Eine kurze Geschichte der RAF

(hpd) Der „Spiegel“-Autor Michael Sontheimer legt mit seinem Buch „’Natürlich kann geschossen werden’. Eine kurze Geschichte der RAF“ entsprechend des Untertitels eine knappe Darstellung zur Entwicklung der linksterroristischen Organisation vor. Es handelt sich um eine überaus informative Arbeit zum Thema, die allerdings aus analytischer Sicht unter ihren Möglichkeiten blieb.

 

Nahezu ein Viertel Jahrhundert lang agierte die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei ermordete die linksterroristische Organisation im Namen eines angeblichen Kampfes für eine bessere Welt 33 Menschen. Obwohl man sich offiziell bereits 1998 auflöste und seitdem keine Anschläge mehr begangen wurden, erinnern aktuelle Ereignisse direkt oder indirekt immer wieder an das Wirken dieser Gruppierung. Dies motivierte den studierten Historiker und heutigen Journalisten Michael Sontheimer, Stammautor für den „Spiegel“, zu seinem Buch „’Natürlich kann geschossen werden’. Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion“. Im Unterschied zu den voluminösen Bänden zum Thema, die in den letzten Jahren von Stefan Aust, Wolfgang Kraushaar, Butz Peters oder Willi Winkler vorgelegt wurden, handelt es sich hier tatsächlich um eine eher knappe Darstellung. Gleichwohl beschränkt sie sich nicht auf die „erste Generation“ der RAF, sondern versteht sich als Gesamtdarstellung zum Zeitraum von 1970 bis 1998.

Die meisten anderen Bücher über die terroristische Organisation, so der Autor, stützten sich „fast ausschließlich auf Dokumente von Polizei und Justiz, die naturgemäß parteiisch und oft fehlerhaft sind. Bei meinen langjährigen Recherchen über die RAF habe ich hingegen versucht, auch mit möglichst vielen ehemaligen Mitgliedern der Gruppe ins Gespräch zu kommen und ihre Sicht der Ereignisse in Erfahrung zu bringen“ (S. 10). Daraus entstand dann die vorliegende „kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion“, die historisch-chronologisch in 10 Kapitel aufgegliedert ist. Sontheimers Darstellung setzt mit der Befreiung von Andreas Baader 1970 ein, beschreibt die Herausbildung und Aktivitäten der terroristischen Gruppe bis zum „heißen Herbst“ von 1977 mit der „Landshut“- und Schleyer-Entführung, geht dann aber auch auf die folgende Zeit näher ein, wofür etwa das Abtauchen einiger RAF-Aktivisten in der damaligen DDR und das bislang nur teilweise bekannte Wirken der „dritten Generation“ bis zur Auflösung der RAF 1998 steht.

Überwiegend handelt es sich um eine beschreibende Darstellung. Nur hier und da streut Sontheimer Kommentare mit Bewertungen und Erklärungen ein. So heißt es etwa: „Die Gründer der Gruppe waren keine unterdrückten Arbeiter, sondern Töchter und Söhne von Akademikern aus der Mitte der Gesellschaft“ (S. 16), „Ab 1977 kalkulierten sie kaltherzig Morde an den Fahrern und Begleitern von Politikern und Wirtschaftsführern bei ihren Anschlagsplänen ein. ... Die Mitglieder der RAF haben sich angemaßt, eine angeblich höhere Moral mit militärischen Mitteln zu vollstrecken“ (S. 18), „Sie waren der Romantik der Illegalität verfallen“ (S. 37) oder „Waffen wurden der RAF zum Fetisch“ (S. 58). Und für die Zeit nach den Stammheimer Selbstmorden heißt es: „Die RAF hatte eine totale Niederlage erlitten. Sie war moralisch, politisch und militärisch gescheitert. Sie hatte Argumente für die Demontage des liberalen Rechtsstaates geliefert. Sie hatte den Ruf der radikalen Linken ruiniert. Vor allem anderen hatte die Terrorgruppe ihre Feinde gestärkt“ (S. 136).

In all diesen Aussagen steckt eine Fülle von diskussionswürdigen Einschätzungen. Doch Sontheimer belässt es bei derart knappen Bemerkungen, ohne eine nähere Begründung und Erörterung. Damit bleibt das Buch ein wenig unter seinen Möglichkeiten, mehr als nur eine „kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion“ sein zu können. Gleichwohl handelt es sich um eine informative und kompakte Darstellung auf aktuellem Kenntnisstand, ohne sich in einseitigen Deutungen und wilden Spekulationen zu ergehen. Kritikwürdig ist gleichwohl Sontheimers Hinweis, andere Darstellungen stützten sich primär auf Akten von Justiz und Polizei. Sehr wohl wurde auch dort die Sicht der ehemaligen RAF-Aktivisten einbezogen. Gespräche mit ihnen sollten darüber hinaus nicht unkritisch wahrgenommen werden, handelt es sich doch um keine neutralen Zeitzeugen. Bereits auf der ersten Seite weist Sontheimer selbst auf die Lüge eines RAF-Aussteigers hin. Gleichwohl ließ sich der Autor dadurch nicht zu einer apologetischen Fehldeutung des Linksterrorismus verführen.

Armin Pfahl-Traughber

 

Michael Sontheimer, „Natürlich kann geschossen werden“. Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion, München 2010 (Deutsche Verlags-Anstalt), 217 S., 19,95 €