DÜSSELDORF. Der Künstler Jacques Tilly im Gespräch über Religion, Satire und die Macht der Bilder.
Seit sich die Kunst aus ihrer dienenden
Rolle der Religion gegenüber befreit hat, stehen beide in einem Spannungsverhältnis. Neben den zahlreichen religiös inspirierten Werken entstanden zunehmend Bilder und Plastiken, die das religiöse Weltbild nicht beachteten oder gar explizite „Gegenbilder" entwarfen. Deren Wirkung waren sich die Sachwalter des Übersinnlichen durchaus bewusst. Weit mehr als zum Beispiel die Wissenschaft ist die Arbeit der Künstler den Bemühungen der Kirchen, sie zu kontrollieren, ausgesetzt. Jacques Tilly, Zeichner und künstlerischer Leiter des Düsseldorfer Karnevalszuges, gehört zu jenen, die Religion und Kirche seit Jahren kritisch kommentieren. Mit ihm sprach Gunnar Schedel über das Verhältnis von satirischer Kunst und organisierter Religion.
Gunnar Schedel: Auf dem Düsseldorfer Karnevalszug waren in den letzten Jahren immer wieder mal Wagen zu sehen, die das Eingreifen der Religion in die Politik zum Thema hatten. Dieses Jahr war das nicht so, obwohl es doch einige Anlässe gegeben hätte. Warum?
Jacques Tilly: Nachdem ich im letzten Jahr so genüsslich auf den Kardinal Meisner und den Gotteskrieger Bush eingedroschen habe, wären gerechtigkeitshalber dieses Jahr die Moslems dran gewesen. Jedes Wahngebilde darf mal an die Reihe kommen, da bin ich ganz unparteiisch. Doch bedauerlicherweise kochte genau zu Rosenmontag der „Karikaturenstreit" seinem Siedepunkt entgegen. Das Düsseldorfer Karnevalskomitee - sonst auch vor nichts bang - musste aus Sicherheitsgründen dieses Jahr alles abblasen, was nur im Entferntesten nach Mohammed roch. Und meine schönen Entwürfe zum Thema Islam und Frauenunterdrückung wanderten diskret in den Papierkorb. Also gab's dieses Jahr ein 1 zu 0 für die religiösen Fanatiker islamischer Prägung.
Nun war das nicht der einzige Fall, Religion vom karnevalistischen Spott auszunehmen. Auch aus der Stunk-Sitzung wurde für die Übertragung im WDR ein Sketch über die Herren Ratzinger und Meisner herausgeschnitten. Ist das nur als vorübergehender Aktionismus im Zusammenhang mit dem „Karikaturenstreit" zu sehen oder verschlechtern sich die Möglichkeiten für Satire derzeit generell?
Der religiöse Irrsinn hat momentan weltweit Oberwasser. Und entsprechend proportional verringern sich natürlich die Entfaltungsmöglichkeiten für respektlose Lästermäuler.
Andererseits ist das für Spötter wie mich natürlich eine kommode Situation. Wenn die journalistische Debilität auch bei ARD, SPIEGEL und TAZ derart grassiert, gibt es viel Arbeit für den aufgeklärten Spaßvogel. Nur dringt man immer schwerer durch. Wer sich mit der Religion anlegt, gilt nicht als Held, sondern auch bei ehemals kritischen Geistern als konsenszertrümmender Störenfried, der noch immer die Kämpfe von gestern kämpft. Das ist mir aber so ziemlich schnurzepiepe.
2005 hattest du einen Wagen gebaut, der den Kölner Kardinal Meisner als militanten Abtreibungsgegner darstellte. Gab es daraufhin Proteste?
