Diskussionen um Bekenntnisschulen

BONN. (hpd) Die NRW-Regierungspartei Bündnis90/Grünen hat am vorletzten Wochenende auf einem Parteitag einen Fahrplan zum Ausstieg aus den Öffentlichen Bekenntnisschulen verabschiedet. Im Parteitagsbeschluss wird auf eine Änderung des Schulgesetzes orientiert: die Umwandlung von Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen soll durch eine Herabsetzung des Elternquorums und durch ein Kommunales Initiativrecht erleichtert werden. Darüber hinaus wird eine Reform der Landesverfassung, in der die Bekenntnisschulen gewährleistet werden, angestrebt.

Die Initiative “Kurze Beine – Kurze Wege” streitet seit Jahren engagiert gegen die Bekenntnisschulen und die Diskriminierung von SchülerInnen, aber auch des Lehrpersonals durch diese in anderen Bundesländern seit Jahrzehnten abgeschaffte Einrichtung. In einer ersten Stellungnahme hat die Initiative erklärt, dass sie es sehr begrüßt, “dass die Grünen als erste große Partei im Landtag endlich eindeutig Stellung beziehen und sich dazu bekennen, auf eine Verfassungsänderung hinzuarbeiten.” In Hinsicht auf die größere Regierungspartei SPD heißt es: “Wir denken, dass es an der Zeit ist, dass die SPD sich nunmehr auch klar zur Öffnung aller Grundschule für alle Kinder bekennt, zumal die Sozialdemokraten ohnehin bereits konstruktiv an der neuen Gesetzesinitiative beteiligt sind.”

In einem Interview hat sich für die Initiative Max Ehlers über die aktuelle Situation nach dem Grünen-Parteitagsbeschluss und die möglichen weiteren Entwicklungen geäußert.

 

hpd: Herr Ehlers, im November letzten Jahres hatten Sie sich in einem Interview mit dem hpd sehr skeptisch gezeigt, was die Bereitschaft der Regierungsparteien angeht, an das heiße Eisen “Bekenntnisschulen” heranzugehen. Wie ist Ihre Einschätzung jetzt nach dem Beschluss der NRW-Grünen?

Max Ehlers: In der Zwischenzeit hat sich doch einiges getan. Der Beschluss der Grünen ist in unseren Augen ein riesiger Erfolg. Bis vor kurzem war grundsätzliche Kritik an den öffentlichen Bekenntnisschulen ein Tabu. Zwar gab es immer wieder aus allen Parteien und sogar aus den Kirchen kritische Stimmen dazu, aber nie wurde so eindeutig und klar eine Verfassungsänderung gefordert - außer von den Piraten und in der vergangenen Legislaturperiode von den Linken. Mindestens genauso wichtig wie der Parteitagsbeschluss der Grünen ist aber, dass die Regierungsfraktionen noch vor dem Sommer einen Gesetzentwurf im Landtag einbringen wollen, der im Rahmen des gesetzlich Möglichen Verbesserungen bringt.

 

Max Ehlers, Foto: privat
Max Ehlers, Foto: privat

Die Grünen wollen das Quorum für die Umwandlung von Bekenntnisgrundschulen in Gemeinschaftsschulen deutlich herabsetzen, von jetzt 67 Prozent auf – wie es heißt – 50 Prozent plus 1 Stimme. Ist das für Sie akzeptabel?

Natürlich hätten wir uns eine Regelung analog zu den Hauptschulen gewünscht. Dort genügt ein Drittel der Stimmen für eine Schulartänderung. Trotzdem erleichtert auch die 50%-Marke eine Umwandlung schon sehr.

 

Wird die geplante Regelung zur Umwandlung vieler Bekenntnisschulen führen?

Ich gehe nicht davon aus, dass es jetzt eine riesige Umwandlungswelle geben wird, weil ein solches Verfahren auch viel Unruhe und durchaus auch Streit in die Schule bringen kann. Deswegen wird ein Umwandlungsverfahren von den Eltern normalerweise nur dann angeleitet, wenn es dafür einen konkreten Anlass gibt und fast alle an einem Strang ziehen. Nicht zuletzt darum ist es so wichtig, dass das Verfahren in Zukunft auch durch eine Kommune eingeleitet werden kann. Dann liegt der Druck nicht mehr auf den Eltern.

 

Sie spielen darauf an, dass die Grünen den Kommunen ein Initiativrecht für Änderungen einräumen wollen in Fällen, in denen konfessionsgebundene Kinder nicht mehr die Mehrheit der Kinder an einer Schule stellen. Was halten Sie von einem solchen Vorgehen?

Wenn ich das richtig verstanden habe, ist sogar geplant, dass ein Schulartbestimmungsverfahren eingeleitet werden muss, wenn über mehrere Jahre eine Schule nicht mehr konfessionell homogen ist, weil ein erheblicher Prozentsatz der Kinder dem Schulbekenntnis nicht mehr angehört. Gegen diese Regelung wehren sich die Kirchen allerdings mit Händen und Füßen. Im Durchschnitt gehören an katholischen Bekenntnisgrundschulen nur 57 Prozent und an evangelischen nur 46 Prozent der SchülerInnen dem Schulbekenntnis an. Diese geplante Regelung könnte bei konsequenter Anwendung tatsächlich dazu führen, dass ein großer Teil der Schulen umgewandelt werden. Um ein Beispiel zu nennen: In Bonn gehören lediglich an zwei der insgesamt 21 Bekenntnisgrundschulen mehr als 50 Prozent der Kinder dem Schulbekenntnis an!

