Delara war mir wie eine Tochter

KÖLN. (hpd) Delara Darabi wurde vergangene Woche trotz internationaler Proteste gegen das Todesurteil mit dem Strang hingerichtet. Sie ist nicht die einzige Minderjährige aus dem Iran, die zum Tode verurteilt worden ist. 140 dieser jungen Menschen warten auf ihre Hinrichtung.


Ein Aufruf von Mina Ahadi

Delara Darabi war gerade 17 Jahre alt, als ich vor sechs Jahren von der drohenden Hinrichtung des jungen Mädchens hörte. Aus der Presse und den Medien hatte ich erfahren, dass, obwohl zum Zeitpunkt der Tat noch minderjährig, die Todesstrafe wegen Mordes gegen sie verhängt wurde. Ich nahm sofort Kontakt zu ihrer Familie auf und versuchte die Öffentlichkeit auf diesen erneuten grausamen Verstoß gegen internationale Vereinbarungen, wie den International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR) und die Convention on the Rights oft the Child (CRC).

Das erste Telefongespräch mit Delaras Vater dauerte eine Stunde. Die Siebzehnjährige und ihr volljähriger Freund waren in Geldnot geraten. Da fassten die beiden den törichten Plan, gemeinsam eine reiche Verwandte zu bestehlen. Doch ihr Vorhaben schlug fehl. Das Opfer setzte sich zur Wehr, es war der junge Mann der zuschlug und die Überfallene tödlich verletzte. Genau wissend, dass ihm als Volljährigem die Todesstrafe für sein Verbrechen drohte, überredete er seine Freundin, die Tat auf sich zu nehmen. Eine Jugendliche würden die Richter sicher nicht hinrichten lassen. Delara war sehr verliebt und leicht zu überzeugen. Sie wollte ihren Freund, unbedingt vor dem Strick retten. Daher legte sie bei der Polizei das Geständnis ab, ihre Verwandte getötet zu haben.

Dieses Schuldeingeständnis wurde der damals Siebzehnjährigen zum Verhängnis. Die Ermittlungsbehörden hatten trotz vorhandener Anzeichen für ihre Unschuld den Fall nie richtig untersucht. Den Richtern genügte offensichtlich das Geständnis der Minderjährigen, die sich über die Folgen ihrer Aussage nicht im Klaren war. Internationale Proteste, der Widerruf des Schuldbekenntnisses und Delaras nachträgliche Unschuldsbeteuerungen beeindruckten die Richterschaft nicht. Delara wurde wegen Mordes zum Tode verurteilt, ihr damaliger Freund musste wegen Mittäterschaft für zehn Jahre ins Gefängnis.

In den sechs Jahren ihrer Haft habe ich Delara und ihre Familie durch alle guten und schlechten Zeiten begleitet und eine starke Beziehung zu dem jungen Mädchen aufgebaut. Mehr als ein halbes Jahrzehnt zwischen Hoffen und Bangen. Diese Zeit war für das junge Mädchen, ihre Familie und alle ihre Freunde eine unglaubliche Belastung.

Delara war ihren Eltern immer eine gute Tochter. Ihr Wesen war zerbrechlich und sensibel. Jeder der sie kannte mochte das fröhliche Mädchen, das immer freundlich und hilfsbereit war. Sie war sehr harmoniebedürftig, konnte keiner Seele etwas zu Leide tun, lachte gerne und liebte das Meer.

Schon als Kind hatte Delara zu malen begonnen. Diese Leidenschaft behielt sie während der Haft bei, Zeichnen half ihr, die menschenunwürdigen Zustände, die in iranischen Gefängnissen herrschen, zu ertragen. Mit einfachsten Mitteln, zeitweise musste sie ihre Fingernägel als Pinsel benutzen, sind in der kahlen, düsteren Gefängniszelle bemerkenswerte Kunstwerke entstanden. Ihre Portraits wirken durch den geschickten Einsatz von Licht und Schatten trotz der fehlenden Farbigkeit fast fotorealistisch, andere, alptraumartig verzerrte Fratzen in schwarz, weiß und grau spiegeln ihre Angst und Verzweiflung wieder. Welch eine Zukunft hätte eine so begabte Künstlerin haben können.

