Wissenschaft unter Beschuss

HAMBURG (hpd) „Wissenschaft unter Beschuss“ lautete das Schwerpunktthema der diesjährigen GWUP-Konferenz. Dabei ging es in erster Linie um die Bestrebungen aus den Kreisen der sog. Alternativmedizin, wissenschaftliche Standards aufzuweichen.

Begonnen hatte die Tagung der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) mit dem „Vorprogramm“: Am Donnerstag stellten prominente Skeptiker wie Bernd Harder, Rainer Wolf oder Mark Benecke das Übersinnliche auf den Prüfstand. In schneller Folge ging es um Astrologie, Parapsychologie, die rätselhafte „Spontane menschliche Selbstentzündung“ und die Illuminaten. „Stargast“ war der italienische Investigator und Zauberkünstler Massimo Polidoro, der auch die Abendveranstaltung bestritt und aus seiner Arbeit berichtete.

Alternativmedizinlobby: Hinterzimmer statt Labor

Am Freitagnachmittag beleuchteten drei Vorträge, was wissenschaftliche Standards sein sollten und wie diese derzeit unter Druck geraten. In einer gewissermaßen programmatischen Einführung stellte der GWUP-Vorsitzende Amardeo Sarma dar, warum es sinnvoll ist, bei Untersuchungen auf Methoden zu setzen, die einen subjektiven Irrtum möglichst ausschließen. Genau dieses Ziel der Vermeidung subjektiver Fehler bei Durchführung und Auswertung von Forschungsprojekten möchten „Alternative“ aufgeben. Der Grund dafür dürfte sein, dass die einschlägigen alternativ- bzw. komplementärmedizinischen Verfahren bei derartigen Tests stets durchfallen: Weder für Homöopathie noch für Anthroposophische Medizin ist die Wirksamkeit durch seriöse Studien nachgewiesen. Um die gewünschten Ergebnisse, also einen Wirksamkeitsnachweis, zu bekommen, sollen nun die Regeln geändert werden: Anstelle kontrollierter, randomisierter, doppelverblindeter Verfahren sollen Prüfungsmethoden zur Anwendung kommen, die einen größeren Spielraum für subjektive Interpretationen lassen.

Dabei suchen die Fürsprecher der sog. Alternativmedizin weniger im wissenschaftlichen Diskurs zu überzeugen, als sich der Unterstützung aus der Politik zu versichern. Die fehlenden positiven Forschungsergebnisse sollen durch Hinterzimmergespräche kompensiert werden. Sarma verwies auch auf breit angelegte Marketingkampagnen und die Versuche, über Stiftungsgelder auf wissenschaftliche Institutionen Einfluss zu nehmen. Als Beispiel nannte er die Einrichtung einer Stiftungsprofessur an der Berliner Charité, die von der einschlägig bekannten Carstens-Stiftung mit jährlich 200.000 Euro finanziert wird und den „weiteren Ausbau des Forschungszweiges zur Komplementärmedizin“ verfolgt. Angesichts dessen müsse sich auch die GWUP deutlicher positionieren und ihrerseits zugunsten der Patienten auf die Politik Einfluss nehmen.

Für eine auf Nachweise gestützte Medizin

Sind die Qualitätskriterien medizinischer Studien verhandelbar? – Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane-Zentrums, schaffte es, diese scheinbar eher trockene Materie auch für Laien verständlich und stellenweise sogar amüsant zu behandeln. In den letzten Jahren sind weltweit Maßstäbe erarbeitet worden, die systematische Fehler bei Untersuchungen ausschließen sollen. Nach diesen Kriterien sind mittlerweile tausende von Studien durchgeführt worden, die Ergebnisse sind teilweise sogar im Internet einsehbar.

Gleichwohl gebe es auch unzählige fehlerhafte Studien – von denen Antes eine ganze Reihe präsentierte. Dabei wurde deutlich, dass die eigentliche Opposition nicht Schulmedizin versus Alternativmedizin lautet, sondern Medizin, die ihre Wirksamkeit in einer sauber durchgeführten (und wiederholten) Studie nachgewiesen hat, versus Medizin, die diese Anforderung nicht erfüllt. Auch in der Schulmedizin spielen persönliche und wirtschaftliche Interessen eine Rolle, was sich auch auf die Wisenschaftlichkeit einer Studie auswirken kann.

