Machtsymbol und Strohhalm der Linken

WIEN. (fdb/hpd) Das Ergebnis der von der rechtspopulistischen SVP initiierten Anti-Minarett-Initiative war nicht überraschend. Die Abstimmung sollte dahin gewertet werden, dem politischen Islam und seinem Versuch, größeren Einfluss zu erlangen, eine klare Absage erteilt zu haben. Aber: Warum blieben die Laizisten ungehört?


Ein Beitrag von Cahit Kaya

Nach sehr skurril anmutenden Vorschlägen Gaddafis, die Schweiz sollte gespalten und an die Nachbarstaaten aufgeteilt werden und der im Befehlston kommende Aufruf Gaddafis seinen prügelnden Sohn unverzüglich freizulassen, ohne ihn der Schweizer Justiz zu übergeben, nachdem dieser Hotelangestellte wie Sklaven behandelt und geschlagen hatte, waren dies wohl einige der Gründe für den Erfolg der Initiative, die von der Mehrheit der Schweizer befürwortet wurde.

Ungehörte Laizisten

In dieser Debatte kristallisierten sich lediglich islamische Organisationen heraus, die es verstehen, ihre Opferrolle bestens zu spielen. Als liberal geltende Strömungen des Islams kamen nicht zu Wort. Auch Laizisten aus muslimischen Ländern wurden innerhalb des Minarett-Streits nicht zu ihrer Haltung befragt, obwohl der Großteil der Schweizer Muslime aus der Türkei stammen und es als wahrscheinlich gilt, dass sie den Bau von Minaretten vom laizistischen Standpunkt aus skeptisch sehen. In der Türkei warnen die Laizisten vor einer immer stärkeren Islamisierung des Landes, die primär von der AKP vorangetrieben wird. Dies macht sich auch im Straßenbild bemerkbar. Immer mehr Moscheen schießen aus dem Boden und überziehen das Land nachhaltig mit Minaretten bestückten Gebetshäusern und den darin predigenden Imamen, die dem türkischen Religionsministerium (Diyanet İşleri Başkanlığı, kurz Diyanet) unterstellt sind. In Europa verhält es sich ebenso. Mehrheitlich von Türken besuchte Moscheen erhalten ihren Imam aus der Türkei, welcher ebenfalls im Auftrag der Diyanet finanziert wird und nach klaren Vorgaben predigt.

Der politische Islam in Europa

Türkische Moscheen sind als verlängerter politischer Arm der islamischen AKP zu verstehen. Erdogan ist Vorsitzender der "Adalet ve Kalkınma Partisi“ (AKP) und war der ideologische Ziehsohn Necmettin Erbakans, dessen "Refah Parti" (RP) später aufgrund anti-laizistischer Aktivitäten und dem Ziel die Scharia einführen zu wollen verboten wurde.

Erdogan bekleidete in der RP das Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden. Er fiel in seiner Zeit als Oberbürgermeister damit auf, "westliche Einflüsse" reduzieren zu wollen und forcierte die Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben, sprach sich gegen den Alkoholkonsum aus und definierte sich selbst als Anhänger der Scharia. Erdogan vertrat offen die Ansicht, ein Muslim kann kein Laizist sein. Seine umstrittenen Aussagen brachten ihm zehn Monate Gefängnis ein. Nach der Entlassung distanzierte er sich von bisher getätigten Aussagen. Seit der Machtergreifung der AKP wurde das Budget der Diyanet beinahe verdoppelt. Für religiöse Zwecke werden heute umgerechnet rund 1,1 Milliarden Euro jährlich aufgewendet (im Vergleich: 2006 wurden dem türkischen Religionsministerium Diyanet noch knapp 600 Millionen Euro zugewiesen). Soziale Ausgaben werden im Jahr 2009 mit etwa 600 Millionen Euro beziffert.

Religionsfreiheit auf türkisch

Erdogan und Gül (beide AKP) bezeichneten das Ergebnis der Anti-Minarett-Initiative als rassistisch und deutliches Zeichen der Islamophobie in Europa. Es wäre keine reine Polemik, wenn die beiden Herren gleichzeitig die Misstände in der Türkei ansprechen würden. Dort haben Nicht-Muslime mit großen Schwierigkeiten zu leben. Baugenehmigungen für Gebetshäuser und Versammlungsräume scheitern oft an behördlichen Widerständen und Willkür. Auch die Bevölkerung scheint laut aktuellen Umfragen kein Interesse daran zu haben neben Juden oder Christen zu leben. Jeder zweite lehnt einen Juden in direkter Nachbarschaft ab, jeder dritte lehnt Christen als Nachbarn ab. Die als Beweis für die gelebte Religionsfreiheit angeführten Neubauten von Kirchen und Synagogen erfolgen sehr schleppend und meist nur in Tourismusgebieten für nicht-muslimische Besucher, die Geld in das Land bringen sollen.

Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der Türkei. Neben 312 Kirchen und 39 Synagogen gibt es knapp 1000 Cem-Häuser für die Aleviten, die staatlich nicht anerkannt sind, obwohl sie in Summe auf mehr Menschen geschätzt werden, als Österreich und die Schweiz gemeinsam Bürger vorweisen. Aleviten erhalten keine finanzielle Unterstützung aus dem Budget der Diyanet (sunnitische Moscheen hingegen schon). Echte Neubauten lassen sich an einer Hand abzählen, denn die meisten dieser oben genannten Kirchen und Synagogen entstammen einer Zeit vor dem Bevölkerungsaustausch mit den benachbarten Ländern wie Griechenland, als noch viele Griechen die türkische Westküste bevölkerten und noch nicht ausgesiedelt waren. Nur die staatliche Nicht-Anerkennung anderer religiöser Gruppen, und repressiver Politik diesen Religionsgemeinschaften gegenüber bringt die offizielle Angabe der 99% Muslime innerhalb der Türkei zustande. Mit diesen 99% wird auch gegen den Wunsch an neuen Kirchen, Synagogen und Cem-Häusern argumentiert, da es an den Gläubigen fehle und diese Gebäude daher unnötig mache.

