Weltanschauungsdiktaturen im Vergleich

(hpd) Die beiden Politikwissenschaftler Uwe Backes und Steffen Kailitz legen mit dem von ihnen herausgegebenen Sammelband “Ideokratien im Vergleich. Legitimation – Kooptation – Repression” eine wissenschaftliche Bilanz zu Weltanschauungsdiktaturen vor. Darin zeigt sich, dass angesichts des Kontextes von Ideologie und Repression eine in der bisherigen Forschung auszumachende Fixierung der Diktaturforschung auf die Repression die Analyseperspektive zu stark einschränkt.

Diktaturen nimmt man meist durch Repressionen wahr: Die Aufhebung von Freiheitsrechten, die Herausbildung eines Machtmonopols, der Terror einer Geheimpolizei und die Verfolgung von Oppositionellen stehen dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit. Diese Perspektive nahm auch die Autokratieforschung ein, wobei die ideologische Orientierung der gemeinten Systeme nicht mehr genügend Beachtung fand.

Demgegenüber betonen die Autoren des von Uwe Backes und Steffen Kailitz, beide Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden, herausgegebenen Sammelbandes “Ideokratien im Vergleich. Legitimation – Kooptation – Repression” eben diese Perspektive. Die Bezeichnung “Ideokratie” steht dabei für “Weltanschauungsdiktatur”, also für repressive Systeme, die sich in ihrer Politik insbesondere auf eine bestimmte Ideologie stützen. Ihr Anspruch zur “Durchherrschung” der Gesellschaft in diesem Sinne erklärt denn auch mit die Politik einer totalen Kontrolle der Gesellschaft.

In dem Sammelband finden sich zwanzig Beiträge, die in drei Kapitel eingeteilt wurden. Zunächst geht es um Begriffsgeschichte und Konzeptionalisierung, wobei Uwe Backes eine begriffsgeschichtliche Skizze liefert, Hermann Lübbe den Kontext von Gewalt, Ideokratie und Moral erörtert, Lothar Fritze nach der ideologischen Selbstbindung in Weltanschauungsdiktaturen fragt, Peter Bernholz die Legitimation und Repression in Ideokratien aus einer Rational Choice-Perspektive erörtert und Johannes Gerschewski Ideokratien als Subtyp autokratischer Regime behandelt. Bei den Fallstudien geht es um eine Untersuchung von Kooptation, Legitimation und Repression in einschlägigen Diktaturen, wobei Leonid Luks die Sowjetunion, Lorenz Santoro den italienischen Faschismus, Wolfgang Bialas das NS-Regime, Udo Grashoff die DDR, Christian Göbel die Volksrepublik China, Jiwon Yoon Nordkorea und Peter Thiery Kuba behandeln. Abhandlungen zur islamistischen Herrschaft in Afghanistan und im Iran findet man somit nicht.

Und schließlich geht es noch um den titelgebenden Vergleich, wobei die Mythen einer kollektiven Wiedergeburt bei Roger Griffin, die Output-Legitimität in Autokratien bei Manfred G. Schmidt, Charakteristika der staatlichen Einbindung von Bevölkerung und Eliten bei Steffen Kailitz und die kommunistische und nationalsozialistische Gewalt im Vergleich bei Jerzy Mackow im Zentrum des Interesses stehen. Die Herausgeber nehmen dann am Ende noch eine problemorientierte Bilanz vor, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Beiträge in inhaltlicher und methodischer Sicht kommentiert werden. Hierbei betonen Backes und Kailitz noch einmal die Notwendigkeit, der Herrschaftslegitimation von Diktaturen in der Forschung größere Aufmerksamkeit zu widmen. Mittels des Ideokratiekonzeptes liessen sich wichtige Aspekte der Funktionslogik von Regimen einfangen, die bei anders gearteter Betrachtung unberücksichtigt oder unterbelichtet blieben. Könne doch nur so auch die Vernichtungspraxis totalitärer Diktaturen plausibel erklärt werden.

Bei allen Autoren handelt es sich um ausgezeichnete Kenner der Materie, wobei die jeweiligen methodischen Ansätze ganz unterschiedlich sind. Indessen machen sowohl der historische wie der philosophische, der politologische wie der soziologische Blick auf das Phänomen die Notwendigkeit einer interdisziplinären Perspektive deutlich. Immer wieder zeigt sich, dass ein Kontext von Ideologie und Repression besteht. Die Aufmerksamkeit für die eine Komponente bedingt denn auch keine Ignoranz für die andere Komponente in einer Weltanschauungsdiktatur.

Der Band versteht sich auch als eine Art Zwischenbilanz der Forschung. Sie könnte sich auch noch in andere Richtungen entwickeln: Dazu gehörten Analysen zu religiös legitimierten Diktaturen, welche angesichts der Fixierung auf faschistische und kommunistische Regime hier nicht vorkamen. Darüber hinaus wäre kritisch nach dem Bedeutungsgehalt der Ideologie für die Herrschenden zu fragen: Sind diese Diktatoren gläubige Anhänger oder instrumentalisierende Täuscher?

 


Uwe Backes/Steffen Kailitz (Hrsg.), Ideokratien im Vergleich. Legitimation – Kooptation- Repression, Göttingen 2014 (Vandenhoeck & Ruprecht), 406 S., 59,99 Euro