Kürzlich ist ein neuer Report des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) zur Menschenrechtslage in Nordkorea (DVRK) erschienen. Das OHCHR hat hier einen überaus umfangreichen Zehnjahresbericht vorgelegt, der als Grundlage für die Nordkoreapolitik der Zukunft dienen soll. Ein Gespräch mit James Heenan, Direktor des UN-Menschenrechtsbüros in Seoul.
hpd: Mr. Heenan, vielen Dank für Ihre Zeit. Zunächst einmal würde ich gerne von Ihnen als Vertreter der Vereinten Nationen hören, was die wichtigsten Erkenntnisse dieses Berichts sind.
James Heenan: Nun, dieser Bericht umfasst einen langen Zeitraum – zehn Jahre – und beschäftigt sich mit dem gesamten Spektrum der Menschenrechtsfragen. Er ist sowohl zeitlich als auch thematisch umfassend. Die wichtigste Erkenntnis lautet: Seit 2014 hat sich die Menschenrechtslage nicht verbessert, abgesehen von einigen geringfügigen nominellen Verbesserungen. In wichtigen Bereichen hat sich die Lage sogar erheblich verschlechtert.
Der Bericht befasst sich mit bürgerlichen und politischen Rechten sowie mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Er geht auf die Tatsache ein, dass es innerhalb der DVRK keine Rechenschaftspflicht für internationale Verbrechen gibt. Außerdem beleuchtet er den Hintergrund, vor dem all dies geschieht, nämlich die gestiegene Isolation des Landes.
Der Bericht kommt zu zwei zentralen Schlussfolgerungen:
Erstens muss eine Kurskorrektur erfolgen, sonst steht uns ein weiteres Jahrzehnt des Leidens bevor. Der High Commissioner bezeichnet das letzte Jahrzehnt auf Basis dieses Berichts als "verlorenes Jahrzehnt". Wir brauchen eine Kehrtwende, und die Vorlage für diese Veränderung sind die Menschenrechtsverträge, die Nordkorea freiwillig ratifiziert hat. Wir brauchen Rechenschaftspflicht, bestenfalls innerhalb der DVRK, und wenn das nicht möglich ist, dann außerhalb. Wir fordern die Involvierung des Internationalen Strafgerichtshofs. Wir fordern die Mitgliedstaaten auf, universelle oder extraterritoriale Gerichtsbarkeit auszuüben, um Einzelpersonen zur Verantwortung zu ziehen, und das ist für einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, relevant.
Zweitens handelt es sich, alles in allem, um einen zukunftsorientierten Bericht. Wir müssen Dynamik und Glaubwürdigkeit aufbauen. Im Laufe der Jahre hat die UN Hunderte von Empfehlungen an die DVRK abgegeben. Der High Commissioner sagte: "Ich unterstütze diese Empfehlungen, aber hier und jetzt sind Schritte erforderlich, um Dynamik, Vertrauen und Glaubwürdigkeit herzustellen." Er sagte sogar: "Laden Sie mich ein, ich werde nach Pjöngjang kommen, wenn das hilft, um mit Ihnen zusammenzuarbeiten und über die Zukunft zu sprechen."
Der Begriff "verlorenes Jahrzehnt" scheint sowohl sehr treffend als auch sehr hart zu sein. In gewisser Weise könnte man sagen, dass die Strategie, die wir in den letzten zehn Jahren verfolgt haben, nicht funktioniert. Es muss ganz konkrete Anerkennung und Rechenschaftspflicht hinsichtlich der Situation im Land geben, und das muss die Grundlage für die Zukunft sein, richtig?