Warum das Minarett doch ein Machtsymbol darstellt. Eine Analyse.

Die sich im freien Fall befindende Linke Europas scheint nun jeden Strohhalm, sei die Form auch ein Minarett, ergreifen zu wollen, um gegen die Rechte aufzubegehren. Hier versucht die Linke den Islam im Kampf gegen die Rechte zu nutzen. Da die Anti-Minarett-Initiative das Werk einer rechtspopulistischen SVP war, lässt sich das soziale Gewissen eines Linken recht einfach ansprechen. Der starre Blick auf die Rechte aber verhindert den (kritischen) Blick auf den Islam mit all seinen Problemen die er in eine moderne Gesellschaft mitbringt. Islamkritik wird zum Tabu erklärt. Dringend notwendige Reformen unmöglich gemacht.

Die Vertreter des orthodoxen Islam nutzen die Linke in ihrem Kampf, den Islam zu verbreiten, und verweisen dabei ebenfalls auf die Rechte, die den Muslimen nur Böses will. Die in Teilen vorhandene Islamophobie wird zum typischen Charakterzug sämtlicher Europäer ernannt und die Schuld aller Konflikte wird der angeblich ausländerfeindlichen europäischen Gesellschaft zugeschrieben. Von orthodox muslimischer Seite wird hier ein Gefühl des Anderssein verstärkt und ein islamisches Bewusstsein einer Umma beschworen, die diesen Kampf der Kulturen und Religionen nur gemeinsam bestehen könne. Diese Machtdemonstration verstärkt die Islamophobie, die Angst vor dem Islam, weiter. Rhetorische Unterstützung der scharfen Art erhalten die islamischen Vereine auch aus der Türkei.

Ebenso nutzt die mit vielen solcher Chancen verwöhnte Rechte die Gunst der Stunde, und verbindet "links sein" erneut mit der Sympathie zu antidemokratisch wahrgenommenen Weltansichten und unterstellt ihr in gewohnt polemischer Manier, für fremde Menschen mehr übrig zu haben, als für die eigenen Leute, in dem sie die aktuelle Krise und die damit einher gehenden Ängste der Menschen instrumentalisiert. Der Verweis auf viele Menschenrechtsverletzungen in islamischen Ländern und der gefühlten Unangepasstheit vieler Muslime in Europa, die sich in solchen Momenten weiter von der Mehrheitsgesellschaft entfernen, den negativen Schlagzeilen des Boulevard und die sich wie ein Lauffeuer verbreitenden negativen Erfahrungen mit Ausländern tun das restliche, um große Teile der Bevölkerung auf den Kurs der Rechten zu bringen, die Linke weiter ins Eck zu drängen und die Islamophobie zu verstärken.

Das Minarett wird von der Linken und den orthodoxen Muslimen gleichermaßen zu einem Symbol für Minderheitenrechte ernannt, von orthodoxen Muslimen ebenfalls zum "jetzt-erst-recht-islamisieren", aber auch von der Rechten als Symbol und Beweis der (Re-)Islamisierung Europas. Das Minarett wird spätestens ab hier zum Machtsymbol, dessen sich verschiedene politische und religiöse Gruppen bedienen, um ihre Interessen zu thematisieren.

Das Recht auf Islamkritik ? Ein Fazit.

Ein neutrales Vorgehen der Linken wäre hilfreicher gewesen. Im Idealfall hätte es gereicht, auf die unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der muslimischen Bevölkerung hinzuweisen und die Existenz der Laizisten und Liberalen zu unterstreichen. Diesen Gruppen Verhör zu verschaffen würde verhindern, dass mehr Menschen eine Zuflucht im orthodoxen Islam suchen, und eine Re-islamisierung wäre eingebremst worden.

Der einheimischen Bevölkerung würde die Angst vor einer islamischen Bedrohung genommen, wenn diese erkennen würde, dass es durchaus viele weltoffene Menschen aus islamischen Ländern gibt, und die von islamischen Verbänden gerne genannten Zahlen zwar die Gesamtheit der Muslime benennt, diese aber auch zu kritischer Denkweise fähig sind, und keineswegs als einziges Ziel die (Re-)Islamisierung anstreben.

Schon Marx wusste, der Anfang aller Kritik ist die Religionskritik. In einer Bevölkerungsgruppe, in der der Islam das Leben so stark beeinflusst, ist es nicht möglich ohne Islamkritik weitere Kritik zu üben. Ohne das Recht kritisch hinterfragen zu dürfen können Probleme nicht lokalisiert und gelöst werden. Solange Islamkritik pauschal als Hetze abgetan und bekämpft wird, ist dieses Ziel nicht zu erreichen. Die berechtigte Kritik muss aus einer Ecke kommen, die sich die Verbesserung der Situation zum Ziel gesetzt hat. Ansonsten verkommt Kritik zu reiner Polemik und verschärft Probleme noch weiter.

Cahit Kaya ist Vorstandsmitglied im Freidenkerbund Österreich.