MÜNCHEN. (hpd) Unter dem Titel „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott – Die Neuen Atheisten“ fand am 29.10.2009 ein Streitgespräch zwischen Dr. Michael Schmidt-Salomon (Giordano-Bruno-Stiftung, gbs), dem evangelischen Theologen PD Dr. Alf Christophersen (LMU) und dem katholischen Kulturjournalisten Dr. Alexander Kissler (Süddeutsche Zeitung) statt.
Veranstalter war die Evangelische Stadtakademie München, die auch die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von der Leiterin der evangelischen Stadtakademie Frau Jutta Höcht-Stöhr, die selbst studierte Theologin ist.
Der Vortragssaal war für 150 Besucher ausgelegt, aber schon eine Viertelstunde vor Beginn der Veranstaltung war abzusehen, dass der Saal nicht ausreichen würde. Nach einiger Verzögerung konnte noch eine Trennwand zu einem Nachbarraum geöffnet werden, so dass dann etwa weitere 100 Besucher Platz fanden, aber dennoch war der Andrang so groß, dass einige stehen mussten. Unter den Besuchern waren auch Dr. Ernst Salcher vom Vorstand der gbs, Vorstandsmitglieder des Bundes für Geistesfreiheit München, der Theologe Dr. Seitscheck (LMU), der Kissler in Fragen der Theologie berät und einige Mitglieder des Förderkreises der gbs, zu denen auch ich gehöre. Vor Beginn habe ich noch kurz ein paar freundliche Worte mit Herrn Kissler gewechselt. Wir kennen uns von früheren Auseinandersetzungen in der katholischen Tageszeitung „Die Tagespost“.
Neuer Atheismus als Alternative zur Religion
Nach einleitenden Worten der Moderatorin begann Schmidt-Salomon mit einem 20 minütigen Vortrag über die Anliegen der Giordano-Bruno-Stiftung. Er schlug dabei generell einen sehr versöhnlichen Ton an. Dennoch machte er darauf aufmerksam, dass immer noch im Zeichen des Kreuzes grausamste Dinge geschehen. So sei z.B. der deutsche Prediger Bonnke mit seiner Bewegung „Christus für alle Nationen“ mitschuldig an der Folterung und dem Tod einiger tausend Kinder in Nigeria, indem er den Hexenwahn neu kultivierte. Er machte klar, dass es einen zunehmenden Irrationalismus in der Welt gibt, dem man entgegentreten müsse. Das Neue am Neuen Atheismus sei die bessere Nutzung der Massenmedien und eine damit verbundene größere Sichtbarkeit dieser Bewegung. Gegen eine metaphysische Gottesvorstellung wie sie Spinoza oder Einstein hatte, sei von Seiten des Neuen Atheismus nichts einzuwenden, im Gegensatz zu der Vorstellung eines personalen Gottes und der kindlichen Vorstellungen, wie sie in der Bibel verkündet werden.
Unter der Oberfläche des Neuen Atheismus verberge sich eine neue Weltanschauung die als Alternative zur Religion zu sehen sei. Am treffendsten werde dies bezeichnet mit dem Begriff „Neuer Humanismus“, den man auch als naturalistischen Humanismus sehen könne. Dieser setze anstelle des Schöpfungsmythos Zufall und Notwendigkeit. Es geht in der Welt mit „rechten Dingen“ zu, es gibt keine Götter, Dämonen und Kobolde. Daneben stelle er das tradierte Menschenbild in Frage. Der Mensch sei nicht die Krone der Schöpfung. Dinge wie das Gute und das Böse seien menschliche Erfindungen. Zum Schluss seines Vortrags machte Schmidt-Salomon den Religionsvertretern das Angebot, gemeinsam gegen den Irrationalismus und den Fundamentalismus zu kämpfen.