 

Im Beschluss der Grünen ist nur von Bekenntnisgrundschulen die Rede; was ist mit den Bekenntnishauptschulen? Besteht da kein Regelungsbedarf, um Diskriminierungen zu beenden?

Gute Frage, auch im Bereich der Hauptschulen sind immerhin fast 10 Prozent der Schulen Bekenntnisschulen. Von ähnlich erheblichen Problemen wie bei den Grundschulen ist uns hier aber nichts bekannt. Das liegt wohl zum einen daran, dass sie im Zweifelsfall leichter umgewandelt werden können. Zum anderen daran, dass es an den Hauptschulen wahrscheinlich selten mehr Anmeldungen als Plätze gibt, so dass das Aufnahmeverfahren sicher nicht so restriktiv gehandhabt wird. Bei Lehrkräften müsste es eigentlich ähnliche Probleme geben, aber da habe ich ehrlich gesagt noch nie von Konflikten gehört.

 

Bekenntnisschulen sind in der NRW-Verfassung ausdrücklich geregelt. Wer eine grundsätzliche Änderung will, muss die Verfassung ändern. Wie sehen Sie die Chancen hierfür?

Richtig, eine Änderung der Verfassung ist unumgänglich, wenn man den Zustand beenden will, dass öffentliche Einrichtungen und damit der Staat nach religiösen Kriterien diskriminiert. Um eine verfassungsändernde 2/3-Mehrheit zu erreichen, reichen die Stimmen von SPD, Grünen und Piraten nicht ganz, sie verfügen zusammen über 62 Prozent. Die CDU wehrt sich energisch gegen jegliche Änderung, die Christdemokraten sind weniger offen für Änderungen als die Kirchen. Ich kann mir das nur so erklären, dass sie Angst haben, am rechten Rand Wähler zu verlieren.

 

Was ist mit der FDP, die vor Jahrzehnten schon mal die Abschaffung der Bekenntnisschulen gefordert hat?

Die starre Haltung der FDP kann ich absolut nicht nachvollziehen. In den 60ern waren die Liberalen noch treibende Kraft, als in zahlreichen Bundesländern die Bekenntnisschulen abgeschafft wurden. Aber vielleicht lässt sich die FDP ja doch noch von den überzeugenden verfassungsrechtlichen Argumenten überzeugen.

Zusätzlichen Schub könnte das Anliegen auch bekommen, wenn das Rechtsmittel der muslimischen Familie aus Paderborn vor dem Oberverwaltungsgericht Erfolg hat oder es gar zu einer Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht kommt. Spätestens dort wird moniert werden, dass eine Landesverfassung nicht das grundgesetzlich garantierte Recht der Abmeldung vom Religionsunterricht aushebeln kann.

 

Was sind Ihrer Auffassung nach die Ursachen dafür, dass jetzt immerhin mit den Grünen eine der beiden Regierungsparteien eine deutliche Position zur Beendigung der Segregation in den Schulen bezogen hat?

Eigentlich waren die öffentlichen Bekenntnisschulen natürlich noch nie mit dem Programm der Grünen vereinbar. Dass sie jetzt endlich Stellung bezogen haben, liegt sicherlich daran, dass die Basis und auch säkulare Kräfte innerhalb der Grünen innerparteilich Druck aufgebaut haben. Das Fass zum Überlaufen gebracht hat wohl die Geschichte in Paderborn, wo Sigrid Beer[1] in ihrem Wahlkreis miterlebt hat, wie ein Erstklässler aus einer muslimischen Familie von einer katholischen Bekenntnisschule abgewiesen wurde, obwohl es dort keine halbwegs gut erreichbare Gemeinschaftsschule gab. Das Verwaltungsgericht hat im letzten Jahr die Politik ja regelrecht dazu aufgefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen an die gesellschaftliche Situation anzupassen. Dass dies erforderlich ist, haben sogar die Kirchen eingesehen.

 

Sie haben vergangenen Montag am Symposium “Staat und Kirche in NRW” teilgenommen. Wie wurde das Thema dort diskutiert?

Das war eine erstaunliche Veranstaltung. Eigentlich wollten die Spitzenvertreter von evangelischer und katholischer Kirche gemeinsam mit höchsten Repräsentanten des Landtags die grundsätzliche Verbundenheit des Staates mit den Kirchen demonstrieren. Im Gesprächsforum zu Bekenntnisschulen wurden die Probleme in diesem Bereich trotzdem erfreulich klar angesprochen. Ich habe meinen Ohren kaum getraut, als der Münsteraner Professor Hinnerk Wißmann im Eingangsreferat die Schwierigkeiten und verfassungsrechtlichen Widersprüche unmissverständlich benannte. Wißmann machte deutlich, dass öffentliche Bekenntnisschulen einen Anachronismus darstellen, der dringend einer Reform bedarf. Er wies auch nachdrücklich darauf hin, dass alle anderen Bundesländer das Konstrukt der öffentlichen Bekenntnisschule aus guten Gründen schon vor bald 50 Jahren gekippt haben. Die CDU-Vertreterin Astrid Birkhahn stand völlig allein in ihrer Ansicht, dass es keinerlei Änderungsbedarf gebe. Selbst die Kirchenvertreter haben in diesem Forum offen eingestanden, dass dringend gesetzliche Änderungen vorgenommen werden müssen. Wie sie sich allerdings zu einer rot-grünen Gesetzesinitiative verhalten wollen, ist noch nicht klar, weil der Entwurf noch nicht vorliegt.

 

Herr Ehlers, vielen Dank für dieses Gespräch.

 

Das Interview führte Walter Otte.


  1. Siegrid Beer ist Parlamentarische Geschäftsführerin und schulpolitische Sprecherin der Grünen im NRW-Landtag  ↩