In Pakistan herrscht ein strenges Blasphemieverbot. Wer in dem islamisch geprägten Land "Gotteslästerung" begeht, muss mit drakonischen Strafen rechnen und kann laut Gesetz sogar hingerichtet werden. Die Angst vor Strafverfolgung wird offenbar von einer Erpresserbande auf perfide Weise ausgenutzt. Menschenrechtsanwälte und die pakistanische Menschenrechtskommission fordern eine Aufarbeitung der Rolle von Regierung und weiterer Beteiligter.
Der pakistanische Menschenrechtsanwalt Hadi Ali Chattha und seine Frau Imaan Mazari vertreten insgesamt 77 überwiegend junge Männer, die offenbar Opfer der Bande geworden sind. Heute sitzen sie wegen Verdachts auf Blasphemie im Gefängnis. Chattha zufolge berichten alle von der gleichen perfiden Masche, auch als honey trap, Honigfalle, bekannt. Von einem Fake-Profil in einem Sozialen Netzwerk aus lädt eine attraktive Frau den Empfänger zu einem Treffen ein. Doch am Treffpunkt wird er stattdessen gezwungen, blasphemische Inhalte in den Sozialen Medien zu teilen, etwa pornografische Bilder, versehen mit Koranversen. In allen Fällen stand am Schluss die Erpressung, schreibt die FAZ unter Berufung auf Chattha. Konnten oder wollten die Opfer nicht zahlen, lieferte man sie der Polizei aus.
Das bedeutet in Pakistan Gefängnis, bereits beim bloßen Verdacht. Zudem muss die gesamte Familie des Verdächtigen mit sozialer Ausgrenzung rechnen, und nicht selten werden Betroffene Opfer eines Lynchmobs, teils mit tödlichem Ausgang.
In den letzten Jahren ist die Anzahl der Blasphemie-Anzeigen rapide angestiegen. Laut der pakistanischen Menschenrechtskommission hat es 2021 nur neun Festnahmen wegen Gotteslästerung gegeben, allein in der ersten Hälfte des Jahres 2024 waren es jedoch bereits 767 Fälle. Ein Polizeibericht von 2024 weist zudem darauf hin, dass 90 Prozent aller Blasphemie-Anzeigen von einer kleinen Personengruppe, 25 bis 30 Leuten, stammen.
Trotz dieser alarmierenden Zahlen bleiben die Behörden offenbar untätig. Weil die Bande großen Einfluss besitzt, glaubt Chattha. "Sie haben viele Kontakte in die Regierung, im Staatsapparat und in Ermittlerkreisen", zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Menschenrechtsanwalt. Und einiges spricht dafür, dass die Täter es nicht allein auf Geld abgesehen haben. Zwei Anführer nenne der Polizeibericht beim Namen. Einer von ihnen, der Anwalt Rao Abdur R., gilt als Bewunderer des verurteilten Mörders Mumtaz Qadri, der von Islamisten wie ein Held gefeiert wird. Qadri hatte 2011 den Gouverneur der Provinz Punjab, Salmaan Taseer, erschossen, weil Taseer sich gegen das pakistanische Blasphemiegesetz ausgesprochen und das Todesurteil gegen die Christin Asia Bibi kritisiert hatte.
Als zweiten Kopf der Bande erwähne der Bericht laut FAZ einen weiteren Verehrer des Mörders Qadri: Sheraz Ahmad F. gilt als Mitglied der extremistischen Partei Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP), die für eine stärkere Durchsetzung des Blasphemiegesetzes kämpft. Laut Polizeibericht sollen beide ein "illegales Netzwerk im Namen des Islams" betreiben und eine Organisation namens Legal Commission on Blasphemy gegründet haben. Aber warum das alles? "Es geht darum, in religiösen Zirkeln sozialen Status zu erlangen", glaubt Chattha.
Laut Menschenrechtskommission habe man einige Erpressungsopfer zu Gewalt gegen Minderheiten aufgerufen. An den Festnahmen seien zudem gut vernetzte und einflussreiche Personen beteiligt gewesen. Und Mitarbeiter der Ermittlungsbehörden für Cyberkriminalität scheinen mit den Tätern zu kooperieren, so die Menschenrechtskommission weiter.
Das Thema Blasphemie gilt in Pakistan als höchst brisant. Zwar erreichen islamistische Parteien bei Wahlen selten mehr als zehn Prozent der Stimmen, doch sind sie in der Lage, gewaltbereite Mobs zu mobilisieren. In der Vergangenheit gab es bereits Morde an Anwälten und Richtern in Zusammenhang mit Blasphemiefällen.
Einen ersten Vorstoß gegen diese Praxis wagte im Juni der Richter Sardar Ejaz Ishaq Khan vom Obersten Gericht in der Hauptstadt Islamabad. In einer Anordnung forderte er die Regierung auf, innerhalb von 30 Tagen eine Untersuchungskommission einzurichten. Diese solle ihre Ergebnisse binnen vier Monaten vorlegen.
Dem Richter sei "vollkommen unverständlich", weshalb der Vorwurf der bandenmäßigen Erpressung bisher nicht untersucht worden sei. So gebe es noch keine Ermittlungen zu der Frage, wer das Facebook-Profil der Frau betreibe, die die Opfer in die Falle gelockt hatte. Zudem gebe es über Kontaktdaten des Profils und Videos eine Verbindung zum Anwalt R. Vier Blasphemie-Beschuldigte seien im Gefängnis verstorben, ohne dass es dazu Untersuchungen gab. Eine Aufklärung wird dennoch auf sich warten lassen. Wie die FAZ berichtet, wurde die Anordnung des Richters durch ein Berufungsgericht einkassiert.
Das Blasphemie-Gesetz in Pakistan wird laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch von Juni 2025 bereits seit geraumer Zeit instrumentalisiert, um missliebige Personen aus dem Weg zu schaffen. Landbesitzer würden so etwa von ihrem Grundstück vertrieben.