Natürlich gab es Proteste, und nicht zu knapp. Das war wieder ein exemplarischer Fall in Sachen Christentum und Kritik: Erst selber kräftig austeilen - damals hatte unser geliebter Kölner Kardinal Meisner sogar zur Auschwitzkeule gegriffen - und wenn man sich dann den Konter einfängt, jault man zutiefst verletzt auf und schreit nach der Staatsmacht. Allein die Düsseldorfer Rheinische Post druckte drei volle Seiten Protestbriefe, das Kölner Bischofssekretariat meldete sich zu Wort, das Comitee Düsseldorfer Carneval wurde zum „Gespräch" mit den lokalen Kirchenfürsten gebeten. Immerhin drohte keiner damit, mir für diese Frevelei die Rübe abzutrennen. Und doch frage ich mich: Soll ich die Christenheit jetzt für die zivilisatorische Leistung loben, dass sie im Gegensatz zur grünlackierten Konkurrenzreligion ihre Kritiker heutzutage nicht mehr physisch liquidiert?
Wie groß ist eigentlich das kritische Potential eines Karnevalswagens? Wird er ausschließlich als dreister Spaß in einer Zeit, in der eh alles erlaubt ist, wahrgenommen und auch gleich wieder vergessen oder gibt es Grund zur Annahme, dass ein Denkprozess angestoßen wird, der über den Tag hinaus anhält?
So ein Karnevalsumzug ist eine gigantische öffentliche Bühne, und die Arbeiten des Karikaturisten erfahren hier eine Breitenwirkung wie sonst nirgends. Millionen Menschen stehen am Straßenrand, und Millionen sitzen vor dem Fernseher. Und die Presse bringt die besten Wagen anderntags deutschlandweit auf den Titelblättern, sie kommentiert und wertet die politischen Umzüge der großen Karnevalshochburgen. Denn was dort gezeigt wird, gilt als Volkes Stimme. Die Signale, die von einem politischen Karnevalswagen ausgehen, sollte man nicht unterschätzen. Auf einige besonders freche Wagen werde ich auch nach vielen, vielen Jahren noch angesprochen.
Im vergangenen Jahr, als Papst Benedikt XVI. den Weltjugendtag in Köln besucht hat, hast du eine phantastische Großplastik entworfen, die den Zustand der Kirche recht treffend wiedergab: einen Dinosaurier, dem die Aufklärung die Zähne gezogen hat. Im September kommt der Papst wieder nach Deutschland - wirst du dir auch diesmal etwas einfallen lassen?
Die Idee mit dem Dinomobil ist eine direkte Folge meiner Schockstarre, die mich beim Absterben des polnischen Papstes ereilte. Die gesamte deutsche Journalistenschar verübte damals munter den großen Verrat am eigenen Berufsethos. Was man da über Wochen lesen konnte, war kein Journalismus mehr, das war Missionierung pur, das war der große Sündenfall der vierten Gewalt. Als dann der Weltjugendtag im Sommer 2005 in Köln stattfand, war schon vorher klar, dass die schreibende und sendende Zunft wieder ihren Beruf schwänzen und wochenlang begeistert Jubelexzesse zelebrieren würde. Da fühlte ich mich verpflichtet, in Zusammenarbeit mit der Giordano-Bruno-Stiftung den Bildern mit dem umjubelten Papst ein eigenes Bild entgegenzusetzen. Ich habe 10 Tage eine Großplastik durch Köln gefahren, die für unsere „religionsfreie Zone" warb. Wenn es keine kritische Gegenöffentlichkeit gibt, muss man sie eben selber schaffen. Mein Motiv war der Papst als Raubsaurier, ein anachronistisches Fossil aus grauer Vorzeit, der munter seine Schafherde hütet. Der Wagen ist von allen direkt verstanden worden. Und da der mediale Konsens in Sachen Lobpreisung des Kirchentages diesmal wirklich betonhart war – Gleichschaltung ist hier das Wort der Wahl – sind wir doch einigermaßen gut durchgedrungen.
Aber für den diesjährigen Papstbesuch in München ist nichts Vergleichbares geplant. Ein solches Projekt ist mit hohen Kosten und enormem Arbeitsaufwand verbunden, diese Leistung kann ich nicht chronisch erbringen.
Worin liegen die besonderen Möglichkeiten von Religionskritik „in Bildern"?