Ja, und ich würde noch die Dimension der Zusammenarbeit hinzufügen. Wir sind eine UN-Organisation und Nordkorea ist ein Mitgliedstaat. Unser Ansatz ist der der Rechenschaftspflicht und Beobachtung, indem wir herausfinden, wo diese Probleme liegen und sie aufzeigen, was, wie Sie sich vorstellen können, nicht immer beliebt ist. Anerkennung und Rechenschaftspflicht müssen mit Zusammenarbeit gekoppelt werden. Damit, auf die Menschen zuzugehen und ihnen Hilfe anzubieten. Unserer Erfahrung nach kann das eine nicht ohne das andere existieren.
Nordkorea ist ein unfassbar isoliertes Land, wahrscheinlich das isolierteste Land der Welt, so dass die Menschen zu Recht verwirrt sind und fragen: "Was bedeutet Zusammenarbeit mit einem Land wie der DVRK überhaupt?"
Wir sind dahingehend bereits engagiert, wir betreiben Kapazitätsaufbau, aber da muss sich vieles ändern. Es muss eine Öffnung geben. Die Geschichte der letzten fünf Jahre ist die Geschichte der Abschottung des Landes. Jetzt ist die Grenze geschlossen und im Wesentlichen abgeriegelt. Die Menschen können weder kommen noch gehen. Die Menschen können keine Informationen von außen erhalten, das wird streng bestraft. Die Menschen können keine Informationen nach außen tragen und haben keinen Zugang zum World Wide Web. Vor allem junge Menschen verlieren so jede Chance, sich in einer vernetzten Welt zu entfalten. Es ist eine Blase. Um die Menschenrechtslage zu verbessern, muss diese Isolation aufgehoben werden.
Sie haben geringfügige Verbesserungen erwähnt. Wo sind diese zu finden?
In den letzten vier Jahren wurden beispielsweise viele neue Gesetze erlassen. Auf den ersten Blick verbessern diese Gesetze den Schutz der Menschenrechte und entsprechen eher den internationalen Menschenrechtsstandards, beispielsweise das neue Gesetz über den Umgang mit Häftlingen. Es enthält Teile der Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung von Häftlingen, die sogenannten "Nelson-Mandela-Regeln". Es gibt auch ein neues Gesetz zu Behinderungen, das von einem medizinischen zu einem rechtebasierten Ansatz übergeht. Diese Gesetze wurden verabschiedet, und das ist positiv, aber ob sie auch durchgesetzt werden, ist eine andere Frage.
Ein anderer Bereich, in dem wir Verbesserungen beobachten, ist, wie bereits erwähnt, der Umgang mit Häftlingen. Im Laufe der Jahre haben wir Tausende von Menschen befragt, allein für diesen Bericht waren es Hunderte. Nicht wenige berichteten uns, dass die Behandlung durch das Wachpersonal während der Haft besser sei als in der Vergangenheit. Manchmal sagten die Wärter, das liege am internationalen Druck, manchmal sagten die Befragten, das Wachpersonal sei sich der Menschenrechtsstandards stärker bewusst. Das sind zwar nur geringfügige Verbesserungen, aber sie sind vorhanden.
Das ist interessant, insbesondere im Kontrast zur steigenden Verbreitung der Todesstrafe. Es gibt auch eine zunehmende Bandbreite an Straftaten, die mit der Todesstrafe geahndet werden können, insbesondere für das, was ich als "Informationskriminalität" bezeichnen möchte, also die Verbreitung, Beschaffung und den Konsum ausländischer Informationen. Können Sie das näher erläutern?
In Nordkorea gab es schon immer die Todesstrafe, das Land betrachtet sie als legitime Form der Bestrafung im Strafrechtssystem. Es gibt Hinrichtungen, es gibt öffentliche Hinrichtungen, das ist kein Geheimnis.
Es gibt zwei Arten von Verbrechen, für die man zum Tode verurteilt werden kann. Die eine sind "gewöhnliche" Verbrechen wie Mord, Drogenhandel, Pornografie und so weiter. Die Hinrichtung für diese Verbrechen ist nach internationalem Recht in den meisten Fällen verboten, es erlaubt die Todesstrafe nur für vorsätzlichen Mord. Für Drogenhandel zum Beispiel ist sie nicht zulässig. Die Hinrichtungen für diese Art von Verbrechen haben in den letzten zehn Jahren zugenommen, es gab eine Art "Crackdown".
