Pro Ethikunterricht

BERLIN. (hpd/dfw) Pro Ethikunterricht und contra Pro-Reli-Kampagne in Berlin - und die Berliner Erklärung des Bundesforums Familie.

Der Berliner Senat hat das für alle Schüler und Schülerinnen der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen verbindliche Fach „Ethik" erfolgreich eingeführt. Diese Maßnahme entspricht genau den Forderungen des Dachverbands Freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW). Der Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG wird in den Bundesländern als ein konfessionsorientierter Unterricht verstanden, der dazu führt, dass die Schülerinnen und Schüler in nach Religionen getrennten Gruppen unterrichtet werden. Damit widerspricht diese Unterrichtsform der in allen Bundesländern festgesetzten pädagogischen Zielsetzung der Integration, die besonders erforderlich ist für die Werteerziehung in unserer multikulturellen Gegenwart.

Berlin ist das erste Bundesland, das mit der Einführung des Faches Ethik der dringend notwendigen integrativen Werteverständigung konsequent Rechnung trägt. Das ähnlich konzipierte Unterrichtsfach „Lebensgestaltung/ Ethik/ Religionskunde" (LER) in Brandenburg hat leider eine Abwahlklausel und ist daher leider nicht für alle verbindlich. Die christlichen Kirchen in Berlin haben eine sog. „Pro-Reli-Bewegung" gestartet, mit der sie die Verbindlichkeit des Faches Ethik abschaffen und den konfessio-nellen Religionsunterricht zum neuen Wahlpflichtfach erheben wollen. Als Gegenaktion entstand die Bürger-Initiative „Pro-Ethik", die der DFW inhaltlich unterstützt.

Zeitlich fällt in diese Auseinandersetzung die Berliner Erklärung (BE) des Bundesforums Familie (BFF) vom 25.11.2008. Das BFF ist ein Zusammenschluss von „über 100 Organisationen mit dem gemeinsamen Ziel, aktiv Verantwortung für eine familienfreundliche Politik zu übernehmen". Auch der DFW gehört zu den Mitgliedsorganisationen. Das Bundesforum Familie ist durch das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend initiiert und wird durch das Ministerium gefördert.

Das erste Projekt, das das BFF in den letzten 2 Jahren bearbeitete, hat den Titel: „Kinder brauchen Werte - Bündnisinitiative: Verantwortung Erziehung". Mit der Berliner Erklärung liegt ein erstes Ergebnis vor, das „in der Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt wird und das Anstöße für praktische Initiativen in Einrichtungen der Elementarpädagogik sowie der Familienbildung und -beratung geben soll." Ziele des Projektes sind u. A. „die Förderung einer Wertekompetenz auf der Grundlage von Selbstbildungs-prozessen der Kinder, die zu einem bewussten Umgang mit den eigenen Werten und den Werten anderer führt, auch und gerade unter den Bedingungen von Wertevielfalt, kultureller Vielfalt und sozialer Ungleichheit." Schon diese Zielformulierung entspricht genau den Wertevorstellungen des DFW, die sich nur in Unabhängigkeit von konfessionsgebundenen Religionsgemeinschaften entwickeln können.
Werte der UN-Menschenrechtserklärung

Umso erstaunlicher ist dieses Ergebnis, wenn man bedenkt, dass sehr viele Mitgliedsorganisationen des BFF den christlichen und einige den islamischen Weltanschauungen verbunden sind. So heißt es in der Berliner Erklärung - entgegen der „Pro-Reli"-Bewegung, die immer noch die so genannten christlichen Werte als verbindliche proklamiert - unter dem Abschnitt „Handlungen": „Zur Unterstützung des Aufbaus von Wertekompetenzen bei Kindern werden wir in unseren spezifischen Handlungsfeldern ... trotz der unterschiedlichen Wertsysteme in den Herkunftsfamilien der Kinder bei der alltäglichen Arbeit in den Einrichtungen einen Konsens über gemeinsame Überzeugungen, Werte, Normen und Tugenden aufbauen und gemeinsam leben."

Auch in dem Abschnitt „Was sind "Werte"?" werden die so genannten christlichen Werte nicht erwähnt. Stattdessen wird als „unhintergehbarer Ausgangspunkt für einen Konsens über bestehende Werte die UN-Menschenrechtserklärung" proklamiert.

Im Bildungsbegriff wird der statische Ansatz, der in der Werteerziehung dem Kind Gebote als Orientierung vorgibt, verlassen zugunsten der modernen dynamischen Bildungsvorstellung, die Bildung als einen „selbst gesteuerten Prozess begreift". Diese Selbstbildungsprozesse müssen dem Kind durch die Erzieher ermöglicht werden, indem „Kindern Erfahrungsräume angeboten werden, in denen sie Werte erleben und an Werten ausgerichtetes Handeln üben können." In einem so angelegten Erziehungsprozess kann sich ein "verantwortungsbewusstes Handeln entwickeln". Eine Wertekompetenz wird dann verstanden als die Fähigkeit, „sich mit den unterschiedlichen Werten auseinanderzusetzen. Sie gibt ihnen eine Orientierungshilfe und trägt damit zum Aufbau eines eigenen Werthaltungssystems bei." Bei dem Prozess der Wertefindung, die stets eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Wertesystemen ist, wird es zu Wertekonflikten kommen. Dann „kommt es darauf an, dass die Interaktionsprozesse durch Selbstachtung, gegenseitige Achtung und Achtung der Menschenwürde, Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit gekennzeichnet sind".

Wenn wir diese Ziele flächendeckend in der Bundesrepublik Deutschland für die Erziehung verbindlich machen könnten, würden wir wahrscheinlich Gewalt in der Schule, Gewalt gegen Andersdenkende oder fremdenfeindliche Gewalt vermeiden können.

Dieses Konzept setzt aber auch die „Erziehung" der Erzieher in Familien und Bildungseinrichtungen voraus, damit „sie die kulturelle Diversität und religiöse Vielfalt fördern und stärken. Dies erfordert eine interkulturelle Kompetenz." Wieweit wir von diesem anzustrebenden Zustand noch entfernt sind, zeigt z.B. das sog Hamburger Modell: Es gibt in Hamburg einen offenen Religionsunterricht für alle, der zwar nicht konfessionsgebunden sein soll, der aber - man höre und staune - von Lehrern und Lehrerinnen erteilt werden muss, die in evangelischer Theologie ausgebildet sind.

Die Berliner Erklärung des Bundesforums Familie verdeutlicht ein Konzept, das nahtlos dem integrativen Pflichtunterricht „Ethik" in Berlin als Grundlage dienen kann, das aber im völligen Gegensatz zur Alternative eines konfessionellen Religionsunterrichts steht, wie ihn die Pro-Reli-Initiative in Berlin derzeit verlangt.

Volker Mueller / Eike Möller