Neuer Atheismus habe kein „Reifeniveau“
Der nachfolgende Redner Kissler ging auf das, was die Moderatorin als Friedensangebot von Schmidt-Salomon bezeichnete, nicht ein, sondern griff die gbs frontal an, in dem er dem Neuen Atheismus einen infantilen Charakter bescheinigte. Er wies darauf hin, dass in unserem Land die Religionsfreiheit nicht durch die Kirchen behindert werde. Auf der anderen Seite würde Schmidt-Salomon und seine Gefolgsleute das Christentum aufs übelste verunglimpfen. Als Beispiel nannte er die erste Verleihung des Blasphemie-Preises 2008 in München, bei dem Schmidt-Salomon die Laudatio hielt und wörtlich meinte: „verletzen Sie religiöse Gefühle, wo immer Sie können“. Weiterhin nannte er das Ferkelbuch als Beispiel für die Verletzung religiöser Gefühle. In den Veröffentlichungen der gbs wäre im Gegensatz zu der heutigen Rede von MSS von religiösen Wahnsystemen die Rede und Dawkins würde in seinem Buch „Der Gotteswahn“ diesen Wahn als klinisch akkurate Beschreibung sehen. Der Neue Atheismus sei eine Bewegung, die kein Reifeniveau hätte. Der von den Vertretern der gbs häufig benutzte Darstellung, dass man Respekt vor den Personen aber keinen Respekt vor deren religiösen Glauben habe, sei nicht nachvollziehbar, wenn man diesen Personen einen Wahn unterstelle. Nach seiner Bemerkung „wir brauchen mehr Respekt gegenüber Andersdenkenden“ rief eine Frau aus dem Publikum: Fangen Sie doch damit an! Das führte dann zu weiteren Zwischenrufen und Buh-Rufen. Einige riefen ihm zu, er möge doch endlich mal Argumente bringen. Die Moderatorin hatte größte Mühe, wieder Ruhe in den Saal zu bringen.
Explosive Stimmung
Angesichts der explosiven Stimmung im Saal, bemühte sich der folgende Redner Christophersen, der die Position der evangelischen Theologie vertrat, keinen neuen Anlass zur Unruhe zu geben. Er hob zunächst darauf ab, dass es in der evangelischen Kirche eine hoch entwickelte Streitkultur gäbe und dass der evangelische Glaube nichts mehr mit dem ursprünglichen Verkündigungspathos zu tun hätte. Er bezweifelt allerdings, dass es möglich sei, die Religion durch Kritik zum Verschwinden zu bringen. Er bekenne sich zum alten Humanismus und das genüge ihm vollständig. Schließlich wies er anhand einer Rezension von Dawkins „Gotteswahn“ darauf hin, dass häufig Atheisten die Theologie kritisieren würden, obwohl sie keine tieferen Fachkenntnisse besäßen. Ein Theologe würde ja auch nicht ein fremdes Fachgebiet kritisieren. Als weiteres Argument gegen den Atheismus erwähnte er noch die albtraumhafte Verlorenheit des Menschen im All, ohne den Trost und die Geborgenheit des Glaubens an einen Gott.
Diskussion über Respekt
In der nachfolgenden Diskussion wurde noch einmal die Frage aufgeworfen, wie man vor einem Menschen Respekt haben kann, aber gleichzeitig nicht vor dem, was er denkt. Schmidt-Salomon ging in diesem Zusammenhang noch mal auf die Vorwürfe von Kissler bezüglich der Verleihung des ersten Blasphemie-Preises ein. Er meinte, dass viele Gläubige eine regelrechte Phobie gegen jede Kritik an ihrem Glauben hätten. Es dürfe aber nicht sein, das es für den Glauben Sonderrechte gibt. Man müsse auch über Religion Karikaturen verbreiten dürfen und man solle Kritik als Geschenk betrachten.
Christophersen meinte zu dem Thema, man dürfe nicht ohne Not die Grundsensibilität der Religionsgemeinschaften stören. Kissler wiederholte seine Ansicht, dass heilige Gefühle nicht verletzt werden dürften. Schmidt-Salomon verwies darauf, dass insbesondere bei dem muslimischen Bevölkerungsanteil in unserem Land die Not zuweilen eben doch recht groß sei, besonders was die Rechte der Frauen anbetrifft, und dass die Parole „leben und leben lassen“ in Bezug auf den Umgang mit diesen Problemen völlig falsch wäre. Man müsse sich einmischen und dabei auch unorthodoxe Wege gehen. So habe z.B. die gbs aktiv die Gründung des Zentralrats der Ex-Muslime unterstützt. Er selbst wurde seinerzeit von den Gegnern als jüdischer Agent bezeichnet und erhalte noch heute Morddrohungen. Dies alles zeige, wie notwendig Religionskritik sei.