In den vergangenen sechs Jahren haben Aktivistinnen und Aktivisten des Komitees gegen Todesstrafe und ich versucht, gemeinsam durch Berichte in den Medien, durch Ausstellungen ihrer Bilder, mit Petitionen, Unterschriftensammlungen und anderen öffentlichkeitswirksamen Aktionen den Fall Delara Darabi weltweit bekannt zu machen. Tausende E-Mails und Briefe wurden an den iranischen Justizvorsitzenden Shahrodi und den Mahmud Ahmadinejad geschrieben. Auch im Iran haben mehrere hundert Menschen eine Resolution gegen die Todesstrafe an Minderjährigen verfasst. Verschiedene Künstler und sogar zwei oder drei Mollas haben sich für eine Aufhebung des Todesurteils gegen Delara Darabi eingesetzt. Diese breite Bewegung gegen die Exekution hat uns Hoffnung gemacht. Noch in der letzten Aprilwoche haben wir uns im Satellitensender NEUER KANAL gegen die Todesstrafe ausgesprochen.

Am 1. Mai, dem internationalen Arbeitertag, wurde Delara um 6:30 mit der Nachricht geweckt, sie solle sich vorbereiten, es sei ihr letzter Tag. Sie hat diese Aufforderung zunächst nicht verstanden, weil sie noch am Tag zuvor gehört hatte, dass tausende E Mails, Briefe und Unterschriften unter ihrer Petition vermuten ließen, dass sie vielleicht frei kommen würde. Sogar für die Zukunft hatte sie Pläne, in einem Telefonat mit ihrer Mutter am Vortag hatte sie voll Optimismus berichtet, studieren zu wollen, wenn sie wieder frei sei. Nun jedoch die Ankündigung der kurz bevorstehenden Hinrichtung. Delara rannte erschrocken zum Telefon, um ihre Eltern anzurufen, und ihre Worte gehen mir seitdem in meinem Kopf herum: „Mami, Papi, kommt her, sie wollen mich umbringen. Bitte kommt und sagt, sie dürfen so etwas mit mir nicht machen, bitte kommt, ich habe Angst!“

Delaras Vater anwortete: „Sei stark liebes Kind, sie möchten dich nur wieder verängstigen, es ist noch nicht soweit das ist unmöglich, sie dürfen dich nicht töten!“

Beide Eltern fuhren sofort mit dem Onkel los zum Gefängnis. Inzwischen ist es 7:00 Uhr morgens, am ersten Mai, einem Freitag. Als sie ankamen, verließ gerade ein Krankenwagen das Gefängnisgebäude und Delara liegt in diesem Wagen. Sie ist umgebracht worden.

Seit ich von Delaras Ermordung weiß, bin ich sehr traurig. Ständig muss ich an das letzte Gespräch zwischen Delara und ihrem Vater denken. Zwischendurch rede ich mit meinen Töchtern hier in Köln, zwischendurch lache ich, doch immer wieder überkommt mich die Erinnerung an das Leben und Sterben von Delara. Sie ist am ersten Mai um 6:30 im Gefängnis aufgeweckt worden, am internationalen Arbeitertag, und hat gehört: Du musst dich vorbereiten, heute ist dein letzter Tag. Stets, wenn wir ihre Bilder ausgeteilt haben, hat mir ihre Stimme sozusagen im Ohr geklungen, sie pflegte zu lachen und zu sagen: „Ich bin jetzt ein Superstar!“ Ich war die erste Person, die dieses schöne Foto von ihr bekommen hat. Damals vor sechs Jahren bereits hat sich mir die Frage gestellt, wie man denn nur diese Mädchen und Jugendlichen umbringen kann, wie man denn nur einen Menschen umbringen kann.

Delara war und ist nicht die einzige Minderjährige aus dem Iran, die zum Tode verurteilt worden ist. 140 dieser jungen Menschen warten auf ihre Hinrichtung. Es gibt Jugendliche, die einen Tag nach ihrem achtzehnten Geburtstag im Gefängnis hingerichtet werden, was für ein ungeheuerliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Für mich war Delara nicht irgendeine Person, sondern ein Teil von uns, ein Teil meiner Familie, sie war wie eine Tochter für mich.

Ich appelliere an alle Kinderrechts- und Menschenrechtsorganisationen: Lassen Sie uns gemeinsam etwas gegen den Mord an Minderjährigen unternehmen.

Das Internationale Komitee gegen Todesstrafe ruft für Samstag den 9. Mai zu einem Aktionstag gegen die an Delara vollstreckte Hinrichtung auf – machen auch Sie mit!