Dann gibt es noch den anderen Bereich, beispielsweise politische Verbrechen. Neu ist die Einführung von Verbrechen im Zusammenhang mit der Ausübung von Freiheiten. Am bekanntesten ist die Verbreitung von unautorisiertem ausländischem Material. Wenn man über eine bestimmte Schwelle hinaus verbreitet, also eine bestimmte Anzahl von Menschen erreicht, kann man zum Tode verurteilt werden. Wir haben glaubwürdige Berichte über Menschen erhalten, die wegen des Konsums und der Verbreitung ausländischer Medien hingerichtet wurden. Das bekannteste Beispiel sind K-Dramen, aber jedes unautorisierte ausländische Material kann die Todesstrafe nach sich ziehen. Die Verhängung der Todesstrafe gegen Menschen, die ihre Freiheiten, ihre Grundfreiheiten, ausüben, ist nach internationalem Recht absolut verboten. Das ist wirklich besorgniserregend.
Es gibt auch neue Straftaten, die mit der Todesstrafe geahndet werden. Zum Beispiel die Nichteinhaltung von Covid-Präventionsmaßnahmen oder das Anlegen von Medikamentenvorräten zu Hause. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, Medikamente zu bekommen, deshalb behalten sie einen Vorrat daheim für den Fall, dass ihre Kinder krank werden. Das ist jetzt eine Straftat, die in bestimmten Fällen die Todesstrafe mit sich bringen kann. Insgesamt läuft Nordkorea dem globalen Trend zur Abschaffung der Todesstrafe zuwider, und das ist eine wichtige Erkenntnis aus dem Bericht.
Die DVRK scheint die Pandemie und die dadurch verursachte Schließung der Grenzen genutzt zu haben, um die Bewegungsfreiheit noch weiter einzuschränken. Derzeit scheint es keinen Austausch mit Nordkorea zu geben. Rechnen wir mit einer Wiederaufnahme des Austauschs und der Zusammenarbeit, insbesondere angesichts der Annäherung von Nordkorea an Russland, oder müssen wir noch einige Jahre warten, bis wir mit einer Neuausrichtung der DVRK in Richtung Europa rechnen können?
Die Covid-Schließungen waren der entscheidende Moment für die Menschenrechte in diesem Jahrzehnt. Wenn wir über Sicherheitspolitik sprechen, wären die Atomtests 2016/2017 entscheidend. Wenn wir über Politik sprechen, wären die Trump-Gipfeltreffen entscheidend gewesen. Aber für die Menschenrechte war Covid entscheidend.
Um es klar zu sagen: Die erneute Isolation begann nicht erst mit den Covid-Beschränkungen. Diese Entwicklungen haben vorher begonnen, wurden aber durch Covid beschleunigt, da Covid einen guten Grund für die Beschleunigung lieferte. Wir haben die weitgehende Abriegelung der nördlichen Grenze gesehen, die zuvor relativ offen war und über die Menschen sich frei bewegen und Handel treiben konnten. Das hat sich geändert, jetzt gibt es alle 50 Meter einen Wachposten.
Dies wird durch Technologie unterstützt. Wir glauben beispielsweise, dass die weitverbreitete Nutzung von 3G dazu geführt hat, dass solche Beschränkungen viel stärker kontrolliert werden können. Auch durch den Einsatz von Kameras. Es ist ziemlich schwierig, eine Kamera zu bestechen, um eine Grenze zu überqueren.
