Liebe M.

Den Kampf habe ich erst beim und durch das Begräbnis gewonnen, in der Halle des Krematoriums am Zentralfriedhof. Geführt von einer Pastorin, aber kein Gottesdienst. Sie hat von einer besseren Welt gesprochen, in der M. jetzt sei. Vielleicht eine tröstliche Vorstellung. Andererseits: Irgendwann muss man sich damit abfinden, dass M. nicht mehr existiert. Nur mehr als Erinnerung. Der Glaube an ein besseres Leben danach, an ein besseres Leben als es M. hatte, an die Erlösung, mag den Schmerz im Moment lindern. Langfristig verzögert es aber die Abschiednahme, denke ich. M. leidet nicht mehr, habe ich mir gedacht. Das ist auch ein Trost. So sehr ich mir auch für sie, für ihre Kinder, für alle, die sie kannten, gewünscht hätte, dass es eine andere Lösung gegeben hätte.

Es war auch eine Hilfe, dass sehr viele gekommen waren, um zu trauern. Viele Bekannte und Freunde aus unserem gemeinsamen Stammlokal. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, von denen ich ebenfalls einige kannte. Dieses Gemeinsame war Trost für uns alle und eine Stütze. Man fühlt sich nicht alleine gelassen. Das gibt Kraft, sich mit dem eigenen Schmerz zu beschäftigen.

Historisch bedingt haben Religionsgemeinschaften ein Monopol auf diese notwendigen Rituale. Überall auf der Welt. Die Formen dieses Abschieds unterscheiden sich dementsprechend. Juden und Muslime etwa begraben ihre Toten nach Möglichkeit am Tag nach dem Tod. Die Trauerrituale ziehen sich über einen längeren Zeitraum. Bis zu 40 Tage. In den meisten ostasiatischen Gesellschaften werden Tote verbrannt. Die Angehörigen mancher Eingeborenenstämme in Amerika bestatten ihre Toten auf Bäumen, die Leiche dient Raubvögeln als Futter. Ähnlich machen es die Parsen in Indien. Sie betreiben die so genannte Luftbestattung: Ihre Toten werden Geiern dargeboten. Ein Bestattungsritual, das sich in vergleichbarer Form auch in Tibet findet. Die eigentlichen Trauerrituale finden meist in den Wohnungen der Angehörigen statt.

Die Bedürfnisse der Hinterbliebenen auf der ganzen Welt sind die gleichen. Nur die Toten sind nicht gleich. Je nachdem, aus welchem Kulturkreis sie stammen, werden die Leichen auf bestimmte Weise entsorgt. Andere Bestattungsarten gelten als verpönt. Man denke nur an den harten Kampf des Vereins „Die Flamme“ und des Freidenkerbunds, die Feuerbestattung in Österreich zu legalisieren. Die religiös geprägten Vorstellungen sitzen tief. Das erklärt auch, warum sogar bei Konfessionslosen auf Wunsch der Familie oft Priester sprechen. So wie bei M.

Der Tod ist ein Monopol des Klerus. In der einen oder anderen Weise auf praktisch der ganzen Welt. Mönche und Priester haben in der gesellschaftlichen Wahrnehmungen die Rituale besetzt, die für uns notwendig sind, um den Tod eines geliebten Menschen zu verarbeiten. Nicht einmal die Vorstellung von Hochzeiten ist so stark religiös geprägt wie die von Tod und Abschiednehmen.

Das liegt sicher auch daran, dass Priester einen Schein-Trost anbieten. An ein Leben danach zu glauben, macht es sicher für viele kurzfristig leichter, mit dem momentan Unbegreifbaren umzugehen. Eine Art rituelles Placebo.