Warum wir uns so leicht täuschen lassen
Als lebende Organismen ist uns allen die Erste-Person-Perspektive vertraut. Wir wissen um unsere inneren Zustände, kennen Lust, Schmerz, Trauer, Freude sowie all die anderen „Qualia“ (erlebbare phänomenale Bewusstseinsinhalte) wie die Röte einer Tomate oder die Süße einer reifen Honigmelone. Aus diesem eigenen inneren Erleben schließen wir in der Dritten-Person-Perspektive darauf, dass andere Lebewesen, die uns ähnlich erscheinen, derartige innere Zustände auch kennen. Ganz sicher können wir uns in dieser Hinsicht zwar nicht sein, doch die Übertragung der Ersten-Person-Perspektive auf die Dritte-Person-Perspektive (die Grundlage aller Empathie!) ist zweifellos eine sinnvolle Prozedur. (Nur Psychopathen gehen davon aus, die einzigen empfindungsfähigen Wesen im Universum zu sein, umgeben von imaginären Erscheinungen oder philosophischen Zombies! Haben Sie also keine Sorge: Philosophische Zombies gibt es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenso wenig wie einen personalen Gott!)
Da wir in andere Personen nicht hineinschlüpfen und somit ihre inneren Zustände nicht wirklich kennen können, sind wir darauf angewiesen, von äußeren Signalen (wie Wortwahl, Tonfall, Mimik, Gestik), die sie aussenden, auf ihre jeweiligen inneren Zustände zu schließen. Bei dieser Schlussfolgerung treten natürlich Fehler auf: So leiten wir manchmal aus äußeren Signalen innere Zustände ab, die in Wahrheit völlig anders aussehen (beispielsweise schließen wir aus dem Lächeln eines Gegenübers, dass er uns freundlich gesonnen ist, obwohl er uns mit diesem falschen Signal nur arglistig übers Ohr hauen will). Unter bestimmten Umständen begehen wir beim Transfer von der Außenperspektive auf die Innenperspektive sogar einen noch viel gravierenderen Fehler, nämlich indem wir unserem „Gegenüber“ innere Zustände zuschreiben, obgleich dieser (wie bereits am fiktiven Beispiel eines philosophischen Zombies erläutert) überhaupt keine subjektiven, inneren Zustände kennt.
Dass ein solcher Kategorienfehler nicht bloß Science-Fiction ist, sondern sehr wohl in der Realität vorkommen kann, wissen wir spätestens seit den 1960er Jahren, als der Computerpionier und Gesellschaftskritiker Joseph Weizenbaum sein berühmtes ELIZA-Programm schrieb. Nach heutigen Maßstäben war ELIZA ein atemberaubend simples Computerprogramm, aber es war in der Lage, zu „rogern“, das heißt, es konnte (wenn auch nur auf sehr oberflächliche Weise!) im Sinne der klientenzentrierten Psychotherapie (nach Carl Rogers) mit Menschen „kommunizieren“. Schrieb beispielsweise jemand: „Ich habe Probleme in meinem Job!“, so antwortete ELIZA: „Warum haben Sie Probleme in ihrem Job?“ Obwohl ELIZA natürlich nicht „verstand“, worum es dem Gesprächspartner ging (das Programm simulierte bloß „Verständnis“, indem es die Aussagen der Gesprächspartner mehr oder weniger geschickt in Fragen umwandelte), hatten viele Personen, die mit ELIZA kommunizierten, den Eindruck, sich mit einem realen Menschen (einem Psychotherapeuten!) zu unterhalten. Sie schrieben also einem überaus simplen Computerprogramm komplexe innere Zustände zu (incl. der Fähigkeit zur Empathie) und fühlten sich von diesem sogar in einem umfassenden Sinne akzeptiert, weshalb sie ihm teils höchst intime Details anvertrauten (was Weizenbaum einigermaßen schockierte).
Natürlich hätte ELIZA keinen echten Turing-Test (Verfahren zur Messung „Künstlicher Intelligenz“) bestanden. Dafür war das Programm letztlich zu einfach gestrickt. Doch bedenkt man, dass schon ein so altes, simples Programm wie ELIZA Menschen so sehr täuschen kann, können wir erwarten, dass es möglicherweise schon recht bald Programme oder gar Roboter geben wird, die wir in der Außenwahrnehmung von lebenden Systemen kaum mehr unterscheiden können, obwohl sie (höchstwahrscheinlich!) ebenso wenig über ein phänomenales Bewusstsein (innere subjektive Erfahrungen) verfügen wie ELIZA oder eine herkömmliche Tiefkühltruhe!
Fragen wir uns nun, warum eliminatorische Reduktionisten wie Andreas Müller oder (teilweise) auch Daniel Dennett den im Grunde offensichtlichen Unterschied zwischen echten und bloß simulierten Empfindungen leugnen. Warum meinen sie, dass die für uns subjektiv so bedeutsamen Unterschiede in der Innenwahrnehmung (Erste-Person-Perspektive) letztlich irrelevant sind? Der Grund hierfür ist, dass sie sich in der Analyse auf das äußerlich Beobachtbare (Dritte-Person-Perspektive) konzentrieren und in ihren theoretischen Entwürfen (im praktischen Leben dürfte das anders aussehen!) an subjektiven inneren Zuständen (also der Ersten-Person-Perspektive) nur wenig interessiert sind.
Diese weitgehende Ignoranz gegenüber innerpsychischen Erlebnissen und Verarbeitungsprozessen ist innerhalb des reduktionistischen Weltbildes durchaus verständlich: Denn wenn all unsere Gedanken, Gefühle, Empfindungen, wenn alle Qualitäten unserer subjektiven Wahrnehmung tatsächlich nur Epiphänomene physikalischer Prozesse sein sollten, so müsste man derartigen „inneren Zuständen“ in der Tat keine allzu große Bedeutung beimessen! Dies erklärt auch, warum sich eliminatorische Reduktionisten so hartnäckig weigern, zwischen lebenden und Leben bloß simulierenden Systemen zu unterscheiden. Denn die Differenz zwischen einem philosophischen Zombie und einem Menschen ist für einen konsequenten Reduktionisten gar nicht vorhanden, da in seinem Weltbild im Grunde jeder Mensch eine Art philosophischer Zombie ist. Zwar mögen wir höchst phantasievolle Zombies sein, die sich irgendwelche merkwürdigen „innere Zustände“ einbilden, aber derartige Zustände sind in der reduktionistischen Sichtweise letztlich zu vernachlässigen, da sie als subjektive Einbildungen keinerlei Einfluss auf die Welt haben können. (Wirkungen haben in der reduktionistischen Perspektive, wie gesagt, nur physikalische Prozesse, eine makrodeterministische Rückwirkung von Biologie und Kultur auf die Physik wird ausgeschlossen.)