Wir haben die Zeit der Pandemie auch als eine Zeit der allgemeinen Unterdrückung der Menschenrechte erlebt, wir haben harte Strafen bis hin zum Tod für die Missachtung der Covid-Beschränkungen gesehen. Darüber hinaus haben wir eine Rezentralisierung der Macht beobachtet, zum Beispiel eine Rezentralisierung der Wirtschaft. Die wenigen privaten Märkte, die es gab, wurden größtenteils eliminiert. Das ist relevant, weil viele Menschen auf diese Märkte angewiesen waren, um sich und ihre Familien zu ernähren.
Die Standardsituation ist folgende: Der Ehemann hat einen vom Staat zugewiesenen Job, zu dem er erscheinen muss. Dafür erhält er normalerweise wenig oder gar keinen Lohn oder Rationen, also Lebensmittel. Daher ist es Aufgabe der Frauen, sich um die Familie zu kümmern und Geld zu verdienen, um die Familie zu ernähren, was sie über Märkte taten. Wenn man diese Märkte zerschlägt, bringt man die Menschen in eine extrem gefährliche Situation. Essentielle Güter, zum Beispiel Getreide, werden nun fast ausschließlich über staatliche Geschäfte zu einem ähnlichen Preis wie auf den Märkten verkauft. Vielleicht gibt es dabei einen Preiskontrollaspekt, aber der Punkt ist, dass sich der Staat die Kontrolle über große Teile der Wirtschaft zurückgeholt hat. Dies ähnelt in vielerlei Hinsicht der DVRK, wie sie vor Jahrzehnten aussah, mit einer sehr zentral gesteuerten und geplanten Wirtschaft. Und das hat Auswirkungen auf die Menschenrechte.
Es gibt glaubwürdige Berichte über systemische Mangelernährung. Angesichts der Tatsache, dass die DVRK sich im Grunde genommen vollständig abgeschottet hat und gegen diese privaten Schwarzmärkte vorgegangen ist, wie ist die Lage der Bevölkerung? Haben wir eine Hungersnot, die in ihrem Ausmaß mit der der 1990er Jahre vergleichbar ist, was können wir im Moment über die tatsächliche Nahrungsmittelknappheit sagen?
Lebensmittel waren schon immer ein Problem. Alle, wirklich alle, die wir interviewt haben, haben gesagt, dass sie irgendwann in ihrem Leben Hunger gelitten haben, sogar bis hin zum Verhungern. Die Menschen haben miterlebt, wie andere verhungert sind. Aber wir sind noch lange nicht beim "beschwerlichen Marsch" der 90er angelangt.
Während der Pandemie gab es aufgrund der Schließungen ernsthafte Probleme. Man konnte keine Waren ins Land bringen, und wenn doch, konnte man sie nicht transportieren. Wir haben glaubwürdige Berichte über Menschen, die während der Pandemie verhungert sind, insbesondere in den Jahren 2021 und 2022, aber jetzt ist das nicht mehr der Fall. Es gibt keine Hungersnot in Nordkorea, aber es gibt chronische Lebensmittelprobleme, über die die Regierung relativ offen spricht.
Das baut, wie Sie sagten, auf der Vergangenheit auf, es gibt generationenübergreifende Mangelernährung. Es gibt Wachstumsstörungen bei Kindern, die bis ins Erwachsenenalter andauern und sich auf die körperlichen und geistigen Fähigkeiten sowie auf Frauen im gebärfähigen Alter auswirken, wenn sie nicht genug zu essen haben. Es ist ein sehr langwieriges und chronisches Problem, das aber tatsächlich gelöst werden könnte, denke ich.
Vor einigen Jahren veröffentlichte Human Rights Watch einen Bericht über die Frauenrechtslage in Nordkorea, der ziemlich düster war. Was hat die UN zur Frauenrechtslage in der DVRK zu sagen?
