochmals dem Publikum.

„Offene Baustelle"

Die Organisatoren der Tagung waren am Ende nicht nur mit dem guten Besuch zufrieden. „Wir erheben schon den Anspruch", so Helmut Fink aus dem Führungskreis des Turms der Sinne, „Antworten auf die Frage zu geben, welche gesellschaftlichen Auswirkungen neue wissenschaftliche Forschungsergebnisse nach sich ziehen." Hier habe er einige interessante Anregungen aus den Vorträgen und Diskussionen mitgenommen. Gleichwohl sehe er die Verbindung von Naturalismus und Humanismus als „offene Baustelle", an der weitergearbeitet werden müsse. Vielleicht lasse sich die erfolgreiche Kooperation mit Giordano Bruno Stiftung und Humanistischer Akademie im kommenden Jahr in Form einer Anschlusstagung fortführen.

Martin Bauer