Religionskritiker wundern sich oft, warum ihre vielfach doch so überzeugenden Bemühungen bei den Gläubigen so wenig Wirkung zeigen. Auch ich habe im Verlauf vieler ergebnisloser Diskussionen einsehen müssen, dass rationale Argumentation die irrationalen Zentren der Religiösität kaum berühren kann. Es scheint sich um zwei völlig unterschiedliche Systeme zu handeln. Religion funktioniert, indem sie die Vernunft ausschaltet und durch Bilder, Gefühle und Suggestionen ersetzt. Und diese Bilder üben anscheinend eine viel stärkere Macht auf das Bewusstsein aus als die Ratio. Was hat schon einen stärkeren emotionalen Impact als das Bild des gekreuzigten Erlösers? Diese Szene wurde ja mit Bedacht als Zentralikone installiert. Deshalb müssen wir von der Religion lernen. Wir müssen ebenfalls gut gemachte Bilder ins Rennen schicken.
Außerdem können Bilder komplizierte und abstrakte Sachverhalte in einfache und sofort erfaßbare Formeln packen. Damit hat man einen enormen Wettbewerbsvorteil im Ringen um die öffentliche Aufmerksamkeit. Mit guten Bildern im Gepäck kann man das intellektuelle Ghetto verlassen und auch diejenigen Bevölkerungsteile erreichen, die sich auf anspruchsvolle Argumente und Bücher nicht einlassen wollen.
Und wo liegen die Grenzen?
Der Satiriker muß zuspitzen, übertreiben, auf den Punkt bringen. Das ist Teil seines Handwerkszeugs. Der Nachteil dieser Operation ist dann, daß wesentliche Differenzierungen der guten polemischen Pointe geopfert werden und leicht durch den Rost fallen. So neigt der Karikaturist chronisch zur vereinfachenden Schwarz-Weiß-Perspektive. Wenn Satire zur platten Agitation verkommt, wird die Sache witzlos. Ideal ist deshalb die gelungene Kombination aus Wort und Bild, etwa in Bild-Vorträgen oder in Wort-Bild-Publikationen. Damit kann man eine optimale Durchschlagskraft erreichen.
Was darf Satire? Gibt es Grenzen, die einzuhalten du empfehlen würdest? Wo liegen diese gegebenenfalls und wer könnte dies kontrollieren? Oder: gibt es Dinge, die alle ernst nehmen müssen?
Die vielzitierte Sentenz von Tucholsky, daß die Satire einfach alles dürfe, ist bei ehrlicher Betrachtung der Dinge nicht zu halten. Jeder Mensch ist nach einem ihm eigenen moralischen Kompass geeicht, der ihm seine Grenzen auferlegt. Und zu Recht gilt hierzulande der Konsens, daß die Akzeptanz dort aufhört, wo etwa Antisemitismus oder Rassismus anfangen. Wir wissen in Deutschland einfach besser als anderswo, wo das hinführen kann. Also gibt es natürlich auch für Satiriker Grenzen. Die muß jeder für sich selbst bestimmen. Die Frage ist nur, inwieweit man Grenzen gesetzlich schützen kann oder schützen sollte. Und da plädiere ich natürlich für eine weitestgehende Freiheit der Kunst.
Derzeit gibt es wieder einmal Bemühungen, den § 166 StGB zu verschärfen. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat als Beispiel für eine nicht hinnehmbare Provokation die Zeichentrick-Serie Popetown genannt. Nach meinem Dafürhalten wird die katholische Kirche in der Sendung aber gar nicht „beschimpft", sondern auf völlig harmlose Weise veralbert. Und ich mutmaße, dass keine weltliche Einrichtung sich nennenswert darüber aufgeregt hätte, wenn sie auf diese Weise karikiert worden wäre. Ist Religion für die Kunst also kein Gegenstand wie jeder andere?