Entschieden wandte sich Antes gegen die leichtfertige Verwendung des Satzes „Wer heilt, hat recht“. Wenn Erfolge belegende Anekdoten angeführt werden, müsse immer gefragt werden, unter wievielen Fällen wieviele derartige Behandlungserfolge aufgetreten seien. Eine evidenzbasierte Medizin, die sich auf Nachweise stützen kann, dagegen gewährleiste in der Regel, dass eine größere Zahl an Patienten geheilt werden kann. Die Befürchtungen, die Qualitätskriterien könnten in absehbarer Zeit aufgeweicht werden, teilte Antes übrigens nicht; dazu arbeiteten weltweit zuviele Wissenschaftler nach diesem Modell. Allerdings sei Deutschland in dieser Hinsicht „drittklassig“. Diese Einschätzung wurde in der Diskussion bestätigt; offenbar ist es vor allem die Anthroposophische Medizin, die eine Ausweitung über den deutschsprachigen Raum (auf den sie derzeit noch beschränkt ist) anstrebt und dazu neue Bewertungskriterien durchsetzen will.

„Physikalisch fragwürdig“

Wenn eine Quacksalberei den Alltagserfahrungen der Menschen widerspricht, wird zur Erklärung der nicht nachvollziehbaren Behauptung gerne auf die Quantenphysik zurückgegriffen. Martin Lambeck zeigte, dass eine solche Übertragung von Theorien aus der Welt der kleinsten Teilchen auf unsere Alltagswelt ebenso kritikwürdig ist wie die Verwendung der entsprechenden fachsprachlichen Termini im Alltagsdiskurs. Lambeck führte einige Beispiele, unter anderem aus den Schriften der New Age-Ikone Fritjof Capra, an und kritisierte auch das von Hans-Peter Dürr verfasste Potsdamer Manifest. Dieses sei „physikalisch fragwürdig“ und mit dem naturalistischen Fehlschluss behaftet, vor allem aber liefere es keinerlei Entscheidungshilfe für anstehende politische Fragen.

Eine Lobby für Verbraucher

Mit der Hamburger Konferenz kommt eine Entwicklung in der GWUP zum Abschluss, die sich seit einiger Zeit angedeutet hat: Die Zeit der vornehmen wissenschaftlichen Zurückhaltung ist vorbei, die GWUP stellt sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und beginnt sich als Lobby für Verbraucher zu verstehen. Waren vor einigen Jahren noch Stimmen zu hören, die Stellungnahmen im politischen Raum ablehnten und ausschließlich auf Information der „mündigen Verbraucher“ bauten, hat sich nun die Erkenntnis durchgesetzt, dass gerade im Bereich der medizinischen Versorgung zum Wohle der Patienten gewisse Mindeststandards gesichert werden müssen.
Amardeo Sarma sieht generell all jene, die Verantwortung in Wissenschaftsfragen tragen in der Pflicht. Sie müssten „heraus aus dem Elfenbeinturm“ und wissenschaftliche Methoden in der Öffentlichkeit erklären und verteidigen. „Insbesondere, was die Alternativmedizin angeht, ist eine breite öffentliche Diskussion notwendig“, meint der GWUP-Vorsitzende. Es sei wichtig, dass die Fragwürdigkeit der einschlägigen Verfahren ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangen. Auch an die Politik richten sich Erwartungen: „Im Wahljahr 2009 wäre es an der Zeit, dass die Interessen der Verbraucher bei der Politik endlich mehr Berücksichtigung finden als die Aktivitäten der diversen Lobbyisten.“

Am Samstag wurde die Konferenz mit den „Freien Themen“ fortgesetzt. Den Ausklang bildete das Bühnenstück „Die Wahrheit bringt Heilung“ von Anne Frütel und Jörg Wipplinger, das den schönen Untertitel trägt: „Ein ironisch wissenschaftliches Dings über die scheiß Esoterik“.

Gunnar Schedel

 

Fotos: Rouven Schäfer (GWUP)