(hpd) Der Historiker Marco Sennholz legt mit “Johann von Leers. Ein Propagandist des Nationalsozialismus” eine umfangreiche Biographie über einen Funktionsträger des Nationalsozialismus vor, welcher nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Islam konvertierte und seine antisemitische Hetze gegen Israel in Ägypten fortsetzte. Es handelt sich um eine gut belegte und überaus informative Lebensbeschreibung, die hier und da stärker analytisch ausgerichtet hätte sein können, erfolgen doch Wertungen erst knapp im Schlussteil.
Seit einigen Jahren lässt sich in der Forschung zum Nationalsozialismus eine Renaissance der Biographieforschung ausmachen. Es erschien eine Fülle von Lebensbeschreibungen von Funktionsträgern des “Dritten Reichs” auf der zweiten, dritten oder vierten Ebene. Den Anfang dieser Wiederentdeckung machte Ulrich Herbert mit seiner Studie über Werner Best, einen führenden Mitarbeiter des “Reichssicherheitshauptamtes” und seinerzeitigen “Reichsstatthalter” in Dänemark. Bei diesen Arbeiten ist nicht nur interessant, was die Portraitierten während, sondern auch nach dem “Dritten Reich” taten. Dies gilt auch und gerade für Johann von Leers (1902–1965), einem der bedeutendsten antisemitischen Propagandisten des Regimes. Ihm hat der Historiker Marco Sennholz auf Basis bislang noch nicht ausgewerteter historischer Quellen eine umfangreiche Studie mit dem Titel “Johann von Leers. Ein Propagandist des Nationalsozialismus” gewidmet. Sie will “den persönlichen Werdegang von Leers in das politische Gesamtgeschehen seiner Tage einbetten” (S. 13).
Sennholz schildert zunächst Leers Kindheit, Schule, Studium und Berufstätigkeit, wobei seine Politisierung besondere Beachtung findet. Bereits am Ende des Ersten Weltkriegs sei ein “politisches Motiv, das ihn sein Leben lang begleiten und bestimmen sollte”, hervorgetreten: der Antisemitismus. Dessen nationalistische Aufladung führte den Portraitierten 1929 in die NSDAP, zunächst noch am “sozialistischen” Flügel der Strasser-Brüder orientiert, später aber die offizielle Linie teilend. Binnen kurzer Zeit machte Leers dort Karriere, wobei er insbesondere antisemitische Schriften publizierte. Der Autor meint: “Es war … weniger die Radikalität seiner politischen Forderungen, die ihn als Judengegner so wahrnehmbar machte, sondern die Permanenz, mit der er die Bedeutung der ‘Judenfrage’ behauptete und in alle Lebensbereiche einfließen ließ, untermalt durch die Verwendung eine exzessiven Vulgärsprache” (S. 115). Später wurde Leers nach seiner 1936 erfolgten Aufnahme in die SS dort Führer beim Stab des Rasse- und Siedlungshauptamtes.
Zwei Jahre später, 1938, erhielt er eine außerplanmäßige Professur an der Universität Jena, wo Leers 1940 dann auch Lehrstuhlinhaber für “Deutsche Geschichte, insbesondere deutsche Bauerngeschichte” wurde. Da er eine ideologische Linientreue aufwies, war weder ein Geschichtsstudium noch eine Habilitation für diese Berufung notwendig. Übrigens gehörten zu seinen seinerzeitigen Assistentinnen Ingeborg Meinhof und deren spätere Lebensgefährtin Renate Riemek, also Mutter und Stiefmutter der späteren Linksterroristin Ulrike Meinhof. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg lebte Leers zeitweise noch unter falschem Namen in der Nähe von Bonn und ging dann wie viele NS-Funktionäre nach Argentinien. Dort publizierte er in einschlägigen Publikationsorganen weiterhin antisemitische Texte. 1955 siedelte Leers nach Ägypten um, wo die Konversion zum Islam und die Namensänderung in “Omar Amin von Leers” erfolgte. Unter Nassers Herrschaft arbeitete er dort im Auslandspropagandadienst, wobei die antisemitische Agitation der NS-Zeit nun gegen Israel fortgesetzt wurde.
Allein dieser außergewöhnliche letztgenannte Lebensabschnitt macht die Biographie von Leers interessant und spannend zugleich. Sein Antisemitismus bildete eine Kontinuität, die sowohl im Namen des biologistischen Rassismus wie der islamischen Religion vorgetragen werden konnte. Sennholz kommentiert: Es greife zu kurz, “die Konversion lediglich als pragmatischen oder gar opportunistischen Akt zu verstehen. Seit seinen publizistischen Anfängen hatte Leers stets eine besondere Affinität zum Islam gepflegt” (S. 322). Solche analytischen Einschätzungen findet man indessen in der Biographie nur selten. Der Autor beschränkt sich meist darauf, seine Informationen über den Lebensweg des Portraitierten zu präsentieren. Erst im Schlussteil präsentiert er in der Zusammenfassung dann Einschätzungen zu Weltbild und Wirkung. Dazu hätte man sich mehr Ausführungen gewünscht. Indessen bereichert Sennholz unser Wissen über einen bedeutenden NS-Funktionär durch seine gut recherchierte Studie, die zu vielen weiterführenden Analysen und Forschungsfragen anregt.
Marco Sennholz, Johann von Leers. Ein Propagandist des Nationalsozialismus, Berlin 2013 (be.bra wissenschaft-Verlag), 459 S., 48 Euro