Trügerische Ruhe

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Fotos: F. Navissi

IRAN / BERLIN. (hpd) Es ist nun fast auf den Tag genau ein Jahr her, dass in Iran Wahlen stattfanden, die im Ruch stehen, gefälscht worden zu sein. Während sich anfänglich die Medien und das Internet täglich mit diesem Thema befassten, ist es nunmehr darum still geworden. Es scheint, als wäre seit den letzten großen Demonstrationen in Teheran und anderen Städten wieder Ruhe im Land eingekehrt. Aber dieser Eindruck täuscht.

Iran ist ein Land der jungen Menschen. Zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als dreißig Jahre, im Schnitt gut ausgebildet und vor allem nicht mehr bereit, die Repressalien dieses Mullah-Regimes hinzunehmen. So hat sich die Art des Widerstandes verändert. Waren es anfänglich die machtvollen Massen-Demonstrationen, die „gute Bilder“ für die Kameras der internationalen Presse lieferten, wurde daraus inzwischen eine Art „Guerilla-Taktik“: Auf Geldscheinen zum Beispiel stehen revolutionäre Parolen, die so unter die Bevölkerung gebracht werden. An Wänden prangen immer und immer wieder Graffitis gegen die Regierung. Als Amadinejad eine Rede im Fernsehen halten wollte, schaltete ganz Teheran stromfressende Geräte an, um das Netz zu überlasten und zum Abschalten zu bringen – was auch gelang.

In Iran wurden im letzten Jahr sehr viele Menschen festgenommen, die gegen das veröffentlichte Wahlergebnis protestierten und gegen die Regierung in Opposition gingen. Sie wurden bei den Demonstrationen verhaftet, zu Hause abgeholt oder auf offener Straße verschleppt. Angehörige erfahren oft erst Wochen später davon, in welchem Kerker der Verhaftete eingesperrt ist. Das Regime versucht mit aller Gewalt, die kritischen Stimmen zu ersticken. Es schreckt auch nicht vor Morden zurück. Und nicht davor, die Hinterbliebenen zudem zu zwingen, für die Herausgabe der Leichname ein sogenanntes „Patronengeld“ zu verlangen.

Doch noch immer kommen täglich die Meldungen aus dem Land über das Internet in die Welt, an die Öffentlichkeit. Allerdings hört die Welt nicht mehr so gut zu. Denn es gibt inzwischen genügend andere Orte auf der Erde, die „gute Bilder“ liefern.
Wir Menschen sind vergesslich. Und die Medien nur dort, wo es Aktuelles und Aufregendes zu berichten gibt; der alltägliche Irrsinn in einem Land wie Iran gehört nicht (mehr) dazu. Kaum beachtet mehr wird, dass das iranische Regime die pro Kopf höchste Hinrichtungsrate hat. In diesen Tagen stehen 26 Hinrichtungen an! In den letzten 7 Tagen wurden (mindestens) sieben Menschen gehängt.
Im Internet findet, wer danach sucht, diese Informationen noch immer; kann noch immer die ohnmächtig scheinende Wut lesen, die hilferufend aus dem Land dringt.