Alles, worüber ich spreche, tangiert Frauenrechte. Erstens, weil Frauen die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Zweitens, weil diese Phänomene in jedem Land immer einen geschlechtsspezifischen Aspekt haben. Besonders in Nordkorea, wo die Gesellschaft noch immer sehr patriarchalisch organisiert ist. Die Regierung der DVRK vertritt dahingehend eine sehr strenge Haltung und behauptet, dass die Gleichstellung der Geschlechter bereits vor Jahrzehnten erreicht worden sei. Dass das Land bei seiner Gründung eine sehr fortschrittliche Verfassung hatte – was stimmt – und dass es daher kein Problem gebe. Aber jedes Land hat Probleme mit Geschlechterfragen und der Gleichstellung der Geschlechter.
Die spezifischen Probleme, die Frauen betreffen, erstrecken sich über alle Menschenrechtsfragen, aber von besonderer Bedeutung auf sehr hoher Ebene ist das Thema Geschlecht und Geschlechterstereotypen in einer patriarchalischen Gesellschaft. Frauen werden als Nebenrolle zu Männern gedacht, als die Räder hinter der Revolution. Nicht als Soldaten, das sind Männer. Frauen sind Blumen oder Räder, dahingehend gibt es noch viele Stereotype.
Wenn es um noch spezifischere Themen geht, ist sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt ein echtes Problem in diesem Land. Sowohl im Privaten als auch im öffentlichen Raum. Es wird nicht dagegen vorgegangen, weil es oft als familieninterne Angelegenheit betrachtet wird, so dass die Behörden sich heraushalten. Auch Frauen sehen oft kein Problem darin, weil sie es als normal ansehen, dass Männer ihre Frauen schlagen. Im öffentlichen Bereich wird dies durch die Menschenrechtslage und Korruption begünstigt. Um ihre Rechte wahrnehmen zu können, um Nahrung oder Bildung zu erhalten, sind Frauen in einer solchen Gesellschaft regelmäßig sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Sie tauschen letztendlich Sex für ihre Rechte ein.
Wenn man es so beschreibt, klingt das fast wie in jedem Land der Welt, wenn wir ein paar Jahrzehnte zurückgehen. Es war nicht nur Nordkorea, wir hatten überall damit zu kämpfen. Aber die DVRK muss sich verbessern, weil sie immer weiter zurückfällt.
Wenn man sich die Intersektion dieser Stereotypen mit der rigorosen Unterdrückung ansieht, sind die Folgen katastrophal. Wenn Sie aus China zurückgeführt werden und sich auf einer Polizeistation befinden, sind Sie als Frau einem großen Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt und sexueller Gewalt zu werden, und quasi schutzlos. Auf der anderen Seite sind Frauen in einigen Situationen doppelt betroffen. Die Schließung der Märkte und den Mangel an Lebensmitteln und Gesundheitsversorgung schultern Frauen in einer sehr traditionellen Weise. Sie sind nicht nur gezwungen, sich um Haushalt, Kinder und Versorgung kümmern, sondern auch das Geld zu verdienen, um die Lebensmittel zu kaufen. Die Situation der Frauenrechte in Nordkorea ist wirklich besorgniserregend.
Abschließend würde ich gerne wissen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die DVRK nun aktiv an einem europäischen Krieg beteiligt ist, den Deutschland auf Seiten der Ukraine sowohl mit Waffen als auch mit Geld unterstützt: Wenn die UN und der High Commissioner einen Wunsch an Deutschland richten könnten, wie würde dieser Wunsch lauten? Wie sollte die deutsche Perspektive auf Nordkorea in Zukunft aussehen, sowohl angesichts dieses Berichts als auch angesichts der Tatsache, dass unsere Strategie in den letzten 10 Jahren offenbar auf taube Ohren gestoßen ist?
