Gutmenschentum und die Folgen
Laut einer neuen psychologischen Studie (hier ist eine weitere) führt die Annahme einer moralischen Identität dazu, dass sich Menschen zu unethischem Handeln berechtigt fühlen. Wer also sagt “Ich bin ein Humanist, Christ, Moslem, etc.”, der reduziert die Wahrscheinlichkeit, sich ethisch zu verhalten.
Im Abstract (Zusammenfassung) der Studie heißt es: “Im ersten Experiment wurden die Teilnehmer darum gebeten, eine Geschichte zu schreiben, in der sie selbst eine wichtige Rolle spielen und die Wörter enthält, die sich entweder auf positive oder negative Eigenschaften beziehen. Die Teilnehmer, deren Geschichte sich auf die positiven Eigenschaften bezog, spendeten ein Fünftel von dem, was diejenigen aufboten, deren Geschichte sich auf die negativen Eigenschaften bezog.“
„Im zweiten Experiment zeigten wir, dass dieser Effekt spezifisch durch eine Veränderung im Selbstkonzept ausgelöst wurde. Im dritten Experiment replizierten wir diese Ergebnisse und weiteten sie auf kooperatives Verhalten im umweltbezogenen Entscheidungstreffen aus.“
„Wir behaupten, dass die Annahme einer moralischen Identität Menschen dazu bringt, dass sie sich zu unethischem Verhalten berechtigt fühlen. Wenn allerdings die moralische Identität gefährdet ist, gebraucht man moralisches Verhalten, um den Selbstwert wiederzugewinnen.”
Wer sich also “Humanist” nennt, der verringert die Wahrscheinlichkeit, einer zu sein. Es gibt noch einen weiteren Grund, dies zu unterlassen. Wir sind nämlich kaum in der Lage, uns selbst zu beurteilen. Andere beurteilen uns viel zutreffender als wir selbst. Das ist nicht unbedingt schlecht, Der Psychologe Rolf Degen schreibt sogar, die Abwesenheit von verzerrten Wahrnehmungen der eigenen Person “geht häufig mit trübsinnigen Empfindungen bis hin zur Depression einher. [...] Wer ein rosiges Bild von sich selbst kultiviert – und die anderen mit dieser Show überzeugt – hat im Daseins- und Fortpflanzungskampf häufiger die Nase vorn. Und am besten kann man andere mit einer Vorstellung blenden, wenn man selbst an sie glaubt” (Degen, Rolf: Lexikon der Psycho-Irrtümer. Erstausgabe. S. 190).
Die Sache hat aber einen großen Haken: Wer sich selbst zu unkritisch gegenübersteht und sich für besser hält als andere, der verhält sich eher schlechter als andere. Ein bisschen rosa Brille ist also normal, aber wer es übertreibt, der wird für seine Mitmenschen zu einer Pest und schadet letztlich auch oft sich selbst.
Daher lautet mein Vorschlag: Wir sollten uns nicht mehr Humanisten nennen und uns stattdessen wie Humanisten verhalten. Es ist sowieso arrogant, sich selbst so zu nennen (oder sich selbst “Christ” zu nennen, insofern man das für etwas Positives hält!). Besser ist es, einer zu sein und da andere uns korrekter bewerten als wir selbst, werden wir gegebenenfalls eine sehr positive Fremdwertung für uns verbuchen!
Die Leute kommen viel zu schnell mit einer Bewertung an, wer denn nun ein „wahrer” Humanist sei und wer nicht. Ein Problem, dass religiöse Menschen in viel schlimmeren Ausmaße, bis hin zu Konfessionskriegen („wer ist der bessere Christ/Moslem”), ja auch kennen. Ich schlage daher die Verwendung neutraler oder sogar negativer Selbstbezeichnungen vor: Naturalist, Atheist, “Neuer Atheist”, Antitheist, Krawallatheist.
Immerhin habe ich noch niemals den Vorwurf gehört, ich wäre kein “wahrer” oder “anständiger” Krawallatheist…