Schweden

Fallstudien zur ideengeschichtlichen Entwicklung des Antisemitismus

(hpd) Die Historikerin Lena Berggren präsentiert in ihrem Buch “Blodets reinhet. En historisk studie av svensk antisemitism” (“Des Blutes Reinheit. Eine historische Studie über den schwedischen Antisemitismus”) zwei Fallstudien zur Entwicklung des Propagandisten Elof Eriksson und der Organisation “Samfundet Manhem”. So anerkennenswert die Aufarbeitung vieler historischer Details – auch etwa zu den Kontakten zum NS-Deutschland – ist, so bedauerlich ist demgegenüber die Fixierung auf die reine Beschreibung und das Fehlen von analytischen Betrachtungen.

Antisemitismus ist kein rein deutsches, sondern ein international präsentes Phänomen. Der Blick auf die historische und aktuelle Entwicklung in anderen Ländern, insbesondere mit geringerer Judenfeindschaft, kann über Gemeinsamkeiten und Unterschiede neue Erkenntnisse vermitteln. Insofern greift man interessiert nach dem Buch “Blodets Renhet. En historisk studie av svensk antisemitism” (“Des Blutes Reinheit. Eine historische Studie über den schwedischen Antisemitismus”), das die Historikerin Lena Berggren von der Universität Umea vorgelegt hat.

Entgegen des Titels handelt es sich aber um keine Gesamtdarstellung, sondern um zwei Fallstudien. Dabei stehen Organisationen, Personen und Publikationen aus der Zeit von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts im Zentrum des Interesses. Vorgeschaltet sind diesen Ausführungen zwei Kapitel, die Antisemitismus und Rassismus definitorisch und ideengeschichtlich und Faschismus allgemein und in Schweden im Kontext der nationalistischen Bewegung und des Ultranationalismus behandeln.

Die erste Fallstudie ist Elof Eriksson (1883–1965) gewidmet. Er engagierte sich seit Beginn der 1910er Jahren zunächst in der Bauernbewegung und gründete einschlägige Interessenvertretungsorganisationen. Die damit einhergehende Kritik an Kapitalismus, Liberalismus und Parlamentarismus ging im Laufe der Zeit auf der Grundlage einer agrarromantischen Position mit Antisemitismus und Rassismus einher. Ab den 1920er Jahren propagierte Eriksson diese Auffassung auch stärker als Journalist, wobei das von ihm gegründete Publikationsorgan “Nationen” von besonderer Bedeutung war. Berggren behandelt ausführlich dessen Engagement in der Bauernbewegung und publizistisches Engagement gegen Juden, wobei die späteren Kontakte mit NS-Deutschland interessant sind.

Im antisemitischen “Welt-Dienst”-Verlag erschienen Übersetzungen von Erikssons Schriften, so war er auch in Deutschland bekannter als in Schweden. Und schließlich gibt es hier auch eine Analyse seines Antisemitismus, insbesondere zu den Verschwörungsvorstellungen.

Die zweite Fallstudie geht auf eine Organisation ein: Die “Samfundet Manhem” (“Die Manhem Gesellschaft”) kann man sich als eine Art Dachorganisation oder Sammelbecken verschiedener rechtsextremistischer Einzelpersonen und Gruppen vorstellen, welche in Schweden in den 1920er und 1930er Jahren aufgrund von ideologischen, persönlichen und strategischen Konflikten zersplittert waren.

Durch Treffen und Vortragsveranstaltungen kam “Samfundet Manhem” indessen große Bedeutung für die Entwicklung und Propagierung eines rassistisch geprägten Antisemitismus zu. Nach einer kurzen Übersicht zu deren Aktivitäten geht Berggren ausführlicher auf den Gründer, den Geschäftsmann und Publizisten Carl Ernfrid Carlberg (1889–1962), ein. Der bedeutende Finanzier vieler rechtsextremistischer Organisationen im Land spielte somit auf unterschiedlichen Ebenen eine wichtige Rolle bei der politischen Propaganda für die Judenfeindschaft. Berggren geht aber noch auf die Aktivitäten anderer Protagonisten insbesondere im Kontext mit der Rassenideologie ein.

Beide Fallstudien basieren auf einer intensiven Auswertung von Quellenmaterial, wodurch das Wissen um die antisemitischen Akteure erweitert wird. Indessen bleibt die Autorin meist bei der Präsentation von einzelnen Fakten stehen. Man erhält zwar eine informative Beschreibung der Ideologie und der Propaganda von Eriksson und “Samfundet Manhem”. Auch sind die behandelten Kontakte in das NS-Deutschland hinein überaus interessant. Gleichzeitig klafft aber eine Lücke zwischen der bekundeten Absicht zur Erklärung der Funktionen des Antisemitismus und der darauf folgenden primären Beschreibung von Positionen und Wirken der judenfeindlichen Protagonisten. Gegen Ende erwähnt Berggren nur zwei übergreifende Erkenntnisse, wonach die “rassenkundliche” Tradition in Schweden die Akzeptanz des Antisemitismus erleichtert habe und die nationalsozialistischen Teile der nationalistischen Bewegung antisemitischer als die anderen waren. Da hätte man sich bei aller Anerkennung der Aufarbeitung historischer Details aber analytisch etwas mehr gewünscht.

 


Lena Berggren, Blodets Renhet. En historisk studie av svensk antisemitism, Malmö 2014 (Arx förlag), 400 S.