„Die Terroristen von nebenan“

(hpd) Die Journalisten Rolf Clement und Paul Elmar Jöris schildern die Aktivitäten von gewaltgeneigten Islamisten in Deutschland, wobei die „Sauerland“-Gruppe im Zentrum des Interesse steht. Es handelt sich um eine informative und sachliche Darstellung aus journalistischer Sicht, die allerdings nur in Ansätzen analytische Einschätzungen formuliert.

Nach der Aufdeckung von geplanten islamistischen Terroranschlägen zeigten sich Bekannte der Täter nicht selten irritiert und verwundert: Wie konnte der freundliche oder unscheinbare junge Mann aus der Nachbarschaft zu einem potentiellen Massenmörder werden? Diese Frage stellte man sich auch nach der Aufdeckung der „Sauerland-Gruppe“, der auch deutschstämmige Konvertiten angehörten und die einen Anschlag mit bewusst vielen Todesopfern plante. Eine Antwort darauf wollen die beiden Journalisten Rolf Clement, Korrespondent für Sicherheitspolitik beim Deutschlandfunk, und Paul Elmar Jöris, Korrespondent beim WDR mit Schwerpunkt Innen- und Justizpolitik, geben. In ihrem gemeinsamen Buch „Die Terroristen von nebenan. Gotteskrieger aus Deutschland“ beschreiben sie im Reportagestil Akteure und Hintergründe von Anschlagsversuchen der letzten Zeit und gehen auch auf die Gegenstrategien und Reaktionen der Politik und der Sicherheitsbehörden ausführlich ein.

Entsprechend gliedert sich das Buch auch in zwei große Teile: Zunächst geht es unter der Überschrift „Vom Nachbarjungen zum Terroristen“ um die „Sauerland“-Gruppe, wobei der Lebensweg von Daniel Schneider, Fritz Martin Gelowicz, Atilla Selek und Adem Yilmaz hinsichtlich ihres Weges in den islamistischen Terrorismus nachgezeichnet wird. Danach widmen sich die beiden Autoren den Reaktionen des Staates, verbunden mit Ausführungen zum „Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum“ (GTAZ), den neuen Gesetzen gegen den Terrorismus („Otto-Kataloge“) oder dem „Gemeinsamen Internetzentrum“ (GIZ). Der zweite Teil „Das deutsche Umfeld des Terrors“ benennt das Internet und Islamseminare als Orte der Radikalisierung in Richtung Islamismus. Im Zentrum stehen hier aber weitere Aktivitäten von Anhängern terroristischer Gruppen in Deutschland, sei es die Vorbereitung des 11. September 2001 in Hamburg oder der versuchte Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten während seines Besuchs in Berlin.
Bilanzierend bemerken Clement und Jöris: Aus einem Muslim werde kein Dschihadist durch ein einzelnes Erlebnis. Vielmehr müssten unterschiedliche Bedingungsfaktoren zusammenkommen. „Allerdings schlittert niemand einfach hinein, die angehenden Dschihadisten treffen bewusste Entscheidungen. Die Wege derer, deren Lebensläufe hier näher betrachtet wurden, weisen Gemeinsamkeiten auf, die sich verallgemeinern lassen: Die jungen Männer hatten den Halt verloren“ (S. 235). Hinzu kämen aber immer auch noch andere Dinge: „Dann muss ihm jemand ein geschlossenes Konzept für sein künftiges Leben anbieten. Bei den jungen Männern in diesem Buch war dieses geschlossene Konzept der salafistische Islam. Die Vision einer neuen und besseren Welt spielt bei den angehenden Gotteskriegern selten eine Rolle“ (S. 236f.). Die Autoren wenden sich auch gegen die Auffassung, die Ursache für den Weg in den Terrorismus erkläre sich durch mangelnde Integration. Denn: „Diese jungen Männer waren integriert“ (S. 238).

Clement und Jöris legen ein erfreulich nüchternes und sachliches Buch vor, welches bis auf wenige Ausnahmen auf dramatisierende und überspitzte Kommentare verzichtet. Überwiegend referieren die Autoren Erkenntnisse, ohne sie mit ausführlicheren Deutungen zu verknüpfen. Gerade dies hätte aber auch interessiert, enthält der Band doch ansonsten nicht viel mehr an Informationen als die seriöse Tagespresse. Clement und Jöris vermeiden so aber auch wilde Spekulationen. Indessen hätte man sich schon mehr an Analysen und Einschätzungen gewünscht. So wirkt das Buch über weite Strecken wie eine Aneinanderreihung wichtiger Informationen. Dabei gehen die Autoren ausführlich auf die Aktivitäten der „Sauerland“-Gruppe ein, was vor allem hinsichtlich des Lebensweges der vier Angehörigen von Bedeutung ist. Die anderen Fälle finden demgegenüber nur kurze Aufmerksamkeit. Hier wären sicherlich vergleichende Betrachtungen ausführlicher Art interessant gewesen. Gleichwohl handelt es sich um ein informatives und lesenswertes Buch.

Armin Pfahl-Traughber

 

Rolf Clement/Paul Elmar Jöris, Die Terroristen von nebenan. Gotteskrieger aus Deutschland, München 2010 (Piper-Verlag), 294 S., 16,95 €