Zunächst, auch wenn innerhalb der DVRK nicht viel Fortschritt erzielt wurde, ist außerhalb viel in Bezug auf Nordkorea und die Menschenrechte passiert. Die Zivilgesellschaft, die sich mit diesen Themen befasst, ist stark gewachsen, und es gab zahlreiche Anstrengungen, Personen zur Verantwortung zu ziehen. Menschen haben die DVRK in Japan, hier in Südkorea und in den Vereinigten Staaten in Zivilprozessen verklagt und Schadenersatz erhalten. Wir haben deutlich mehr Dokumentation und juristische Analysen. Es gab viel Aktivität, und eine der Botschaften dieses Berichts lautet: "Glauben Sie nicht, dass seit 2014 nichts passiert ist." Dieser Bericht führt wirklich alles zusammen, was es bisher gab. Wir bei den Vereinten Nationen haben seit 2014 54 Berichte über das Land erstellt. Es ist also viel passiert. Für alle Mitgliedstaaten, für Deutschland, aber für alle Mitgliedstaaten, sind wiederum zwei Herangehensweisen entscheidend:
Scheuen Sie sich nicht, Verstöße anzuprangern und Rechenschaft zu fordern. Aber strecken Sie gleichzeitig die Hand zur Zusammenarbeit aus, denn Zusammenarbeit ist der Schlüssel. Wenn Sie mit Nordkorea sprechen, wenn Sie Menschen aus Nordkorea in Menschenrechten schulen, bedeutet das, ihnen diese Ideen zu vermitteln. Und wenn diese Menschen in vielen vielen Jahren in Machtpositionen gelangen, haben sie diese Vorstellung von Menschenrechten im Hinterkopf.
Ich denke, Deutschland hat eine ganz besondere Beziehung zu Nordkorea, auch weil die ehemalige DDR eine sehr enge Beziehung zur DVRK hatte. Auf diesen historischen Verbindungen aufbauend kann Deutschland Einfluss nehmen und zeigen, wie man Dinge verbessern kann. Die Themen, mit denen wir uns in diesem Bericht befassen, reichen von technischen Fragen bis hin zu Dingen, für deren Veränderung es keinen politischen Willen gibt. Ich habe zum Beispiel das Thema Lebensmittel angesprochen. Ich denke, dass ein Großteil des Problems durch internationale Hilfe gelöst werden könnte. Nicht nur durch Nahrungsmittelhilfen, sondern durch Unterstützung bei der Reparatur des Systems. Das gab es in der Vergangenheit bereits. Deutschland könnte ein Land sein, das diese Hilfe leistet.
Auf der anderen Seite gibt es Themen wie politische Gefangenenlager, Hinrichtungen und Folter, bei denen es nicht nur um technische Fragen geht, sondern um politischen Willen. Ich denke, alle Mitgliedstaaten sollten sich mit der Frage der Rechenschaftspflicht befassen, und Deutschland hat extraterritoriale Gerichtsbarkeit, also sollten sie sich mit der Rechenschaftspflicht befassen, falls sich aus irgendeinem Grund ein mutmaßlicher Täter auf ihrem Territorium befindet. Sie werden mit Sicherheit Opfer auf Ihrem Territorium haben.
Letztendlich würde ich zwar nicht behaupten, dass es in den letzten zehn Jahren nicht funktioniert hat, aber, wie Sie sagen, wir müssen auf jeden Fall andere Ansätze ausprobieren. Der Menschenrechtsrat hat viele Herangehensweisen getestet: eine Untersuchung durch den High Commissioner, einen Sonderberichterstatter, eine Expertengruppe für Rechenschaftspflicht, einen Zehnjahresbericht, ein Büro in Seoul. Wir müssen also in dieser Hinsicht eindeutig einen gewissen Kurs beibehalten, weil diese Dinge weiterlaufen müssen, aber vielleicht ist ein anderer Ansatz erforderlich. Die Mitgliedstaaten werden in den kommenden sechs Monaten entscheiden müssen, ob sie einen anderen Ansatz verfolgen wollen.
Das war eine sehr interessante Perspektive. Vielen Dank für Ihre Einschätzung, Mr. Heenan.
Das Interview führte Adrian Beck in englischer Sprache für den hpd. (Siehe Anlage)