Seit dem Karikaturenstreit gelten bezüglich Islam natürlich andere Arbeitsbedingungen für den Künstler. Man weiß jetzt einfach, daß man auch bei harmlosen Arbeiten wie den zwölf dänischen Karikaturen sein Leben riskiert. Und es ist natürlich absolut skandalös, daß Edmund Stoiber den mordbereiten islamischen Fundamentalisten noch argumentative Schützenhilfe gibt. Selbst vielen Kirchenleuten ist nicht wohl bei dem Gedanken, den § 166 zu verschärfen, weil sie sich damit automatisch in ziemlich üble Gesellschaft begeben. Doch anstatt die Freiheit der Rede und der Kunst gegen die aktuellen totalitären Bedrohungen zu verteidigen, stellt sich Stoiber völlig ungeniert mitten in den Chor der islamischen Fanatiker, die nach Strafen für Gotteslästerer schreien. Ob jemand zum Abschuss freigegeben oder drei Jahre in den Knast gesteckt wird - der Unterschied ist doch nur graduell. Glückwunsch zu dieser Meisterleistung. Der Mann hat's weit gebracht, jetzt ist er auf seine alten Tage auch noch ein Trittbrettfahrer des islamistischen Extremismus geworden. Denn er scheint ja wohl ziemlich beeindruckt zu sein von der ursprünglichen und ungezähmten religiösen Kraft des Islam. Solch eine authentische Religiosität hätte der alte bayerische Neidhammel in seinem christlichen Club hier auch gerne.
Immer wieder werden von den Verteidigern der Religion die Verletzbarkeit der religiösen Gefühle ins Spiel gebracht. Was hast du damit für Erfahrungen gemacht?
Diese ausgelutschte Leerformel von den angeblich so verletzbaren religiösen Gefühlen wird mir jetzt schon seit mehr als einem Jahrzehnt an den Kopf geworfen. Fällt denen nicht mal etwas Neues ein? Immer diese Standard-floskeln von der Stange. Karikaturen können religiöse Gefühle doch gar nicht verletzen. Mit dieser Formel wollen die Verteidiger des Glaubens nur den wahren Sachverhalt kaschieren: Sie sind einfach nur stinkesauer, wenn jemand die Glaubensabstrusitäten nicht so ernst nimmt wie sie selbst. „Meine religiösen Gefühle sind verletzt" hört sich natürlich um einiges besser an als „ich habe eine Stinkwut". Man kann sich damit zum armen Opfer stilisieren, das dringend des Schutzes bedarf, wie ein angefahrenes Reh auf der Landstraße.
Doch religiöse Gefühle bedürfen keines besonderen Schutzes, man muß vielmehr vor ihnen warnen, da sie eben auch hochgefährlich sein können. Was haben religiöse Gefühle nicht schon für einen unfaßbaren Schaden angerichtet.
Warum kommt es immer wieder zu extremen Reaktionen der Religionen auf Kunst und Satire? Sind Religion und die Freiheit der Kunst im Grunde inkompatibel?
Ein großer Teil der Gläubigen jeglicher Couleurs will einfach nicht begreifen, daß in einer modernen, liberalen Gesellschaft jeder, der seine Ideen auf dem Markt der Gedanken preisgibt, auch damit rechnen muß, durch den Kakao gezogen zu werden. Viele Religiöse leben mental noch in Zeiten des Glaubenszwangs, wo man sich anmaßte, den Menschen ihre Denkformen gesetzlich vorschreiben zu können. Da haben viele Christen und Moslems dringend Nachhilfestunden nötig. Also, erst Al Razi, Locke, Paine, Popper und Albert pauken. Dann dürfen sie wieder mitreden.
Doch eine starke Fraktion der Religiösen zieht es vor, sich dem gewaltfreien Wettbewerb um die besseren Argumente zu entziehen. Sie wollen sich nicht den Mühen und Zumutungen aussetzen, die eine Teilnahme am offenen Diskurs mit sich bringt. Statt dessen wollen sie die Inhalte ihrer fragwürdigen Gedankenwelt – wie etwa jetzt die Gottesidee – gesetzlich schützen lassen.
Man stelle sich das einmal beim Fußball vor: Bei der WM verlangt eine Nationalelf, doch bitte ohne gegnerische Mannschaft zu spielen. Man sei ja schließlich etwas ganz Besonderes, und die Spielregeln seien doch dahingehend zu ändern. Doch jeder ahnt: die haben nur Angst, zu verlieren. Weil die so verdammt schlecht Fußball spielen.
Das Interview wurde zuerst in Materialien und Informationen zur Zeit (MIZ) Nr. 2 /2006 veröffentlicht.