Die Moderatorin bemerkte, dass sich die gbs generell in ihren Schriften gegen den Totalitarismus ausspreche und fragte, ob die gbs das nicht zu sehr mit dem religiösen Fundamentalismus verwechseln würde. Schmidt-Salomon meinte daraufhin, dass der Totalitarismus häufig in größenwahnsinnigen Glaubenssystemen seinen Ursprung habe. Davon abgesehen sei es zuweilen schwer auszumachen, woran Christen nun eigentlich noch glauben. Christophersen sagte daraufhin, das sei eine pietistische Frage. Die Glaubensgrundlagen seien nur schwer zu durchschauen und individuell unterschiedlich.
Kissler glaubt aus den Texten der gbs herauslesen zu können, dass es sich beim Neuen Atheismus um eine politische Bewegung handelt, denn dort gäbe es eindeutige Stellungnahmen zur aktiven Sterbehilfe, zum Embryonenschutz und zur Abtreibung. Weiterhin sieht er keinen Trost in den Schriften der gbs, der Tod würde ausgeklammert. Er kritisierte auch, dass im „Manifest des evolutionären Humanismus“ alle Religionen als Wahnsysteme dargestellt würden. Dabei würde übersehen, dass das Christentum eine Evolution durchgemacht habe und dass es eine hermeneutische Kritik der Bibeltexte gäbe.
Danach folgten einige Fragen aus dem Publikum. Es wurde noch einmal das Prinzip Eigennutz angesprochen. Schmidt-Salomon machte klar, dass Altruismus nicht im Widerspruch zum Eigennutz stehe, während Kissler den Eigennutz als völlig untauglich für die Grundlage einer universellen Ethik ansieht. Als Beispiel nannte er die Finanzkrise, die offensichtlich auf den Eigennutz der Beteiligten zurückzuführen wäre.
Es meldete sich noch eine Frau, die in der Nähe von München wohnt und darauf hinwies, dass sie und ihre Familie von der katholischen Kirche diskriminiert werden. So wurde einer ihrer Söhne, der sich auf eine Stelle in der Behindertenarbeit bei einem kirchlichen Arbeitgeber beworben hatte, abgelehnt, weil er nicht Mitglied der Kirche ist.
Beim seinem Schlusswort bewertete Christophersen den Verlauf der Diskussion als recht niveaulos. Im nachfolgenden privaten Gespräch mit Schmidt-Salomon waren wir gemeinsam der Ansicht, dass diese Aussage wohl professoraler Arroganz entsprungen ist. Nach meiner Einschätzung war Christophersen wohl etwas frustriert, weil ihm Schmidt-Salomon die Schau gestohlen hatte und weil seine akademischen Spitzfindigkeiten auf keine große Begeisterung beim Publikum gestoßen waren. Bei einem weiteren Gespräch mit der Moderatorin Höcht-Stöhr fragte Schmidt-Salomon noch einmal nach den evangelischen Glaubensinhalten. Sie vertrat dazu eine ähnliche Position wie Christophersen. Ich fragte dann noch, ob man denn an eine unsterbliche Seele glaube. Sie verneinte das, meinte aber einschränkend, dass die gesamte Information über unsere Existenz von Gott gespeichert würde und wir auf diese Weise nicht restlos verloren gehen würden. Aha, dachte ich mir, wenn das so ist, dann wäre es ja für mich als gnadenloser Atheist das Beste, wenn ich weiterhin Artikel für den hpd schreibe und mich auf diese Weise unsterblich mache, denn ich bin im festen Glauben, dass der hpd ewig existieren wird.
Insgesamt fand ich den Abend sehr gelungen. Die Anliegen der gbs wurden von Schmidt-Salomon sehr überzeugend und auf eine freundliche Weise dargestellt. Bei den Gegnern fehlten entweder die guten Argumente oder sie waren so akademisch, dass sie nicht so recht ernst genommen wurden.
Bernd Vowinkel





